Kulturstaatsministerin Monika Grütters:Macht und maximale Verflechtung

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Monika Grütters hat Kunstgeschichte studiert, aber sie ist Hardcore-Politikerin. (Foto: Regina Schmeken)
  • Vor 20 Jahren gründete Kanzler Schröder das Amt des Staatsministers für Kultur und Medien.
  • Monika Grütters hat aus dem Orchideenposten eine Schlüsselstelle der Bundesrepublik gemacht, sie verfügt über viel Einfluss.
  • Ihre Machtfülle ist in vielerlei Hinsicht bedenklich.

Von Jörg Häntzschel

Ein Treffen wird über Signal verabredet, die Messenger-App, auf die Edward Snowden schwört. Andere Anrufe kommen von anonymen Telefonnummern. Trifft man die Informanten im Restaurant, wird erst mal der Raum gescannt. Da lärmt eine Reisegruppe, an den anderen Tischen unbekannte Gesichter: gut. Zu den Bedingungen: keine Zitate, das Gespräch hat nie stattgefunden. Und immer wieder heißt es, das ist off the record, das haben Sie nicht von mir, das dürfen Sie nicht schreiben. Wenn sich die Tür öffnet, schreckt der Blick hoch. Ist das nicht etwas übertrieben? Wir sind in Berlin. Es geht nicht um Waffengeschäfte, sondern um schöne Dinge, um Kunst, Musik, Theater. Doch es geht eben auch um viel Geld, um 1,8 Milliarden Euro, die dieses Jahr verteilt werden, und um die Frau, die das Geld verteilt: Monika Grütters, seit 2013 Staatsministerin für Kultur und Medien. Intendanten, Museumschefs, Direktorinnen, die man zu ihr befragt, fürchten nichts so sehr wie ihren Zorn. Sie wollen dieses Geld auch in Zukunft haben.

Deshalb wird es auch kein kritisches Wort geben, wenn sie sich am Montag alle treffen, um das 20. Jubiläum des Kulturstaatsministeriums (BKM) zu feiern. Gegründet wurde es 1998, in der Cocktail Hour der goldenen Neunziger, von Gerhard Schröder. Der SPD-Kanzler, selbst Künstlerfreund, wollte an die Zeiten vor der Ära Kohl anknüpfen, als Günter Grass noch Reden für Willy Brandt schrieb. Außerdem wartete das wiedervereinigte Berlin darauf, auf Hauptstadtniveau kulturell bespielt zu werden. Das alte Prinzip, nach dem Kultur Ländersache ist, war an seine Grenzen gekommen. Als die Länder protestierten, behalf man sich mit einem Trick: Statt der Kultur ein eigenes Ressort zu geben, machte man das BKM zu einer Abteilung des Bundeskanzleramts. Grütters ist eigentlich nur Staatssekretärin, kein Kabinettsmitglied.

Spätestens beim Abschied hat man verstanden, wie sie ihr Reich zusammenhält

Kaum einer ihrer Vorgänger hielt sich lange, am kürzesten die Intellektuellen Michael Naumann, Julian Nida-Rümelin und Christina Weiss. Bernd Neumann blieb länger, doch erst Grütters ging ganz in dem Amt auf. Keine kämpft so entschlossen, keine hat sich so viel Macht gesichert, keine verfügt über mehr Stellen - 300 sind es heute - , keiner macht mehr Geld locker als sie. Zwischen 1999 und 2014 wuchs der Etat nur von 1,1 auf 1,3 Milliarden Euro. Unter Grütters stieg er auf 1,8 Milliarden. Allein dieses Jahr beträgt der Zuwachs neun Prozent. Und das in Zeiten, da viele europäische Länder ihre Kultur verkümmern lassen. Und dennoch: Glücklich ist unter Grütters niemand. Sie hat eine Pyramide der Abhängigkeiten installiert, an deren Spitze sie steht. "Geht ihr jemand auf den Geist", erzählt der Chef einer Institution aus eigener Erfahrung, "tut sie alles, um ihn fertigzumachen."

"Wie schön, dass Sie da sind!" Strahlend und mit Gebäck und Blumen spielt Grütters dem Besucher in ihrem Büro im siebten Stock des Kanzleramts (Merkels Büro ist im achten) anfangs die herzliche Nachbarin vor. Umso unerwarteter drücken einen dann die ersten Salven aus ihrem rhetorischen Arsenal in den Sessel: Endlosmonologe, mit denen sie heiklen Fragen vorbeugt, Präzisionsauskünfte zu entlegensten Themen, strategisch platzierte Vertraulichkeiten, Schmeicheleien und jähe Schärfe. Wer ihr auf den Zahn fühlt, dem droht sie auch mal mit dem Anwalt. Spätestens beim Abschied hat man verstanden, wie sie ihr Reich zusammenhält.

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In Berlin umfasst es außer den Theatern und Opern praktisch alles. Das BKM finanziert nicht nur die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) mit ihren 17 Museen, mit Bibliotheken und Archiven. Sondern auch das Jüdische Museum, die Akademie der Künste, das Deutsche Historische Museum (DHM), die Deutsche Kinemathek, den Gropius-Bau, die Berlinale, das Haus der Kulturen der Welt, die Berliner Festspiele und alle Gedenkstätten.

Auch jenseits von Berlin ist das BKM aktiv. Es finanziert das Literaturarchiv in Marbach, die Deutsche Nationalbibliothek und die Bundeskunsthalle in Bonn, es fördert die Stiftung Weimarer Klassik, das Bauhaus, die Bayreuther Festspiele und die Ruhrtriennale. Monika Grütters untersteht die deutsche Filmförderung, die Villa Massimo in Rom und das Deutsche Studienzentrum in Venedig. Sie verleiht die Filmpreise, aber auch Preise für Schriftsteller, Übersetzer, Theater, Kinos, Filmverleiher. Mit dem fünften von ihr neu ausgelobten Preis will sie Verlage auszeichnen.

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Geht man die lange Liste von Institutionen durch, staunt man über vieles, was in ihre Zuständigkeit fällt - warum ist sie Chefin der Deutschen Welle? - aber auch über vieles, was bei anderen Ministerien angesiedelt ist. Das Goethe-Institut beim Auswärtigen Amt, Archäologie beim Wissenschaftsministerium, Integration beim Sozialen, Politische Bildung beim Inneren. Ein improvisierter Ressortzuschnitt ist zu einer Dauerlösung geworden. Auch das ist Teil des Problems.

Ebenso erstaunlich ist aber Grütters' Ungreifbarkeit. Die 56-Jährige kommt aus Münster, aber geht als alte Berlin-Pflanze durch. Sie ist seit der Pubertät in der CDU, aber weniger konservativ als viele SPD-Leute. Sie hat Kunstgeschichte studiert, aber sie ist Hardcore-Politikerin. Ihr nächstes Karriereziel: Regierende Bürgermeisterin. Diese Mischung qualifiziert sie wie kaum jemanden für ihren Job. Wer interessierte sich bislang in der Politik schon für Kultur? Wer sonst investiert dafür seine Karriere, um am Ende nicht mal ein Ministeramt zu bekommen?

Viele rühmen ihre Liberalität. Sie sprach sich für das umstrittene Megaprojekts Dau aus und kritisierte die jüngste Absage des Konzerts von Feine Sahne Fischfi let in Dessau. Andere bemängeln ihre Fixierung auf Repräsentationskultur. Kürzlich hat das BKM etwa den Berliner Anteil der Förderung der Berliner Philharmoniker übernommen, obwohl niemand verstand, warum. "Sie will sich mit denen zeigen", erklärt der Chef eines Hauses. Beides ist richtig, beides trifft nicht den Punkt. Grütters hat keine kulturelle Agenda, oder: Ihre kulturelle Agenda ist Funktion ihrer politischen Agenda und die lautet, Freunde gewinnen, Feinde neutralisieren, den eigenen Einfluss mehren, um am Ende politische Erfolge vorweisen zu können. Da sie den Geldhahn zu- oder aufdrehen kann, da sie über die Vergabe der meisten Posten entscheidet, fällt ihr das nicht schwer.

Doch sie begnügt sich nicht mit den "Zuwendungen". Sie oder ihre Beamten sitzen selbst in den Aufsichtsgremien der Institutionen. Diese Praxis, sonst undenkbar, ist im deutschen Kulturbetrieb nicht unüblich, problematisch ist sie dennoch. In der SPK etwa ist Grütters Vorsitzende des Stiftungsrats, im DHM ist ihre rechte Hand, Günter Winands, Vorsitzender des Kuratoriums. "Er ist der eigentliche Direktor", heißt es aus BKM-Kreisen. "Das DHM ist eine Regieveranstaltung der Regierung."

Grütters weist das weit von sich: "Wir mischen uns in die Inhalte aus Respekt vor der Autonomie der Häuser grundsätzlich nicht ein." Und erklärt, nur so ließen sich die Häuser kontrollieren: "Eine Aufsicht über die Finanzströme und eine good governance muss der, der die finanzielle Hauptlast trägt, schon führen." Andere sehen es umgekehrt. Nicht nur hemme man so die Entwicklung der Institutionen, auch eine "effektive Kontrolle ist so nicht möglich". "Der Staat hat sich rauszuhalten."

Doch der Einfluss von Grütters beschränkt sich nicht auf ihre eigenen Häuser. Sie sitzt in zwei Dutzend Gremien und ist Schirmherrin etlicher Kulturinitiativen. Ihre Beamten sitzen in 110 weiteren Kulturorganisationen. Zu denen gehören das Deutschlandradio und das Münchner NS-Doku-Zentrum, das Bauhaus-Archiv und die Thomas-Mann-Villa in L.A., der Deutsche Musikrat und die DFB-Kulturstiftung. Und da Grütters' Untergebene ihrerseits in weiteren Gremien sitzen - wie die Leiterin der Bundeskulturstiftung, Hortensia Völckers, bei der Documenta - pflanzt sich ihr Einfluss fort. Ziel ist maximale Verflechtung. "Das System ist eine Spinne", heißt es aus BKM-Kreisen.

Ein Produkt dieses Systems ist die betuliche Doku "Schatzkammer Berlin", die im Frühjahr in die Kinos kam und dort vor leeren Sälen lief. Sie feiert die SPK, wurde koproduziert von der Deutschen Welle und erhielt Geld von der Filmförderung. Alles aus einer Hand - und grandios misslungen.

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Das System setzt Konsens und Goodwill voraus. Grütters aber, die gestalten und Macht ausüben will, nützt es nun für ihre eigenen Zwecke. Als Anfang des Jahres die Neubesetzung der Berlinale-Leitung anstand, plante Grütters, den Nachfolger von Dieter Kosslick ganz allein zu küren. 80 Filmschaffende protestierten, sie forderten einen transparenten Prozess, eine Findungskommission. Doch die Kommission, die Grütters schließlich einberief, bestand statt aus unabhängigen Experten nur aus drei Personen: Grütters selbst, einem Berliner Staatssekretär und Mariette Rissenbeek, der Chefin von German Films, der "Auslandsvertretung" des deutschen Films. Alle drei gehörten dem Aufsichtsrat der Kulturveranstaltungen des Bundes an, der Muttergesellschaft der Berlinale, dem Gremium, das über die Berufung entscheidet, und deren Vorsitzende Grütters ist.

Und wer bekam einen der zwei Posten? Rissenbeek selbst (der andere ging an Carlo Chatrian aus Locarno). Die meisten vergaßen das absurde Verfahren, weil sie sich über das Ergebnis freuten. Doch Grütters hat daraus nicht gelernt. Sie schimpft bis heute auf die Filmleute und behauptet, sie hätte alleine dieselbe Wahl getroffen. "Man darf auch mal unterstellen, dass es Kulturminister gibt, die wissen, was sie tun, die ein breites Netzwerk haben, die sich in der Szene gut auskennen."

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Auch sonst entscheidet sie am liebsten allein. Als sie das von ihrem Vorgänger ignorierte Humboldt Forum in Fahrt bringen wollte, brauchte sie einen prominenten Kopf. Sie fand ihn in Neil MacGregor und erklärte ihn zu einem von drei "Gründungsintendanten". Dass MacGregor nur einen Beratervertrag hatte, keinerlei Entscheidungshoheit, und zwei Drittel seiner Zeit für die BBC und für ein Museum in Indien arbeitete, nahm sie zugunsten des Star-Effekts in Kauf.

MacGregors Ernennung und Scheitern illustrieren aber auch gut, wie sehr sie oft auf Glamour und PR setzt, ohne Rücksicht auf Verluste. Eines ihrer aktuellen Lieblingsprojekte ist das Museum des 20. Jahrhunderts, das die Architekten Herzog & de Meuron auf das letzte freie Grundstück des Berliner Kulturforums bauen werden. Standort, Entwurf und Konzept des Museums wurden fast einhellig verrissen. Grütters peitschte das Projekt dennoch durch die Instanzen. Dass der Bau statt 200 Millionen Euro mehr als 400 Millionen kosten wird, ist der Preis für ihren Sieg.

Das Museum, eines von vielen Prestigeprojekten, wäre weniger umstritten, wenn es in den alten Häusern nicht an allem fehlte. "Für die Pflege des Altbestandes gibt es kein Geld, er bröselt weg." Gehe es so weiter, müssten in Berlin in absehbarer Zeit Häuser schließen. "Der Bund stattet seine Institutionen miserabel aus", sagt der Chef eines Hauses. "Er wird seiner Verantwortung nicht gerecht."

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Grütters tut das als Weinerlichkeit ab. "Ich habe bei der SPK immer wieder Millionensummen draufgelegt." Sie will statt Klagen mehr Ehrgeiz, mehr Blockbuster, mehr Innovation, mehr Führung. Sie mag teils recht haben, aber sehr konstruktiv wirken ihre Machtspiele mit SPK-Chef Hermann Parzinger nicht.

Auch die Entscheidung, im Humboldt Forum keinen Eintritt zu verlangen, und die übrigen Museen damit in einen Preiskampf zu zwingen, ist so ein PR-Stunt. "Da muss ich mir doch ein grundsätzliches Modell überlegen", sagt ein Kulturpolitiker. Ein anderer sieht hier ein größeres Defizit. "Sie fragt nicht: Was tut langfristig gut? Strategische Überlegungen existieren nicht." Grütters beteuert, sie habe mit den Beteiligten gesprochen, außerdem sei mehr Konkurrenz unter den Institutionen und innerhalb dieser durchaus gesund.

Doch disruption dient bei ihr weniger der Innovation, sie ist Teil einer Strategie des Teilens und Herrschens. Besonders wenn sie persönlich involviert ist, gibt sie Kommandos und erwartet Gehorsam, auch wenn es nicht immer ausgesprochen werden muss. Das konnte man an der Ausstellung "Bestandsaufnahme Gurlitt" ablesen, die Grütters bei der Bundeskunsthalle in Auftrag gab. Selbstverständlich konnten die Kuratoren die problematische Rolle des BKM dort nicht zum Thema machen. Selbstverständlich beteten sie das offizielle Narrativ von der Raubkunstsammlung nach und taten alles, um zu verschleiern, dass unter den mehr als 2000 Werken nur sechs Raubkunstfälle waren.

Grütters festigt ihre marktbeherrschende Stellung immer mehr, bläht ihren Apparat immer weiter auf. Doch da sie ideologisch so ungreifbar bleibt, da ihre Einmischungen nur strategischer Art sind, und da die "Zuwendungsempfänger" weiter auf Zuwächse hoffen können, üben sie sich in Duldsamkeit. Politik und Presse sehen nicht so genau hin. Kultur ist gut, mehr Kultur ist besser, wo ist das Problem? Ohnehin sind die großen Scheine, mit denen sie den Betrieb füttert, kleine Münzen, verglichen mit dem, was für Autobahnen, Waffen oder Renten ausgegeben wird.

Doch es kann nicht richtig sein, wenn es keinen Wettbewerb um wichtige Stellen gibt, wenn Posten heute noch auf Lebenszeit besetzt werden, wenn die besten Köpfe in der deutschen Kultur nicht offen über ihre Arbeit sprechen können, weil sie fürchten, in Berlin sonst nie wieder einen Job zu finden. Die intellektuelle Lähmung ist schon jetzt spürbar.

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Und was, wenn die jetzige Schönwetterperiode endet? Wenn die Etats sinken? Oder wenn Grütters' Job nach der nächsten Wahl an die AfD geht? Dann fände ihr Nachfolger beim Amtsantritt perfekte Strukturen vor, um den deutschen, vor allem den Berliner Kulturbetrieb ideologisch auf seine Linie zu bringen.

Auch Grütters selbst ist übrigens Opfer einer Kulturpolitik, in der Machtausbau auf Kosten der Offenheit geht. Kein Thema, erzählt sie, beschäftige sie gerade so wie der Umgang mit den Objekten aus der Kolonialära. Doch die guten, aufregenden Ideen dazu, die am Telefon aus ihr heraussprudeln, will sie hier nicht gedruckt sehen. Das wäre zu gefährlich.

© SZ vom 26.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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