Favoriten der Woche:Einblicke in die Einsamkeitsmaschine

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"Wer rausgeht, verrät die Gemeinschaft", sagt Nicolai Boudaghi, ehemals im Vorstand des AfD-Bezirks Düsseldorf. (Foto: MDR/Hoferichter&Jacobs)

Sechs ehemals leitende Funktionäre sprechen über die AfD wie über eine Sekte - und über den Parteitag, bei dem Alice Weidel angeblich weinte. Diese und weitere Empfehlungen aus dem SZ-Feuilleton.

Von Philipp Bovermann, Harald Eggebrecht, Gerhard Matzig, Felix Stephan und Susan Vahabzadeh

Doku: "Wir waren in der AfD - Aussteiger berichten"

Die AfD wurde lange Zeit behandelt, als sei sie ein Sonderbezirk politischer Mutanten. Etwas, was weit weg ist - und eben nicht: ein agitatorisches Organisationszentrum in der Mitte einer verrohenden Gesellschaft. Der Dokumentarfilm "Wir waren in der AfD", abrufbar in der ARD-Mediathek, berichtet aus dem Inneren dieses Zentrums. Sechs teils leitende ehemalige Parteifunktionäre treten darin auf.

Durch den Exit werden daraus noch keine Linken, hier werden keine Konversionsgeschichten erzählt, umso mehr lohnt es sich, ihnen zuzuhören. Da ist zum Beispiel Alexander Leschik, ehemals im Bundesvorstand der Jungen Alternative, ein junger Mann mit Konfirmandenhabitus, der berichtet, wie auch die Bürgerlichen ihren Schrecken vor den Faschisten in der Partei verloren hätten, als sie erlebten, wie Rentner auf dem Weg zum Parteitag von linken Aktivisten bespuckt und geschubst worden seien. Die öffentlichen Anfeindungen hätten die Partei "über Jahre hinweg zusammengehalten". Man habe die Vermummten bei den Gegendemos gesehen und sich gedacht: "Dann ist es ja auch legitim, dass wir bei uns diese Ränder haben."

Aus dem Inneren der so sich schließenden Wagenburg berichtet vor allem Franziska Schreiber lebhaft, sie war ebenfalls im Bundesvorstand der Jungen Alternative. Freunde und Familie hätten den Kontakt zu ihr abgebrochen, sagt sie, dahinter stecke auch eine Strategie der Partei: "Man möchte nicht, dass AfD-Mitglieder ein großes Sozialleben außerhalb der Partei haben, man möchte die schön an sich binden." Neue Mitglieder würden gelockt, sich auch mal rhetorisch gehen zu lassen, zufällig filmt das jemand, schon gibt es kein Zurück mehr. Irgendwann dann: Hitlergrüße als interne Mutprobe, als Vertrauensbeweis. Draußen nur Feinde, innen nur Liebe. Was sie beschreibt, klingt wie eine Sekte.

Viel erfährt man in diesem Film, etwa über die unsagbare Selbstgefälligkeit eines Jörg Meuthen, der sich im Interview immer noch freut über seine spontane Wortschöpfung des "linksgrünversifften" Deutschlands. Oder über den Parteitag, auf dem Alice Weidel angeblich weinte. Vor allem eins aber bleibt hängen: Die AfD ist eine Einsamkeitsmaschine: Sie zieht einsame Menschen an - um sie noch einsamer zu machen. Philipp Bovermann

Ausstellung: "Rudolf Levy - Magier der Farbe"

"Blick auf die Bucht von Rapallo" (1933) von Rudolf Levy. (Foto: Serge Alain Domingie/Electa Archiv/Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern/dpa/Electa Archiv)

Die erste Einzelausstellung überhaupt in Deutschland und damit grundlegend zu Werk und Person von Rudolf Levy, 1875 in Stettin geboren und 1944 in Auschwitz ermordet, bietet die Pfalzgalerie Kaiserslautern mit vorzüglich erarbeitetem Katalog. Es lohnt sich (noch bis zum 25. Februar), diesen großartigen Maler zu entdecken, der auch bei Henri Matisse studierte. Farbenglühende Landschaften, pointierte Stillleben und tiefenscharfe Porträts zeigen die Kunst ständiger Verwandlung, mal im Stil französischer Moderne nach 1900, mal neusachlich wie in Berlins Zwanzigerjahren. Doch alle Mixturen sind stets höchst persönlich geprägt von Levys Farbsensibilität und seinem neugierigen Blick. Am Ende das letzte Selbstporträt, das Maske und Frage zugleich zu sein scheint: Was geschieht mit mir und meinem Gesicht? Harald Eggebrecht

Architektur: Schule der Zeit-Verschwendung

Ein großer Beton-Rahmen, darin Gewächshaus, Baumhaus, eine Art Kokon - und viel Platz, um einfach mal gar nichts zu tun: die Huizhen High School in Ningbo, China. (Foto: Approach Design Studio)

"Ein Kind", sagt das schwedische Sprichwort, "hat drei Lehrer: Der erste Lehrer sind die anderen Kinder. Der zweite Lehrer ist der Lehrer. Der dritte Lehrer ist der Raum." Die bemerkenswerte Schule, die in der ostchinesischen Küstenstadt Ningbo als Hommage an den Raum entstanden ist, ist insofern ein asiatisch-skandinavisches Gemeinschaftswerk. Und weil die skandinavischen Länder früher, zuletzt aber vor allem asiatische Schulsysteme in den üblichen Bildungssystem-Tests oft deutlich vor Deutschland rangierten: Wie wäre es, wenn man mal ein Sprichwort ernst nimmt - und ein Klischee überprüft?

Etwa das Klischee, wonach asiatische Schüler nur deshalb so erfolgreich seien, weil man sie eben von früh bis spät drillen würde. Die Schulen dort, heißt es oft, seien keine Schulen, sondern Kasernen. Für die Internatsschule in Ningbo, die nach einem Entwurf aus dem Büro Approach Design Studio (Hangzhou) realisiert wurde, gilt das nicht. Im Gegenteil: Der offene Raum sei "bewusst ineffizient gestaltet"; er solle dazu einladen, so die Architekten laut Baunetz, "Zeit zu verschwenden". Die Huizhen High School ist - abseits der üblichen Schulräume - eine Mischung aus Märchenwald, Kletterhalle und Freizeitcenter.

Der Campus wird dominiert von einem Stahlbetonriegel, der wie ein Rahmen wirkt. Darin haben die Planer diverse Substrukturen angeordnet: Gewächshaus, Baumhaus, eine Art Kokon, Rampen, Treppen ... und Grün. Sogar die Stahlbetonstützen wirken wie Bäume. Das Ganze soll eingewachsen zum "schwebenden Wald" werden - räumlich so offen, dass man darin zwar viel Zeit verbringen kann, aber nicht unbedingt nach Lehrplan. Das Ziel sei es, den Schülerinnen und Schülern als Ausgleich zum Leistungsdruck eine Freifläche der Fantasie anzubieten, etwas Spielerisches und Anregendes. Eingedenk der trostlosen Pausenräume deutscher Schulen, die mehr Resträume als durchdachte Raumideen sind, kann man nur raten: Wer bessere Schüler in einem besseren Bildungssystem haben will, sollte auch (!) in bessere Schularchitektur investieren - in den dritten Lehrer. Gerhard Matzig

Film: Emma Stone und Yorgos Lanthimos

Emma Stone und Yorgos Lanthimos bei der Award-Show des American Film Institute am 12. Januar. (Foto: Mario Anzuoni/Reuters)

Emma Stone gehört zu den wenigen Stars, die sich aussuchen dürfen, was sie spielen, und sie sucht sich offensichtlich besonders gern jene Rollen aus, die ihr der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos auf den Leib schreibt. Gerade ist "Poor Things" bei uns ins Kino gekommen, in dem sie Bella Baxter spielt, die im viktorianischen England furchtlos erwachsen wird, ein Kind in einem fertigen Körper. "The Favourite", die erste Zusammenarbeit von Stone und Lanthimos, ist ab 23. Januar bei Netflix zu sehen. Da arbeitet sie sich intrigant nach oben, vom Küchenboden in die Gemächer von Königin Anne. Sie schätzt die Geschichten von Lanthimos, sagt Stone, weil sein Blick auf Frauen sehr komplex sei. Eine weitere Zusammenarbeit ist in Planung. Susan Vahabzadeh

Verlag: TOC Publishing

Bitte schön teuer: Druckerzeugnisse von TOC Publishing. (Foto: TOC)

Die Buchbranche wird seit einigen Jahren von der Großentwicklung bestimmt, dass zwar immer weniger Menschen Bücher kaufen, die verbliebenen Kunden aber bereit sind, im Grunde jeden Preis zu zahlen. Die Leser werden weniger, aber anspruchsvoller, das Buch zum Fetischobjekt. Dieser Entwicklung tragen die Verlage Rechnung, indem sie von Saison zu Saison verschämt die Preise leicht erhöhen. In Berlin hat sich jetzt ein kleiner Verlag gegründet, der die Entwicklung konsequent zu Ende denkt: TOC Publishing stellt elegant gestaltete Ausgaben herausragender Romane in limitierter, signierter Auflage her, die auf einer Heidelberger Zylinder-Druckmaschine aus dem Jahr 1954 gedruckt werden, wie man sie auch im Deutschen Museum genauer betrachten kann. Dafür kostet jedes Buch 138 Euro, das Jahresabo 768 Euro. Felix Stephan

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