Mormonen-Musical am Broadway:Gottes Trottel

Lesezeit: 2 Min.

"Fuck You, God!": Missionare mit Krawatte, Namensschild und Sollerfüllungslächeln, ausgesetzt in Afrika. Das grandiose Mormonen-Musical der "South Park"-Macher in New York.

Jörg Häntzschel

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet eine Show, in der wieder und wieder der Refrain "Fuck You, God!" intoniert wird, für die Wiederbelebung des biederen Musicalgenres gefeiert wird. Dass in der sonst so hart kalkulierenden Welt des New Yorker Kommerztheaters noch Platz ist für Ironie. Dass es überhaupt noch einen Draht gibt von der Popkultur zum Broadway. Alles, was am Musical in der Regel so furchtbar ist, macht hier auf einmal größten Spaß. Nein: Die Rede ist nicht von "Spider-Man", dieser Titanic von der 42. Straße. Sondern von "The Book of Mormon" im Eugene O'Neill Theatre, dem Broadway-Debüt von Trey Parker und Matt Stone, den Machern der Zeichentrickserie "South Park".

Zwei Missionare in Afrika: Religion war für die "Southpark"-Autoren Trey und Parker immer schon Stoff für rüde Satire. Nun zeigen sie ihr Musical "The Book of Mormon" am Broadway. (Foto: AP)

Religion war schon immer ein Lieblingsthema der beiden. Dutzende Male machten sie sich in ihrer Serie über Scientologen und christliche Fundamentalisten lustig. Nachdem sie in der letzten Saison den Propheten Mohammed veralberten, drohte die New Yorker Islamisten-Gruppe "Revolution Muslim" sogar mit Vergeltung. Doch keine Religion bietet ein so dankbares Sujet wie die Kirche der Heiligen der Letzten Tage.

Wie Gott und Jesus 1830 einen Mann namens Joseph Smith in New York besuchten. Wie er einen Stapel goldener Schrifttafeln ausgrub, der das Fundament der neuen Religion wurde. Wie Smith in Ohio das Neue Jerusalem errichten wollte, aber dann weiterzog bis nach Utah, das alles finden selbst die an religiöse Exzentrik gewöhnten Amerikaner bizarr.

Fast ist es, als gäbe es eine innere Verwandtschaft zwischen der Fünfzigerjahrehaftigkeit des Musicalgenres und der der Mormonenkirche mit ihrer Kunststoffgotik, ihrer Tugendhuberei und ihrem Heer identischer Missionare mit Krawatte, Namensschild und Sollerfüllungslächeln, die wie Karikaturen von Versicherungsvertretern von Salt Lake City aus in die Welt geschickt werden, um Konvertiten zu gewinnen. Viel mussten Stone und Parker also gar nicht tun, um dieses Material in großartigen Klamauk zu verwandeln.

"The Book of Mormon" ist blasphemischer als die vermeintlich subversiven Off-Broadway-Anstrengungen eines Neil LaBute, bedient sich andererseits mit enormem Gewinn all der altmodischen Showinstrumente, die sich seit Rodgers and Hammerstein kaum jemand mehr anzufassen traute.

Elder Price (Andrew Rennells) und Elder Cunningham (Josh Gad) sind eines der von der Kirche zwangsverheirateten Paare: Price ist der All-American-Musterknabe, Cunningham ein kryptoschwules Riesenbaby. Wie alle Mormonen sollen sie nun zwei Jahre lang an fremden Türen klingeln und sich dabei selbst gegenseitig kontrollieren. Doch als sie in Uganda aus dem Flieger stolpern, und nicht, wie erhofft, in Orlando, fällt beiden gleichermaßen die Kinnlade runter.

Die Zurschaustellung ihrer beflissenen Trotteligkeit in der Tradition der Filmklamotte "Dumm und Dümmer" ist damit aber auch schon beendet. Unter Druck, wenigstens ein paar Afrikaner zu taufen, fabuliert Cunningham eine neue, haarsträubende Version der Kirchenmythologie zusammen, die zwar die Kirchenchefs entsetzt, für seine von Aids und Gewalt terrorisierte Dorfgemeinde aber tatsächlich etwas wie Hoffnung bedeutet. Dass die zerlumpten Afrikaner wohl nie Sonnenschein und Vitamininjektionen in "Salt-a-Lake-a Ciiity" genießen werden, ist zwar bedauerlich, dafür haben sie nun in Cunningham ihren unwahrscheinlichen Lokalheiligen.

Stone und Parker sind seit langem Musicalfans. Noch vor "South Park" schrieben sie "Cannibal! The Musical". Die Serie selbst durchziehen nostalgische Song-and-Dance-Nummern. Doch so wunderbar ernst-ironisch wie in "Book of Mormon", be dem ihnen der Komponist Robert Lopez vom Erfolgsmusical "Avenue Q" half, gelang die Genre-Entkalkung noch nie.

Leichte Opfer sind am Ende alle: die Mormonen mit ihrer Märchenreligion; die Afrikaner mit ihrem Kinderglauben, und der Chor aus Bonos, der in einer grandiosen Nummer schmettert: "Die Afrikaner sind nur Afrikaner, doch wir sind Afrika!" Doch was leicht in patzige Haudraufsatire hätte abgleiten können, schwebt bis zuletzt auf seinem Schaumteppich dramaturgischen Könnertums. Über die Mormonen hat man so wenig gelernt wie über Afrika, aber was das Genre Musical kann, hat man zum ersten Mal verstanden.

© SZ vom 29.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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