Filmfestival in Venedig:Diesmal geht die Frau

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Oscar Isaac and Jessica Chastain in Hagai Levis Remake des Bergman-Klassikers "Szenen einer Ehe". (Foto: Biennale Venezia Cinema, Jojo Whilden HBO)

Filmheldinnen im Modus "Freiheit": Kristen Stewart zeigt Prinzessin Diana bei ihrem letzten Weihnachtsfest mit den Windsors, und in der Neuverfilmung des Klassikers "Szenen einer Ehe" verlässt Jessica Chastain ihren Mann. Olivia Colman, immerhin, stiehlt nur eine Puppe.

Von Susan Vahabzadeh

Das Festival in Venedig wurde erfunden, um den Sommer künstlich um ein paar Tage zu verlängern, wenn alle schon wissen, dass der Herbst vor der Tür steht - die Idee war, den Feriengästen einen Grund zu geben, noch ein bisschen länger auf dem Lido zu bleiben, zu Beginn der Dreißigerjahre. Daran wird es wohl liegen, dass über dem Festival bis heute immer ein bisschen Endzeitstimmung liegt; Venedig ist ohnehin eine morbide Kulisse, und dass nun seit Jahren der einstige Prachtbau, das Hotel des Bains, mit vernagelten Fenstern am Lungomare Marconi dahinrottet und neuerdings die Plakate, die die Promenade säumen, oft gar nicht mehr für einzelne Kinofilme werben, sondern für die Fernsehsender, die sie bald mal im Miniaturformat ausstrahlen werden, macht es nicht heiterer. Das Festival in Venedig hat sich allerdings schon vor allen anderen die neuen Formate und Anbieter zu eigen gemacht.

In diesem Jahr ist das Fernseh-Großereignis, das außerhalb der Konkurrenz gezeigt wird, eine Neuverfilmung von Ingmar Bergmans "Szenen einer Ehe" von 1973. Hauptdarsteller und Produzent ist Oscar Isaac, inszeniert hat das Remake der israelische Regisseur Hagai Levi. Kaum ein anderer Filmemacher hat so intensiv für die Ewigkeit geschrieben wie Ingmar Bergman, so gesehen ist es löblich, dass Levi dem Original nicht allzu brachial zu Leibe rückt. Die Modernisierung besteht in weiten Teilen daraus, dass Hagai Levi die Geschichte umgedreht hat: Nun ist es die Frau, die ihren Mann zurücklässt wegen der Beziehung zu einem Jüngeren. Mira, gespielt von Jessica Chastain, tritt also das Erbe von Erland Josephson an, nicht von Liv Ullmann. In der ersten Szene sollte man das nicht meinen - die beiden geben, wie bei Bergman, ein Interview. Weil manche Dinge aber vielleicht doch immer gleich bleiben, ist es Jonathan (Isaac), der der Psychologiestudentin erklärt, wie Ehen funktionieren.

Jessica Chastain ist eine hervorragende Schauspielerin, und sie gibt hier ihr Bestes - in der Verzweiflung, wenn sie beim Kofferpacken begreift, dass sie ihr Kind zurücklässt, in kleinen Zuckungen um den Mund, die schon ganz am Anfang leise implizieren, dass das moderne Arrangement dieser Ehe sie vielleicht gar nicht glücklich macht. Jonathan arbeitet viel von zu Hause für die Uni und kümmert sich um die gemeinsame Tochter, Mira muss oft verreisen für ihren wesentlich besser bezahlten Job. Wenn sie heimkommt, werden nötige Renovierungen am Haus diskutiert, und man merkt immer, dass sie etwas nicht ausspricht - dass keine Renovierungen mehr nötig sind, weil sie sowieso nur noch da rauswill.

Das einzige Porträt, das zählt, sagt die Queen, ist das auf dem Geld

Das ist herausragend gut gemachtes Fernsehen - aber besonders originell ist es eben nicht, weil es das Ganze ja schon gibt. Levis Modernisierungen wirken teilweise etwas forciert, warum, zum Teufel, beginnt er die Episoden mit einem Blick hinter die Kulissen, als wolle er sie mit den Covid-Masken datieren und die Zuschauer jedes Mal von Neuem daran erinnern, dass sie nur eine Fernsehserie sehen? Was nun die inhaltlichen Änderungen betrifft: Sie sind nicht alle besonders hilfreich dabei, Mira als plausible Figur zu zeichnen. Eine Szene beispielsweise legt nahe, Mira, die eine große Nummer in einer Tech-Firma ist, habe sich ihr eheliches Unglück von ihrer besten Freundin einreden lassen. Na ja.

Es reicht, dass Kristen Stewart im Film "Spencer" ab und an den Kopf ein bisschen schieflegt, um an Prinzessin Diana zu erinnern. (Foto: KomplizenFilm; DCM)

Die Fernsehfigur Mira passt zu den Heldinnen im Wettbewerb. Die sind auch im Freiheitskampf-Modus, die Filme drehen sich am Wochenende um Frauen, die auf Biegen und Brechen ihre Träume verwirklichen wollen. Der Chilene Pablo Larrain beispielsweise spekuliert in "Spencer" über das Innenleben von Prinzessin Diana, Kristen Stewart gibt dem eine wunderbar kapriziöse Form, sie schafft unaufdringlich eine Ähnlichkeit: wenig Imitation, dafür sehr sparsam verteilte Gesten, die man wiedererkennt, den zur Seite geneigten Kopf etwa.

Der Film zeigt Diana bei ihrem letzten Weihnachten mit der königlichen Familie in Sandringham. Gleich neben dem Schloss steht das Haus, in dem sie aufgewachsen ist - und nun gleicht sie ihr Leben mit ihren Erwartungen ab und beginnt im Verlauf der Feiertage immer mehr zu provozieren. Sie will nicht dort sein, sie will mit diese Familie nichts mehr zu tun haben und sich den Konventionen nicht länger unterwerfen - aber von ihr wird die gleiche militärische Hingabe verlangt, die auch alle anderen Familienmitglieder haben. Das einzige Porträt, das zählt, sagt ihr Elizabeth, ist das auf dem Geld. Selbst wenn man Larrains Diana als fiktiv empfindet - war Diana wirklich so geistreich, wie er sie sich vorstellt? -, sieht man Stewart doch gerne zu, wie sie herumzickt und sich weigert, für irgendetwas außer ihren Kindern Verantwortung zu übernehmen. Larrains Film schlägt sich nicht uneingeschränkt auf ihre Seite, er zeichnet das Bildnis einer fragilen Frau, die ein Märchendasein erwartet hat und von der Realität enttäuscht ist.

Selbst bei verrückten Frauen ist Mutterschaft der heile Teil ihrer Seele

Wo sich alle einig zu sein scheinen, von Pedro Almodóvar mit seinem Eröffnungsfilm "Parallele Mütter" über Levi bis zu Pablo Larrain mit "Spencer" : Selbst bei verrückten Frauen ist die Mutterschaft der heile Teil ihrer Seele. Die Schauspielerin Maggie Gyllenhaal hat sich in ihrem Regiedebüt, ebenfalls im Wettbewerb, tatsächlich getraut, das zu bezweifeln. Sie hat für "The Lost Daughter" Elena Ferrantes "Frau im Dunkeln" adaptiert und stellt ein kinofremdes Wesen in den Mittelpunkt. Ihre Heldin Leda (Olivia Colman) hatte für ihr Leben einfach andere Pläne als Kinderkriegen. Sie hat ihre Töchter geliebt, aber sie gingen ihr auf den Geist.

Wenn etwas nervt, dann Kindergebrüll: Oliva Colman als Professorin Leda in "The Lost Daughter" nach einem Roman von Elena Ferrante. (Foto: Yannis Drakoulidis/2021/Biennale Venezia Cinema)

Leda ist Professorin, sie kommt auf eine griechische Insel, um einen Arbeitsurlaub ganz allein dort zu verbringen, und anfangs funktioniert das auch ganz gut. Sie sitzt auf ihrer Liege im Schatten und korrigiert Arbeiten. Aber bald macht sich eine Großfamilie vor ihr breit und stört das Idyll. Dass eine der Frauen (Dakota Johnson) eine kleine Tochter hat, löst in ihr Erinnerungen daran aus, wie es war, als ihre eigenen Töchter noch Kinder waren und sie nebenher versuchte, ihre akademische Karriere voranzutreiben.

Und dann tut diese zart besaitet und unsicher wirkende Frau etwas ganz Gemeines. Sie lässt die Puppe des kleinen Mädchens verschwinden. Als würde sie dieser anderen Frau die Unbeschwertheit mit ihrem Kind nicht gönnen. Die Hölle bricht nun los, und nicht nur für die junge Mutter, deren Kind tagelang nicht aufhört zu brüllen. Ein verstörender Film, in dem das Idyll immer wieder von Menschenhand zerstört wird - die Welt könnte wunderbar sein, wären die Menschen etwas weniger kompliziert gestrickt. Mal sehen, ob das Festival noch ein paar fiese Frauen auf Lager hat. Für den diabolischen Blick, den Olivia Colman ihrer Leda verpasst hat, wenn sie die Puppe aus ihrer Handtasche holt, hat sie jedenfalls einen Darstellerpreis verdient.

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