Der Verlag veröffentlichte wissenschaftliche Literatur wie die mehrbändigen Bücher des Genozidforschers Vahakn Dadrian, Vergine Svaslians Geschichten Überlebender, Franz Werfels "Die vierzig Tage des Musa Dagh", Wolfgang Gusts Dokumentensammlung des deutschen Auswärtigen Amts.
Die Veröffentlichungen forderten die Türkei massiv heraus, denn bis heute ist Verleugnung dort auf allen Ebenen die gängige Strategie. Je mehr Bücher Belge über ethnische Säuberungen während des Zusammenbruchs des Osmanischen Reichs veröffentlichte, desto massiver wurde der Verlag als Staatsfeind gebrandmarkt.
Der Tabubruch begann 1993 mit der Veröffentlichung von "Tabu Armenien. Geschichte eines Völkermordes" des französischen Historikers Yves Ternon. Es folgten Bücher über die Massaker an Aleviten in der Provinz Dersim und Werke von Georgios Andreadis über die Massenvernichtung von Griechen an der anatolischen Schwarzmeerküste.
"Daraufhin wurde Andreadis zur persona non grata erklärt. Sein Einreiseverbot dauerte über zwanzig Jahre bis zu seinem Tod." Yves Ternons Buch löste Entrüstung bei den Behörden und den extremen Rechten aus. Belge wurde immer weiter in die Isolation gedrängt. Die gesamte Linke ließ den Verlag im Stich. Laut Zarakolu war die fehlende Solidarität sehr schmerzhaft.
"Wenn man ein Menschenrechtsaktivist ist und die UN-Menschenrechtscharta gelesen hat, ist es eine Schande, nicht tätig zu werden", sagt Zarakolu, wenn man ihn nach seinem hartnäckigen Engagement befragt. "Für uns war es nie hinnehmbar, dass der Genozid an den Armeniern ein Tabu ist. Einige Intellektuelle bezichtigten einen auch der Besessenheit oder Weinerlichkeit, wenn man das Thema erwähnte. Für die Linken, unter ihnen sogar Armenier, war die Zukunft viel wichtiger."
Belge brach noch ein weiteres Tabu, die Immunität des Militärs, der Verlag veröffentlichte einen Bericht der Human Rights Watch über die Gräueltaten in kurdischen Dörfern in den Neunzigerjahren. "Wir zahlten einen hohen Preis dafür, aber bekamen vor dem Europäischen Gerichtshof recht. Belge half dabei, das Tabu im Umgang mit den Kurden zu brechen."
Jedes Gericht kann jedes Buch beschlagnahmen lassen - wie unter der Militärdiktatur
Belge sticht außerdem mit seinem Portfolio über die verlorene Geschichte asiatischer Minderheiten heraus. Eine unglaubliche Leistung, ein Ausdruck von intellektuellem Mut gegen alle Widrigkeiten - und ein stichhaltiger Grund, ins Kreuzfeuer zu geraten, sobald Gegenwind von Tyrannen weht. "Die Publikationsfreiheit ist in der Türkei gefährdet", schließt Ragıp.
"Seit dem letztjährigen Putschversuch wurden bereits 29 Verlage geschlossen und ihr Kapital beschlagnahmt. Das türkische Gesetz sieht eigentlich vor, dass Bücher, die nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach Erscheinen beschlagnahmt werden, Immunität erlangen und eine Anklage nicht mehr möglich ist. Jetzt kann jedes Gericht in der Türkei eine Beschlagnahmung anordnen. Dasselbe passierte während des Militärregimes in den Achtzigerjahren."
Er spricht leise weiter: "Ich befürchte, dass dieses Land niemals in der Lage sein wird, sich zum Besseren zu wenden. Das Glück suchen wir, das Unglück sucht uns."
Der Autor ist Journalist und Träger des European Press Prize. Er hält sich derzeit außerhalb der Türkei auf. Deutsch von Sofia Glasl.
- "Jetzt droht eine eiserne Zeit" (I)
- "Der Türkei droht das Ende eines unabhängigen Journalismus" (II)
- "Wir haben es mit massiven 'Säuberungen' zu tun" (III)
- "Die Verhaftungswellen hören nicht auf" (IV)
- "Ausnahme ist kein Zustand" (V)
- "Erdoğan treibt die türkischen Eliten ins Ausland" (VI)
- "Die Hexenjagd hat begonnen" (VII)
- "Erdoğan regiert per Dekret - was das heißt, weiß in der Türkei jeder" (VIII)
- "Erdoğan vollzieht den 'zivilen Staatsstreich'" (IX)
- "Erdoğan begünstigt Manipulation und Desinformation" (X)
- "Schweigen ist jetzt der Feind der Demokratie" (XI)
- "Die Türkei nimmt Angehörige in Geiselhaft" (XII)
- "'Sie werden sterben wie Kanalratten'" (XIII)
- "Wo sind die AKP-Mitglieder, die am Putsch teilgenommen haben?" (XIV)
- "Italien sollte sich lieber um die eigene Mafia kümmern" (XV)
- "Warum man Erdoğan nicht trauen kann" (XVI)
- "Du bist als nächstes dran" (XVII)
- "Wir wollen Exekutionen" (XVIII)
- "Jeder ist verdächtig" (XIX)
- "Exodus der türkischen Elite" (XX)
- "Ist es ein Verbrechen, mit einem Reporter verheiratet zu sein?" (XXI)
- "Erdoğan hält die Massen in explosiver Hypnose" (XXII)
- "Es ist Zeit aufzuwachen" (XXIII)
- Türkische Chronik (I): Wie die AKP Verschwörungstheorien über den Putsch befeuert
- Enteignungen wie im Osmanischen Reich (II)
- Haftbefehl ohne Grund (III)
- Man muss die Dinge beim Namen nennen (IV)
- Die alten Foltermethoden sind zurück in der Türkei (V)
- "Man sollte uns unseren richtigen Job machen lassen" (VI)
- Türkei zieht Schrauben der Unterdrückung weiter an (VII)
- "Bedauerlich, dass wir Journalisten das Hauptthema der Nachrichten sind"(VIII)
- Erdoğan plant eine Islamisierung der Schulen (IX)
- Was geschah wirklich in der Nacht vom 15. Juli? (X)
- Die Türkei steht kurz vor einem Bürgerkrieg (XI)
- Wie lange wird die EU der schrecklichen Eskalation standhalten? (XII)
- Verhaftete türkische Journalisten sollten Ehrenbürger werden (XIII)
- Die Kurden verlieren ihre Heimat (XIV)
- Erdoğan fegt sie einfach weg (XV)
- Erdoğan und Trump - Die Zeichen stehen auf hässliche Realpolitik (XVI)
- War der Militärputsch vorhersehbar? (XVII)
- Demokratie in der Türkei - wenn alles zerrinnt (XVIII)
- Russland wird seine Chance nutzen (XIX)
- Das Jahr eines intensiven Albtraums (XX)
- Die AKP erntet, was sie gesät hat (XXI)
- Erdoğan nähert sich seinem Ziel (XXII)
- Der Todeskampf des türkischen Schulsystems (XXIII)
- Jazz war Aktionismus (XXIV)
- Scheidung - und dann? (XXV)
- Sie wollen alle Fremdkörper "entfernen" (XXVI)
- Das Land der Fäulnis (XXVII)
- Nur noch ein kurzer Weg zum Faschismus (XXVIII)
- Die Presse als erstes Angriffsziel (XXIX)
- Prozess als Farce (XXX)
- Die neuen Jungtürken aus Köln (XXXI)
- Berufsverbot für Akademiker (XXXII)
- Dinner mit den Underdogs (XXXIII)
- Das Bangen vor dem Referendum (XXXIV)
- Mit der Türkei, wie wir sie kennen, ist es vorbei (XXXV)
- Die Unterdrückten werden ihre innere Stärke wiederfinden (XXXVI)
- Man muss auf eine demokratische Alternative hoffen (XXXVII)
- Wie weit kann man die Grausamkeit noch treiben? (XXXVIII)
- Bücher in die Verbannung (XXXIX)
- Rechtfertigen Erdoğans Schikanen einen Hungerstreik? (XL)
- Wer gegen Erdoğan ist, muss hungern (XLI)
- Jetzt wurde auch noch ein UN-Richter verurteilt (XLII)
- Das Messer hat den Knochen getroffen (XLIII)
- "Es wird ein Tag kommen, an dem das Land explodiert" (XLIV)
- Die Türkei leidet an einem geistigen Ausnahmezustand (XLV)
- Was wir verloren haben, ist schwer wieder herzustellen (XLVI)
- Erdoğan ist das personifizierte Problem der Türkei (XLVII)
- Warum im Ausland lebende Türken an ihrer Liebe zu Erdoğan festhalten (XLVIII)
- Erdoğans neuer Staat naht (XLIX)