Ausstellung in Wien:Dr. Freud hat keinen Termin frei

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Als junger Künstler reiste Salvador dreimal nach Wien - um sich von Freud einen Korb zu holen. "Untitled" (1931) . (Foto: Peggy Guggenheim Collection, Venedig/Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí/Bildrecht, Wien 2022, VG Bild-Kunst, Bonn, 2022)

Salvador Dalí suchte die Nähe zur Psychoanalyse. Eine Ausstellung im Unteren Belvedere analysiert den Surrealismus aus Wiener Perspektive.

Von Almuth Spiegler

Selbst die Sachertorte, die der junge Salvador Dalí "eilig in den kurzen Zwischenräumen aß", als er sich von einem Antiquitätenhändler zum nächsten treiben ließ, als er erneut Vermeers "Malkunst" besuchte, besaß einen "leicht bitteren Geschmack". Wieder war er in Wien, wieder war er nicht vorgelassen worden beim Professor seiner Träume, bei Sigmund Freud, dessen Schriften ihm seit 1926, da war er Anfang 20, den Mut gaben, die inneren Bilder auf der Leinwand zu bannen. Wegen dieser "Farce des nie stattgefundenen Treffens" schienen ihm seine drei Wien-Reisen aber wie "Wassertropfen, denen die Reflexe fehlten, die sie zum Glitzern bringen". So beschrieb Dalí es jedenfalls in seiner Autobiografie.

Man verlässt die ganz in Rot getauchten Säle mit einem leichten Schauer

Eine sehr sinnlich, ganz in tiefes Rot getauchte Ausstellung, mit der das Untere Belvedere nach eineinhalb Jahren Umbau wieder eröffnet, soll jetzt zumindest posthum den Glitzer verleihen: Seit 2014 trägt sich das Belvedere bereits mit dem Gedanken dieser Innenschau auf nur rund zehn Jahre freudianischen Frühwerks des surrealistischen Posterboys herum.

Man beauftragte damit einen externen Fachmann, der auch gute Kontakte zu privaten Leihgebern mitbrachte, den emeritierten spanischen Kunstgeschichte-Professor Jaime Brihuega Sierra. Die Geschichte, deren Bogen er mit 100 Exponaten, darunter viel Archivmaterial, aber auch 18 Dalí-Gemälden, zu spannen weiß, zieht einen nicht nur in Biografien, Kunst und Kulturgeschichte der 1920er und 1930er Jahre hinein, auch dank der gelungenen möbelhaften Präsentation von "Margula Architects". Sie hinterlässt einen sogar mit leichtem Schauer am Rücken.

Erst aber lernt man Dalís Familie kennen, den Seeigel schmausenden Patriarchen, der den Sohn, dessen älterer Bruder, dessen Mutter bereits gestorben waren, verstieß als dieser die reifere Gala Éluard kennenlernte, um mit ihr sein Leben zu verbringen. Worauf Dalí sich den Haarschopf rasierte, diesen mitsamt einer Ration geleerter Seeigel begrub, und mit seiner Göttin Madrid in Richtung Paris verließ. Dort schloss er sich den Surrealisten rund um André Breton an, denen vor seinen fäkalen Fetischfantasien wie in "Das finstere Spiel" - nach 20 Jahren in Wien erstmals wieder öffentlich zu sehen - grauste. Das alles passierte in nur einem Jahr, 1929, sicher zentral für diese Phase, in der Dalí nach von Picasso geprägten Anfängen seinen eigenen Stil, seine eigene Ikonografie, seine Methode fand, genannt die "paranoisch-kritische".

Elefant oder Nackte? Der Maler liebte das Vexierbild

Dalí verbindet Irrationalität und Wahn mit größter Präzision, um das Bewusstsein der Betrachter auszutricksen, ihnen dermaßen viele Wahrnehmungsmöglichkeiten in einem Bild zu bieten, dass er schließlich erkennt, was er wirklich sehen "will". Die nackte Frau etwa, die Dalí grisailleartig an einen Baumstamm schmiegt. Die Elefanten, die sich aus dem Spiegelbild von Schwänen ergeben - der Maler liebt das Spiel mit dem Vexierbild. Die Bedeutung des Traums an sich, das verschlüsselt Verdrängte, das sexuelle Begehren nach den Eltern, die Reue, die Kastrationsangst, all das sind Schlüsselbegriffe zum Verständnis von Dalís Bildern, die er in vielen Titeln auch freimütig nennt.

Sigmund Freud interessierte sich schlicht nicht für den Surrealismus und Gemälde wie Salvador Dalis "L'homme poisson" (1932). (Foto: bpk/Hamburger Kunsthalle/Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí/Bildrecht, Wien 2022, VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Für Sigmund Freud selbst war das alles völlig uninteressant, überhaupt verstand er nicht, warum diese Surrealisten ihn auf ihren Schild hoben, was für Kunst sie aus der Psychoanalyse gewinnen wollten. An Breton schrieb er noch versöhnlich: "Vielleicht brauch ich, der ich der Kunst so fern stehe es gar nicht zu begreifen." Was wohl vor allem höflich sein sollte, denn Freud liebte es, die Alten Meister zu analysieren, den Moses des Michelangelo, Anna Selbdritt von Leonardo. Die Produktion der Surrealisten schien ihm wohl so langweilig wie künstlerisch fragwürdig, das Unbewusste allzu vordergründig. Er gehörte einer anderen Generation an, der, die auf ihren Schreibtischen noch antike Plastiken arrangierten.

Erst in London wurde der Künstler bei Sigmund Freud vorgelassen

In dieser Antiken-Sammlung befand sich allerdings auch eine einzelne Hand, deren Finger ein Ei halten. Womit wir beim Schauer am Ende dieser Schau wären. 1938 kam es trotz der vergeblichen Versuche in Wien doch noch zu einem Treffen zwischen Dalí und Freud: Auf Vermittlung von Stefan Zweig wurde Dalí im Londoner Exil empfangen. Um Freud seine "paranoisch-kritische Methode" zu demonstrieren, hatte er das Bild "Die Metamorphose des Narziss" im Gepäck. Hauptmotiv darauf: Eine Hand, deren Finger ein Ei halten. Eine erstaunliche, vorsehungshafte Parallele, die bei dem Treffen unerkannt blieb, jedenfalls wurde nirgends davon berichtet. Entdeckt hat sie Kurator Brihuega Sierra, der die Plastik aus dem Londoner Freud-Museum auch gleich entlieh. Nur Dalís Narzissen-Metamorphose hat die Tate Modern nicht herausgerückt, sie grüßt nur als Wandtapete. Sonst wäre der Spuk perfekt.

Die finale Wunscherfüllung Dalís markiert auch das Ende seiner freudianischen Hauptphase, er ging ernüchtert aus dem Gespräch mit dem Schwerkranken hinaus, das nur stockend in Gang kam. Immerhin konnte Dalí ihn noch rasch skizzieren, wobei Freud der "fanatische Blick" des jungen Mannes auffiel. Wenn die in Spanien alle so aussehen, bemerkte er zu seinen Besuchern politisch nicht sonderlich korrekt, brauche es einen wenig wundern, dass in Spanien Bürgerkrieg herrsche.

Die fast obsessive Beziehung zu Freud wird nicht nur im Archivmaterial, sondern auch in Salvador Dalís Gemälden sichtbar: "L'homme poisson" (1930) . (Foto: Meadows Museum/Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí/Bildrecht, Wien 2022, VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Die Begegnung brachte dennoch eine überraschende Wende in Freuds prinzipielle Surrealisten-Skepsis. Am Tag darauf schrieb er Stefan Zweig: "Ich darf Ihnen für die Fügung danken, die die gestrigen Besucher zu mir gebracht hat. Denn bis dahin war ich geneigt, die Surrealisten, die mich scheinbar zum Schutzpatron gewählt haben, für absolute (sagen wir 95 Prozent wie beim Alkohol) Narren zu halten. Der junge Spanier mit seinen treuherzig fanatischen Augen und seiner unleugbar technischen Meisterschaft hat mir eine andere Schätzung nahe gelegt. Es wäre in der Tat sehr interessant, die Entstehung eines solchen Bildes analytisch zu erforschen."

Dazu sollte es nicht mehr kommen. Ein Jahr später war Freud schon tot. Das Verhältnis zu den Surrealisten musste also ein einseitiges bleiben. Anlass genug für die Freud Museen in London und demnächst auch in Wien, Ausstellungen über die surrealistische Obsession mit dem Traumdeuter zu veranstalten. Mit seinem späten Interesse im Ohr, kann man deren bewusstem Kalkül, mehr Besucher auf die Couch zu ziehen, durchaus gelassen entgegen blicken. Ja, es legitimiert sie durchaus.

Dalí - Freud. Eine Obession , Unteres Belvedere, Orangerie, bis 29. Mai. Katalog: Verlag Walther & Franz König, 332 Seiten, 34 Euro. Surreal! Vorstellung neuer Wirklichkeiten , Sigmund Freud Museum Wien mit Werken aus der Sammlung Klewan, von 5. Mai bis 16. Oktober 2022

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