Regisseur Ken Loach:Klassenkämpfer des Kinos

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Ken Loach bleibt seinem sozialistischen und humanistischen Weltbild bis heute treu. (Foto: DANIEL LEAL-OLIVAS/AFP/AFP)

Sein Sozialdrama "Ich, Daniel Blake" ist gerade in die Kinos gekommen. Seit 50 Jahren versucht der Brite Ken Loach, mit seinen Filmen die Welt zu verbessern. Das ist ihm zwar nicht gelungen, dafür erlangte er künstlerischen Ruhm.

Porträt von Paul Katzenberger

Ken Loach ist kein "Wildledermantelmann", so viel ist klar. Wildledermantelmänner, das sind jene Gefährten, über die der verstorbene Liedermacher Franz-Josef Degenhardt 1977 in einem Lied geklagt hat. Verlogene Achtundsechziger, die linke Ideale verraten und eben bevorzugt Wildledermäntel tragen.

Filmregisseur Ken Loach bleibt seinem sozialistischen und humanistischen Weltbild hingegen bis heute treu. Das belegt sein neuestes Sozialdrama "Ich, Daniel Blake", das gerade ins Kino gekommen ist. Es ist eine bittere Anklage gegen den britischen Sozialstaat, die aber auch menschliche Zwischentöne und Humor beinhaltet.

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Das gewährleistet schon die Wahl seines Hauptdarstellers. Dave Johns, ein Schauspieler und Stand-up-Comedian, der aus Newcastle stammt, wo der Film auch spielt. Johns spricht Geordie, einen nordenglischen Dialekt, was der Figur große Authentizität und trotz der dargestellten Notlage eine gute Portion trockenen Witz verleiht. "Die Menschen dort fühlen sich ihrer Region sehr verbunden", sagt Loach. "Ihre Mentalität und ihr Humor ist sehr erfrischend. Da findet man sehr viel, womit man arbeiten kann."

In den Siebzigerjahren galt er plötzlich als unbelehrbar

Loach, Jahrgang 1936, Sohn eines Elektrikers aus der mittelenglischen Grafschaft Warwickshire und ehemaliger Jura-Student, kam über das Theaterspielen zum Filmemachen. Als das Programm der BBC in den Sechzigerjahren politischer wurde, gehörte er zu den jungen Regisseuren, die diese Entwicklung vorantrieben - etwa durch die hochgelobte Reihe "The Wednesday Play", die sich durch sozialkritische Themenwahl und wirklichkeitsnahe Inszenierungen auszeichnete.

Durch die dokumentarische Erzählung "Cathy Come Home" (1966) erlangte er erste Bekanntheit. In ihr findet sich bereits das Grundthema seiner späteren Kinofilme: Ein junges Paar gerät unverschuldet ins soziale Abseits, verliert zuerst den Job, dann das Dach über dem Kopf und schließlich nimmt ihm das Sozialamt auch die Kinder weg.

Der Film führte in England zu einer gesellschaftlichen Debatte über Obdachlosigkeit und schließlich sogar zu einer Reaktion des Gesetzgebers. Doch als sich der Zeitgeist ab den Siebzigerjahren allmählich änderte, galt Loach im Sender plötzlich als unbelehrbarer Altlinker, dessen Predigten nur störten.

Triumphe in Cannes

Allerdings hatte er da schon im Kino auf sich aufmerksam gemacht - mit Filmen wie "Poor Cow" (1967), "Kes" (1969) und "Family Life" (1971), in denen er stets Geschichten von Menschen in bedrückenden Verhältnissen erzählte, die beim Versuch, ein bisschen Lebensglück zu finden, an eben diesen Verhältnissen scheitern.

Seine inzwischen auf 50 Titel angewachsene Filmografie kreist immer wieder um dieses Thema - in sowohl aktuellem als auch historischem Kontext: Den irischen Unabhängigkeitskrieg des frühen 20. Jahrhunderts machte er etwa zum Thema des Dramas "The Wind That Shakes the Barley" (2006), für das er die "Goldene Palme" in Cannes gewann. Ein Triumph, der ihm als späte Rehabilitation und als Auszeichnung seiner großen Standhaftigkeit erscheinen musste.

In diesem Jahr setzte er eine weitere "Goldene Palme" für "Ich, Daniel Blake" drauf, in dem es einmal mehr um die Zumutungen des Sozialstaates geht, der den Bedürftigen nicht hilft, sondern sie nur drangsaliert.

Das Drama handelt von dem 59-jährigen Zimmermann Daniel Blake aus Newcastle, der nach einem Herzinfarkt arbeitsunfähig wird. Beim Arbeitsamt gerät er in die Mühlen der britischen Sozialbürokratie, die seine Krankschreibung nicht akzeptiert. Sie gesteht Daniel Arbeitslosengeld nur dann zu, wenn er weiter nach Arbeit sucht, die er wegen seiner Krankheit nicht annehmen kann. So zwingt ihn die Behörde in eine unwürdige Spirale, der er nicht entkommen kann.

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Der perfide Umgang mit Notleidenden, den "Ich, Daniel Blake" zeigt, gehört für Loach zur Logik des Systems: Bedürftigen solle eingetrichtert werden, selbst schuld zu sein für ihr Schicksal. Warum bürgerliche Parteien Mehrheiten für diese Art der Sozialpolitik erhalten, hat für Loach mit Propaganda zu tun: "Jede Woche strahlen mindestens zwei Fernsehkanäle Sendungen aus, in denen gezeigt wird, wie Drogenabhängige Sozialhilfe beziehen oder eine Frau mit 14 Kindern auf Kosten des Staates Urlaub in Spanien macht. Die Boulevardpresse zeichnet ständig das Bild von faulen Sozialhilfeempfängern, die keine Hilfe verdienen und zwar permanent - Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Das erzielt natürlich Wirkung."

Das Siegesgefühl des kleinen Mannes: Szene aus "Ich, Daniel Blake". (Foto: Prokino Filmverleih)

Dass ein überbordender Sozialstaat die Marktwirtschaft überfordern könnte, wie die Befürworter der Hartz-IV-Reformen in Deutschland argumentieren, lässt der 80-Jährige nicht gelten. Denn entweder gebe es Massenarbeitslosigkeit wie vor den Hartz-IV-Reformen oder Hungerlöhne und eine Spaltung der Gesellschaft wie nach der Einführung der Agenda 2010, bei der sich der damalige Bundeskanzler Schröder übrigens an den Sozialreformen in Großbritannien orientierte: "Als ich jung war, haben sich die Parteien auf Vollbeschäftigung verpflichtet, nicht nur darauf, die Arbeitslosigkeit zu senken. Jetzt wird klar, dass das nicht funktioniert. Insofern kann die Herausforderung nicht mehr darin bestehen, den Kapitalismus irgendwie zum Laufen zu bringen, sondern es geht darum, ein grundlegend neues System zu implementieren."

Das klingt nach unverbesserlichem Idealismus - den Einwand, dass der Versuch, ein alternatives Wirtschaftssystem aufzuziehen, bislang immer gescheitert sei, erkennt Loach nicht an: "Was sie in der Sowjetunion versucht haben, hat nicht funktioniert, das wurde von Stalin und seinen Nachfolgern pervertiert und zu einer bürokratischen Diktatur und einem inakzeptablen Monsterregime deformiert." In Ländern wie Chile oder Nicaragua hätten die Amerikaner den Aufbau eines besseren Systems mit Gewalt verhindert: "Insofern widerspreche ich der Aussage, dass dieser Versuch je unternommen wurde", sagt Loach.

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Verwundert statt verbittert

Die Globalisierung mit ihren Auswüchsen menschenrechtsverletzender Produktionsbedingungen in Bangladesch, Indonesien oder China betrachtet Loach als unmittelbare Folge des marktwirtschaftlichen Systems: "Gibt es ein einziges kapitalistisches Land, in dem über einen längeren Zeitraum hinweg humane Prinzipien und ein sozialer Friede herrschten, allein durch funktionierende demokratische Institutionen und Regulierungen?", fragt er.

Für denjenigen, der ihm da mit Staaten mit einer langen Sozialstaatstradition wie Schweden oder Norwegen kommt, hat der Filmemacher nur ein müdes Lächeln übrig: "Und? Haben die dort keine Importe aus Ländern mit Dumpinglöhnen? Sie beuten die Arbeiterklasse genauso aus, nur dass das in Übersee geschieht, und sie dadurch wegschauen können."

Mit seinen Filmen konnte Loach das System nicht ändern, seit er "Cathy Come Home" vor genau 50 Jahren ins Fernsehen brachte. Doch der Regisseur ist deswegen nicht verbittert, vielmehr wundert er sich, wenn er an seine Anfänge zurückdenkt: "Damals waren wir uns einig, dass die Revolution eine Sache von wenigen Tagen sein wird. Alle sprachen davon. Wenn es am nächsten Wochenende zum Umsturz gekommen wäre, hätte uns das nicht erstaunt. Es kam nicht so, wie wir alle wissen. Doch heute, wo das System wirklich an seine Grenzen gekommen ist, redet kein Mensch darüber. Darin liegt für mich eine große Ironie."

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