Humboldt-Forum:Wir sind noch nicht aus der Werft raus

Humboldt-Forum: Hartmut Dorgerloh, Jahrgang 1962, ist seit 2002 Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Am vergangenen Dienstag wurde er zum Generalintendanten des Humboldt-Forums gewählt. Foto: oh

Hartmut Dorgerloh, Jahrgang 1962, ist seit 2002 Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Am vergangenen Dienstag wurde er zum Generalintendanten des Humboldt-Forums gewählt. Foto: oh

Hartmut Dorgerloh, Intendant des Humboldt-Forums, über die Frage, was darin stattfinden soll, Berliner Männer um die 60 und das Problem mit der Raubkunst.

Interview von Jörg Häntzschel

Am Dienstag wurde Hartmut Dorgerloh vom Stiftungsrat des Humboldt-Forums zum Intendanten gewählt. Damit geht das Projekt nach sechzehnjährigem Schlingern, nach Fehlstarts, Baustopps und Krisen nun in seine letzte Phase. Ende 2019 sollen die ersten Teile des rekonstruierten Berliner Stadtschlosses eröffnet werden. Weil jeder Tag zählt, beginnt Dorgerloh schon am 1. Juni seine Arbeit. Gleichzeitig endet die der bisherigen "Gründungsintendanten" Neil MacGregor, Hermann Parzinger und Horst Bredekamp. Dorgerloh, geboren 1962 in Ostberlin, ist Kunsthistoriker. Seit 2002 ist er als Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten für sämtliche Schlösser und Parks in und um Berlin zuständig. Wir trafen ihn in seinem Büro in Potsdam, gleich neben dem Eingang zum Schlosspark Sanssouci.

SZ: Ende nächsten Jahres soll das Humboldt-Forum eröffnen. Bis heute fehlt dem Projekt die Idee. Was ist Ihre Idee?

Hartmut Dorgerloh: Es soll nicht nur ein Museum sein, sondern eine "internationale Dialogplattform für globale kulturelle Ideen". So steht es im Koalitionsvertrag, und das fasst es gut zusammen. Statt Dialogplattform könnte man auch sagen: Resonanzraum, offenes Forum für Debatten, für Multiperspektivität, für kulturelle und gesellschaftlich relevante Fragen.

Das Zeitgenössische und die Dialogidee sind zuletzt in Vergessenheit geraten, vielleicht auch, weil so viel vom Kolonialismus gesprochen wurde. Wie wollen Sie Ihren Anspruch jetzt noch erfüllen?

Manche Felder sind besetzt, das sind die ständigen Ausstellungen, aber keine ständige Ausstellung ist wirklich ständig. Außerdem gibt es neue Spielräume, mehrere Tausend Quadratmeter für Wechselausstellungen, dazu Veranstaltungen. Dafür muss man jetzt ein Programm entwickeln. Über die Jahre wird sich ein Profil ergeben.

Was stellen Sie sich da inhaltlich vor?

Es geht um Zukunftsthemen. Etwa die Zukunft von Metropolen. Es hat sie in fast allen Kulturen gegeben, ob bei den Inka oder in Asien. Welche Folgen haben Metropolen für die Beziehung von Zentrum und Peripherie? Was ist, wenn die Freiräume, die Metropolen bieten, verschwinden? Das sieht man in Berlin ja gerade. Man könnte das historisch befragen und dann übersetzen für heutige Metropolen in Afrika.

Auch der Körper wäre ein Thema. In allen Kulturen haben die Menschen ihren gottgegebenen Körper modifiziert und optimiert: von ganz kleinen Füßen oder ganz langen Hälsen bis hin zu Prothetik oder Nanorobotern, die wir uns implantieren, um uns leistungsfähiger zu machen. Auch Maskierung gehört dazu. Die Frage wird immer sein: Was gibt es in den Sammlungen, das für uns heute Relevanz hat, und wie kann man es zum Klingen bringen?

Und wir müssen nach der Zukunft der ethnologischen Sammlungen fragen, nicht nur der außereuropäischen, auch der europäischen. Mir ist es wichtig, die europäischen Kulturen ins Haus zu bekommen. Ich kann nicht über das Ende des eurozentrischen Blicks reden, wenn es keine europäischen Objekte zu sehen gibt. Wenn man eine multipolare Welt verstehen will, muss man auch den europäischen Kolonialismus erwähnen. Stichwort: die Sami in Skandinavien.

Europa kommt in den Sammlungen nicht vor, beim Personal ist es umgekehrt. Alle wichtigen Stellen sind mit Europäern besetzt, bis auf eine Frau und einen Niederländer mit Berliner Männern zwischen 50 und 60. Wie bekommen Sie so die Welt ins Humboldt-Forum?

Indem man die Plattform schafft, auf der dann viel Fracht und viele Passagiere unterwegs sind. Sei es mit Residency-Programmen, der Arbeit mit den Herkunftscommunities oder mit Forschungsprojekten. Schon jetzt haben wir den internationalen Expertenbeirat und die weltweiten Partnerschaften der Ethnologen. In der jetzigen Phase ist es schon gut, dass das Schiff, das jetzt in Deutschland auf Kiel liegt, so ausgestattet wird, dass es weltmeertauglich ist. Später wird es mit einer internationalen Crew unterwegs sein. Aber wir sind noch nicht aus der Werft raus.

Auch das Goethe-Institut wird jetzt ins Humboldt-Forum eingebunden. Und das Auswärtige Amt schlägt vor, eine Stabsstelle für Internationalität einzurichten, damit das Forum keine nationale Veranstaltung bleibt. Wie sehen Sie das?

Alle Bereiche des Hauses müssen international arbeiten. Das kann nicht irgendwohin delegiert werden. Es muss in der DNA jeder Abteilung angelegt sein. Selbst hier in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten haben wir Mitarbeiter aus 25 Ländern, drei von acht Abteilungsleitern sind nicht-deutscher Herkunft ...

... aber im Humboldt-Forum eben nicht.

Noch nicht. Aber es wird noch viel Personal eingestellt werden, und dabei werden Genderbalance und Internationalität wichtige Kriterien sein. Ich muss aber auch sagen: Ein guter Friseur muss nicht viele Haare haben. Das betrifft auch meine Person. Ich kann nichts daran ändern, dass ich ein weißer Mann bin.

Sie sind Kunsthistoriker und Kulturmanager, kein Ethnologe, Sie haben sich kaum mit Themen wie Postkolonialismus beschäftigt, hatten keine internationale Karriere. Wie werden Sie mit diesen Defiziten umgehen?

Wie bei den Denkmalpflege-Projekten, die ich betreut habe. Wenn Sie vor einer verrotteten Hütte stehen, brauchen Sie erst mal eine Vision, wie die aussehen könnte. Dann brauchen Sie ein Team, vom Statiker über den Handwerker bis zum Banker. Sie können in der Denkmalpflege nichts alleine reißen. So wird es auch beim Forum sein.

Das Humboldt-Forum hat in Deutschland eine Debatte um den Umgang mit Sammlungen aus der Kolonialzeit ausgelöst. Kurz darauf kündigte Emmanuel Macron an, die Raubkunst aus den französischen Kolonien zurückzugeben. In Deutschland gab es keine vergleichbare Geste. Jetzt wird das Humboldt-Forum zu einer Art Test für Deutschlands Position in dieser Sache.

Macrons Ankündigung war ein starkes Signal, auch für andere ehemalige Kolonialmächte. Es gibt bei uns sicherlich Nachholbedarf, aber es ist auch schon viel passiert. Das Humboldt-Forum muss selber eine starke Antwort sein. Das ist aber nicht mit einer Grundsatzerklärung getan, das ist ein längerer Prozess.

Wäre es für die Legitimität des Humboldt-Forums nicht entscheidend, sich da deutlicher zu positionieren?

Das Humboldt-Forum kann da eine zentrale Rolle spielen, aber die Stücke gehören der SPK. Natürlich muss man die Frage aber im Forum thematisieren. Es ist klar, dass man den Anteil von Kunst und Wissenschaft bei der europäischen Eroberung und Ausbeutung der Welt nicht länger ignorieren kann - auch mit Blick auf Humboldt selbst, das war ja eine ganz ambivalente Situation. Ich halte aber nichts von Verlautbarungen und Deklarationen, wenn danach nichts passiert.

In Frankreich scheint ja etwas zu passieren.

Bénédicte Savoy fährt jetzt in Afrika herum und guckt und legt im November einen Bericht vor. Das Ganze ist ein vielstimmiger Prozess. Es gibt die neuen Leitlinien des Museumsbunds, es gibt Tagungen, Konferenzen. Da ist im Moment sehr viel los. Ich glaube, es geht nicht nur um symbolische, sondern um modellhafte Entscheidungen. Vielleicht wird es irgendwann mal die Principles of Humboldt Forum geben. Oder das Humboldt-Forum wird ein Ort, an dem man Dinge einfach mal ausprobiert und fragt: Wie kann denn so eine Teilung aussehen, eine wirkliche gemeinsame Teilhabe? Es ist eine Frage der Haltung. Ich habe mich in Potsdam immer als Treuhänder verstanden, nicht als Eigentümer. Wir haben hier die Verantwortung für ein Weltkulturerbe. Die Schlösserstiftung steht zwar im Grundbuch, aber wir machen unsere Arbeit für die Welt. Dieses Teilen zu lernen, das ist etwas, was in den Museen gerade erst eingeübt wird.

Das Humboldt-Forum hat ein so schlechtes Image, dass viele es nicht einmal der Kritik für würdig halten. Wie wollen Sie die Stimmung bis zur Eröffnung noch drehen?

Erstens muss man gute Nachrichten produzieren, zweitens guten Content. Es ist doch verrückt, wenn in der Mitte dieses Landes für mehr als eine halbe Milliarde Euro eine öffentliche Kunst- und Kulturinstitution mit Zehntausenden Quadratmetern entsteht - und dann kriegt man das nicht gerissen! Es müsste doch gelingen, klarzumachen, dass das eine großartige Verwendung von Steuergeldern ist.

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