Salvador Dalí:Die Welt schuldete ihm seine Verrücktheit

Vom Schatzsucher des Unbewussten zum Atombomben-Mystiker: Am Dienstag wäre Salvador Dalí hundert Jahre alt geworden.

Von Wieland Schmied

Wir tun Salvador Dalí unrecht, wenn wir ihn nicht ernst nehmen. Er hat alles getan, um auf sich aufmerksam zu machen, und er hat sich dabei selbst zum Narren gemacht. Und doch war es ihm mit seinen Verrücktheiten ernst, wie es ihm mit der eigenen Person verdammt ernst war. Er wusste von früh an (ob wir es nun für Einbildung halten oder als Vorahnung nehmen), dass er ein Genie war, und er wollte um alles in der Welt Beachtung finden, und sei es um den Preis, dass man ihn für verrückt hielt und nicht ernst nahm.

Salvador Dalí

Salvador Dalí

(Foto: (Foto: AP))

Er hat mit der Verrücktheit gespielt, er hat sie instrumentalisiert und dort eingesetzt, wo sie ihm brauchbar erschien. Zum Beispiel bei der Selbst-Propaganda. Oder, noch wichtiger, beim Bildermachen. Darum sprach er schon zu Anfang der dreißiger Jahre von seiner "paranoisch-kritischen" Methode. Das klingt wie ein Widerspruch in sich. Paranoisch und kritisch, wie geht das zusammen? Was Dalí meinte, war ganz einfach: Er wollte den "verrückten" Bilderschatz des eigenen Unbewussten ans Licht holen und dabei die bewusste Kontrolle nicht verlieren.

Er wusste, was er machte, und cum grano salis dürfen wir sagen, er hat die Kontrolle über das eigene Tun und die eigenen Hervorbringungen nie verloren, in wie exzentrische Zonen ihn seine Eskapaden auch führen mochten.

Von Ruhmsucht besessen

Wir müssen uns den jungen Salvador Dalí als einen schüchternen Menschen vorstellen. Aber als einen Schüchternen, der seine Schüchternheit unter allen Umständen überwinden wollte, jedenfalls, soweit sie der Verbreitung seines Ruhmes im Wege stand. Er war besessen, aber nicht von Wahnsinn, sondern von Ruhmsucht. Er fühlte sich als ein Genie in einer stumpfen Welt, deshalb wollte er auf eine subtile Weise laut sein. Lieber nahm er jedoch einen Verlust an Subtilität in Kauf, als dass er auf die unmittelbare Wirkung verzichtet hätte. Wenn es nicht anders ging, musste die Welt (wie er sie verstand) eben mit ihren eigenen Waffen geschlagen werden.

Die Ruhmsucht hat Salvador Dalí früh zu seiner Eigenart und Größe geführt, und sie hat in späteren Jahren jenen Abstieg bedingt, der ihm in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer Karikatur seiner selbst machen sollte, zu einer Figur, die eben dem Zoo eines Walt Disney als der Realität entsprungen schien - nicht zufällig haben Dalí und Disney den Kontakt zueinander gesucht.

Wenn wir heute, an dem Tag, an dem er hundert Jahre alt geworden wäre (er starb 1989), von Salvador Dalí sprechen, sollten wir zunächst fragen: von welchem Salvador Dalí? Wenngleich ohne Zweifel die widersprüchlichsten Züge seines Wesens von Anfang an in ihm angelegt waren, so sind sie doch im Laufe seines Lebens in unterschiedlicher Dosierung hervorgetreten. Deshalb macht es Sinn, wenn wir denn überhaupt in dieser komplexen Existenz nach Ordnung suchen dürfen, sein künstlerisches Dasein in zwei etwa gleich große Hälften zu gliedern.

Radikale Kehrtwende

Die Trennungslinie würde dann durch das Jahr 1945 markiert, in dem Dalí 41 Jahre alt geworden war. Sie lässt sich sogar an einem ganz bestimmten Datum festmachen: am Abwurf der ersten Atombombe auf die japanische Stadt Hiroshima. Dalí selbst hat dieses Ereignis als einschneidendes Faktum seiner künstlerischen Entwicklung gesehen. Hatte er bis dahin seine eigenen Traumata gnadenlos ausgebeutet - der besagten "paranoisch-kritischen" Methode verpflichtet -, so war er fortan bestrebt, sich der Außenwelt und den von ihr angebotenen Bildern zuzuwenden. Fortan beherrschte ihn, was er seine "nukleare Mystik" nannte, die schließlich - 1951 - in das so genannte "Mystische Manifest" mündete, das er der frühen "Unabhängigkeitserklärung der Phantasie" entgegensetzte.

Mag sein, dass er damals den Bilderschatz des Unbewussten als erschöpft betrachtete. Er war tatsächlich ausgelaugt und sollte fortan nur noch in der am Ende massenhaft produzierten Druckgrafik fortleben. Jedenfalls vollzog er eine radikale Kehrtwende. Die Atomphysik beschäftigte ihn auf Jahre hinaus intensiver als die einst so gepriesene Psychoanalyse. Dalí war ein belesener, partiell hochgebildeter Mann, der freilich alles tat, um nicht als Intellektueller zu erscheinen. Der introspektiv orientierte Künstler wandelte sich zu zum Allegoriker, der mit Rätseln jonglierte, die alle längst nicht so verschlüsselt waren wie die Mysterien der frühen Gemälde - und aus dem einstigen Surrealisten wurde - zumindest äußerlich - ein Katholik mit der Vorliebe für pompöse Rituale und glitzernde Orden.

Makabere Spiele

Wenn es etwas gibt, das beide Teile der künstlerischen Produktion Dalís verbindet, die verstörenden Bilder der anderthalb Jahrzehnte 1929 bis 1945, seiner eigentlichen "Geniezeit", und die späteren Inszenierungen der einmal gemachten Funde wie der weichen Uhren und der von Krücken gestützten, überlangen menschlichen Extremitäten - jetzt angereichert um die "nukleare" Fragmentierung körperlicher Volumen -, dann ist es die Raumbühne, auf der die makabren Spiele angesiedelt sind.

Es ist die Szenerie seiner engeren Heimat zwischen Figueres, dem Geburtsort, und Cadaques-Port Lligat, wo er sich in einer ständig erweiterten und ausgebauten ehemaligen Fischerhütte am Meer niedergelassen hatte und einen beträchtlichen Teil seines Lebens verbrachte. Es ist die Ebene von Ampurdan, mit der felsigen Küste Kataloniens, der Costa Brava, am Horizont. Sie hat Dalí über alles geliebt, und aus ihr hat er sein Schicksal zu erklären versucht. Über diese Landschaft weht von Zeit zu Zeit die Tramuntana, ein heftiger, sich zum Sturm steigender Wind, der aus Norden kommt und über die Pyrenäen hinwegzieht.

Dalí wollte, was kein Verrückter je gewollt hat: der Welt erklären, dass es im Grunde selbstverständlich sei, dass man ihn zu den Verrückten zählte, weil in dem Landstrich im Nordosten Spaniens, aus dem er stammte, dank des Tramuntana alle von Verrücktheit befallen seien. Und es klang so, als wollte er sagen, dass er Anspruch auf seine Verrücktheit habe, dass sie ihm zustehe wie ein Stück Land, wie etwas, dass die Welt ihm schuldig war.

Seltsam, dass die Welt es genauso empfunden hat und ihm den geforderten Tribut nicht schuldig geblieben ist - bis heute.

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