"The Woman King" im Kino:Der Kampf der Frauen

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Generalin Nanisca (Viola Davis) kämpft in "The Woman King" gegen den Sklavenhandel. Hier aber erst mal gegen die eigenen Nachbarn. (Foto: Ilze Kitshoff/Sony Pictures/AP)

In Westafrika verteidigte einst ein rein weibliches Regiment das Königreich Dahomey. Jetzt erzählt ein großartiger Hollywood-Film von ihnen.

Von Kathleen Hildebrand

Dass dieser Film einiges auf den Kopf stellt, was man von einem historischen Kostümdrama mit Actionszenen erwarten zu dürfen glaubt, lässt sich an einer Szene, etwa in der Mitte des Films, sehr schön festmachen. Da sitzt ein Stammesführer der mächtigen westafrikanischen Oyo mit einem brasilianischen Sklavenhändlerbürschchen am Tisch, es geht um Geld und das schmutzige Geschäft, an dem beide beteiligt sind. Der Brasilianer beklagt sich über die Briten, die sich gerade breitmachen in der transatlantischen Handelsschifffahrt. Aber der Oyo-Chef unterbricht ihn: "Eure Stammesstreitigkeiten interessieren uns nicht." Alles nur eine Frage der Perspektive.

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"The Woman King" kehrt noch mehr um als die Blickrichtung von Kolonisatoren und Kolonisierten. Der Film eröffnet mit einem Überraschungsangriff der Agojie auf ein verfeindetes Dorf. Plötzlich sind sie da, die gefürchteten weiblichen Kriegerinnen des Königs von Dahomey, die es bis Ende des 19. Jahrhunderts wirklich im heutigen Benin gegeben hat. Viola Davis erhebt sich als ihre Generalin Nanisca aus dem hohen Gras, stößt einen trillernden Kampfschrei aus und dann geht es zur Sache. Sie befreien eine Gruppe Gefangener, die als Sklaven an die Europäer verkauft werden sollten.

Dass Afrikaner selbst in den Sklavenhandel verstrickt waren und von ihm profitierten, macht der Film früh klar. Trotzdem haben Kritiker ihm Schönfärberei vorgeworfen. Nanisca beschützt nicht nur mit ihren Kriegerinnen das Königreich gegen die Oyo, sie ist auch Politikerin. Und als solche will sie König Ghezo dazu bringen, den Sklavenhandel zu beenden, den sie für einen Schandfleck ihres Volkes hält. Im Film gelingt ihr das. In Wahrheit hörte Dahomey erst mit dem Menschenhandel auf, als die Briten Mitte des 19. Jahrhunderts eine Seeblockade verhängten. Hier tauscht die sanft alternative Geschichtsschreibung des Films historische Korrektheit gegen eine klare Moral.

Auch in einem anderen Aspekt weicht der Film von den geschichtlichen Tatsachen ab: Alle Afrikaner sprechen in der Originalversion Englisch mit afrikanischem Akzent. Das mag als Ermächtigungsgeste gedacht sein - man identifiziert sich als Zuschauer leichter mit denen, die die eigene Sprache sprechen. Es führt aber in einen verrückten Wust aus Bedeutungsebenen. Englisch ist eine Sprache der Kolonisatoren Afrikas, aber nicht Benins, das Ende des 19. Jahrhunderts französisch wurde. Würden die Afrikaner einfach unmarkiertes Englisch sprechen, fiele das nicht auf. Ein Actionfilm, der auf ein großes Publikum abzielt, muss nicht untertitelt in authentischer Stammessprache daherkommen. Aber der afrikanische Akzent unterstreicht die Tatsache, dass hier eine bestimmte Sprache gesprochen wird, die ganz sicher nicht die der Dahomey ist. Kurz: Man beginnt als Zuschauer Fragen zu stellen - Fragen, die den Film offenbar nicht interessieren.

Die Geschichte, die Regisseurin Gina Prince-Bythewood ( "The Old Guard") hier ansonsten sehr effektiv erzählt, hat eine klassische Struktur, bei einem so ungewöhnlichen Stoff schadet das nicht. Zusammen mit der jungen Rekrutin Nawi betritt man die Welt der Agojie. Sie dürfen mit im königlichen Palast leben, abgeschirmt vom Volk und den Männern. Aber der Respekt, den man ihnen zollt, hat einen Preis: Die Agojie verpflichten sich auf Ehelosigkeit. Thuso Mbedu aus der Amazon-Serie "The Underground Railroad" spielt diese junge Nachwuchs-Amazone mit skeptischem Staunen und einer gewinnenden Widerborstigkeit. Ihr Vater hat sie kurzerhand am Palasttor abgegeben, weil sie sich seiner Anweisung, zu heiraten, widersetzt. Auch die letzte Überlebende der Agojie hieß Nawi, sie starb erst 1979, mit weit über 100 Jahren.

Viola Davis spielt Nanisca würdevoll, aber mit einer Traurigkeit in den Augen

Nawi durchläuft ein hartes Training bei den Agojie. Aus ihrer Begabung muss Können, aus Mädchenwut Disziplin werden. Ihre Mentorin Izogie wird mit großer, humorvoll-warmer Lässigkeit gespielt von Lashana Lynch, die im James-Bond-Film "Keine Zeit zu sterben" die neue 007 war. Man liebt sie sofort für ihre Mischung aus Warmherzigkeit und fröhlicher Brutalität. Ihre Fingernägel sind lang und spitz - für den Nahkampf. Denn, sagt sie: "Ohne Augen ist der Kampf schnell vorbei."

Über allem aber thront als Generalin Nanisca Viola Davis, von der man mittlerweile natürlich nichts anderes erwartet, als dass sie jeden Film dominiert, erhebt und ganz generell zu einem besseren macht. Muskulös ist sie hier und würdevoll, aber mit einer Traurigkeit im Blick, die in kurzen Trauma-Flashbacks mit dem Anführer der Oyo verknüpft wird. Nanisca ist eine Kriegerin mit vielen Narben.

Ihre Weltwundheit kontrastiert sehr schön mit dem immer etwas von sich selbst beschwipsten König Ghezo. John Boyega ("Star Wars") spielt ihn mit sichtlichem Vergnügen an der Ambivalenz. Ghezo fördert zwar die Agojie und vertraut auf Naniscas Wort. Aber ein Protofeminist ist er deshalb noch lange nicht. Als Nawi einen Wettstreit der Rekruten gewinnt, bei dem sie sich unter anderem durch fieses Dornengestrüpp kämpfen und eine haushohe Wand überwinden musste, scherzt er wie ein Boomer, der "Me Too" verpennt hat: Sie sei so hübsch, dass er sie zu einer seiner Ehefrauen machen würde - wenn sie nicht so viel könnte.

Bei aller Freude an den herrlich choreografierten Kampfszenen und dem gewaltigen Stolz, den die Agojie ausstrahlen: "The Woman King" tut dankenswerterweise nie so, als seien diese Amazonen nicht auch Teil des Systems, das alle Stämme, ob Dahomey, Oyo, Portugiesen oder Briten, fest im Griff hat: des Patriarchats.

The Woman King , USA 2022 - Regie: Gina Prince-Bythewood. Buch: Dana Stevens. Kamera: Polly Morgan. Mit: Viola Davis, Thuso Mbedu, Lashana Lynch, John Boyega. Sony, 135 Minuten. Kinostart: 6. Oktober 2022.

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