Kolumne "Trans Atlantik Express":Schreib doch drüber

Lesezeit: 4 Min.

Berühmt werden in Hollywood? Wäre sicher drin gewesen, wenn einem das Leben nicht wieder so übel mitgespielt hätte. (Foto: Sean Pavone/mauritius images / Alamy)

An der Westküste geht der Kampf weiter: Gegen miese Vermieter, verschwitzte Deadlines, fehlende blaue Häkchen und andere Ungerechtigkeiten des Lebens.

Gastbeitrag von Kristen Roupenian

Nach einer Trennung, nach Covid, nach einer Menge anderem sinnlosen Mist, über den es sich hier nicht zu reden lohnt, beschloss ich diesen Monat nach Los Angeles zu fahren, wie eine kränkelnde kleine Zimmerpflanze musste ich mal raus und brauchte ein bisschen mehr Wasser, Luft und Sonne. Leider, und völlig dem Geist dieses Jahres entsprechend, lief das überhaupt nicht wie geplant.

In meinem atemberaubend teuren Airbnb angekommen, fand ich heraus, dass es überhaupt nicht aussah wie im Internet gezeigt und widmete mich mit verbissener und unbeirrbarer Hingabe dem Kampf auf immer höheren Ebenen des Kundenservice-Labyrinths von Airbnb, weil ich annahm, die Lage noch zu meinen Gunsten wenden zu können. Spoiler: konnte ich nicht. Bevor ich dann doch aufgab, verlor ich mehr als 1000 Dollar und gefühlt Jahre meines Lebens.

Nachdem sie mich während des ganzen Martyriums hatten schimpfen hören, wie furchtbar ich von den auf anderen Kontinenten arbeitenden Niedriglohn-Beschäftigten eines bösen Großkonzerns behandelt worden war, versuchten mich meine Freunde sanft in eine andere Richtung zu lenken, indem sie sagten: Schreib doch drüber! Was, wie ich herausgefunden habe, nur eine andere Art ist zu sagen: Es ist dir offensichtlich wichtig, wie diese Angelegenheit ausgeht, die dir anscheinend bedeutsamer vorkommt, als alles andere in deinem Leben, hast du denn keine Arbeit, in der du diese Besessenheit womöglich ausleben kannst? Wieso, ja, HABE ICH.

Die Frage warf mich um: Was mache ich eigentlich die ganze Zeit?

Und jetzt kann ich diese wichtige Geschichte endlich in die Öffentlichkeit tragen: Es gibt ein Airbnb an der Lobdell Street in Echo Park, von dem ich zu 99 Prozent sicher bin, dass es momentan gegen das Gesetz verstößt, das in Los Angeles die Kurzzeit-Vermietung regelt! Und außerdem sehen die Möbel da gar nicht aus, wie auf den Bildern!! Und die Gastgeber waren fies zu mir, als ich darauf hinwies!!! Und Airbnb hat sich auf ihre Seite geschlagen, obwohl ich es BEWEISEN kann!!!!

Ja, genau. Hoffentlich bewirkt dieser Text, dass sie alle ins Gefängnis wandern.

Als ich unterdessen eine kleine Pause brauchte von meinem neuen Job als knallharte Investigativjournalistin im Bereich Tech- und Immobilienbranche, traf ich mich zum Kaffee mit einem Freund, der mich fragte: "Na, mit was verbringst du denn in New York deine Zeit?" (vermutlich wollte er sagen: wenn du dich nicht selbstlos in den Kampf gegen verlogene Vermieter und die Macht gieriger Konzerne stürzt).

Komischerweise haute mich die Frage ziemlich um: Was mache ich eigentlich die ganze Zeit? Ich erinnerte mich vage, dass ich auf der Couch gesessen, geweint und stundenlang in mein Tagebuch geschrieben hatte, auf wie viele Arten mir Unrecht geschah in der Welt, aber ich hatte das nagende Gefühl, dass ich gelegentlich noch etwas anderes gemacht hatte. Die Frage wurmte mich den ganzen Heimweg: New York... weg von der Couch... Hosen anziehen... Kultur... oh, fuck.

Kristen Roupenian ist Schriftstellerin. In ihrer SZ-Kolumne "Trans Atlantik Express" berichtet sie alle vier Wochen aus dem New Yorker Kulturleben. (Foto: privat)

Meine Kulturkolumne war in drei Tagen fällig und dabei hatte ich überhaupt keine Kultur konsumiert. Die nächsten paar Stunden verbrachte ich damit, auf meinem Telefon herumzuscrollen und in verschiedenen Kombinationen zu googeln: kultur veranstaltungen was unternehmen LA freitag nacht. Alles was ich finden konnte, waren Club Nights die lang nach meiner Bettgehzeit erst anfingen, aber es gab auch eine Comedyshow von einem Mädchen, das mir entfernt bekannt vorkam, und dann fiel mir wieder ein, dass das daher kam, dass sie der Star in einem Film ist, der demnächst herauskommt, und den ich tatsächlich geschrieben habe.

Ich habe sie zuerst nicht erkannt, weil ich schon vor Jahren aus der Filmproduktion geflogen bin und - wie es so meine Art ist bei Zurückweisungen - wild hin-und hergerissen war, ob ich mich hineinsteigern sollte, bis ich deswegen schäumte vor Wut, um dann aber gleich zu tun, als sei es nie passiert.

Die Show war ausverkauft, aber ich dachte: Ich bin eine Kulturkolumnistin und Schriftstellerin mit nicht unbeträchtlichem Sozialprestige, dafür ist doch bestimmt Instagram da. Ich drückte auf "Folgen" und tippte eine charmante Nachricht, in der ich mich als die Person vorstellte, von der Wikipedia immer noch fälschlich annahm, sie habe ihren Film geschrieben und vorschlug, sie möge mir ein paar übrige Tickets für ihre Show schicken, damit ich für diese deutsche Zeitung darüber schreiben könnte.

Was könnte narzisstischer und mehr LA sein?

Leider, sei es weil LA eine geistlose kulturelle Wüste ist, in der die Autoren als die verzichtbarsten Figuren des Filmemachens gelten, oder weil ich nicht dieses blaue Häkchen habe, das zeigt, dass man eine Berühmtheit ist, die andere Berühmtheiten zur Kenntnis nehmen sollten, wenn man ihnen Nachrichten schreibt, oder aus irgendeinem anderen unbegreiflichen Grund schrieb die Schauspielerin nicht zurück.

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Hier war ich also, in LA, 24 Stunden vor Abgabe, ohne Ticket für irgendeine Kulturveranstaltung und mit nichts, worüber ich schreiben könnte! Ich hatte ein Riesenproblem. Es war fast so weit, dass ich ins Museum hätte gehen müssen oder so etwas. Dann aber! Habe ich nicht gesagt, dass ich aus diesem Film geflogen bin? Und dass ich eine leidenschaftliche Kämpferin für Recht und Gerechtigkeit bin?? Bevor ich gefeuert wurde, hatte ich einen Vertrag unterschrieben, den alle (also mein Agent und mein Anwalt) übereinstimmend mies und ungerecht finden, und ich war das letzte Jahr mit einer Reihe Rechtsstreitigkeiten beschäftigt, um doch noch zu kriegen, was ich VERDIENT habe (also ein paar tausend Dollar und wenigstens die Chance als Drehbuchautorin im Abspann in Frage zu kommen).

Im Laufe dessen und nachdem ich Monaten gebettelt, argumentiert und auf meine Freunde eingeschimpft hatte, die immer versuchten, das Gespräch zu beenden, indem sie sagten, Wow, das ist wirklich eine krasse Geschichte, du solltest drüber schreiben, bekam ich endlich einen supergeheimen Rohschnitt des Films in die Finger. Also hatte ich die brillante Idee, statt eine Kulturveranstaltung zu besuchen den Film anzuschauen, den ich selber geschrieben hatte (oder sowas in der Art) und darüber in meiner eigenen Kolumne zu schreiben. Was könnte narzisstischer und mehr LA sein, als das?

Weil es wie gesagt ein Rohschnitt war, den nur Leute sehen dürfen, die an dem Film beteiligt sind, und Leute, die bereit sind monatelange Rechtsstreits mit ihnen auszufechten um der Gerechtigkeit willen, kann ich Ihnen nicht viel davon erzählen. Aber ich muss sagen, dass [zensiert], und als ich da saß und sah wie [zensiert], hatte ich nur im Kopf, dass [zensiert]. Wissen Sie, was komisch ist - es ist sehr anstrengend und zeitraubend all diese Kämpfe für die Gerechtigkeit auszufechten und manchmal, wenn die Schlacht vorüber ist und man Zeit hat, darüber nachzudenken, worum es eigentlich geht, außer ums gottverdammte Prinzip einer Angelegenheit, für die man all seine Zeit und Energie aufgebracht hat, und dann denkt man: Vielleicht hätte ich einfach nur ins Museum gehen sollen.

Aus dem Englischen von Marie Schmidt

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