Münchner Filmlegende:Zwischen gestern und morgen

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Die Lemke-Truppe passt nirgendwo glatt rein - seine Figuren wirken wie ein Kontrastmittel für die Wirklichkeit. (Foto: Verleih)

In Klaus Lemkes neuem No-Budget-Film "Ein Callgirl für Geister" wird gejohlt, geklaut, getanzt und gemordet. Und der Regisseur, der bald 80 wird, gibt etwas von sich preis.

Von Doris Kuhn

Im Schaukasten vor dem Theatiner-Kino hängen die Szenenfotos aus Klaus Lemkes neuem Film "Ein Callgirl für Geister". Rechts und links daneben sind alte Schwarzweiß-Bilder von Jean Seberg oder Jean-Paul Belmondo, darüber die Plakate zu Godards "Außer Atem" und "Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß". Lemke ist unter den Klassikern angekommen.

Im Theatiner drin findet die Kinopremiere von "Ein Callgirl für Geister" statt, der Saal ist ausverkauft. Lemke spricht vorab zum Publikum, als erster Geist wird das Haus selbst beschworen. Er verrät, dass der Film zum Teil im Theatiner spielt, und als Bonus gibt es die Information, dass dieses das erste Münchner Kino war, das in den Fünfzigerjahren extra eine Leinwand einbauen ließ, auf der man Cinemascope zeigen wollte - das Format, in dem die Bilder so breit sein konnten, dass Kühe und Cowboys im Western nebeneinander passten. Lemke dreht nicht wirklich Western, aber in Cinemascope, schick und nobel für einen Autorenfilmer.

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Er erklärt seine Herangehensweise als Regisseur, das Erfinden einer Geschichte von einem Tag zum nächsten, je nachdem, wohin die Dreharbeiten führen. Seine Methode - die Gelder des deutschen Filmfördersystems nicht nur zu verschmähen, sondern diesem System jeden Tag seine Verachtung ins Gesicht zu lachen - funktioniert seit Jahren, wenn auch womöglich nur für ihn. Er zahlt allen Mitwirkenden 50 Euro pro Tag, später verkauft er ans ZDF, irgendwie geht es sich aus. Die Schwierigkeiten mit der Inspiration werden angesprochen, völlig beiläufig erwähnt Lemke, dass er auch mal nach der Hälfte aufhört zu drehen und den angefangenen Film wegschmeißt, wenn er darin weder Energie noch Versprechen sieht. Genau da weiß man wieder, warum der Mann so ein Lichtblick in der deutschen Filmlandschaft ist.

Der aktuelle Film gehört zu seiner unendlichen München-Serie, diesmal allerdings führt er über Schwabing oder die Maxvorstadt hinaus, das macht ihn kurzweiliger als die Vorgänger. Nach einem Stop im Bayrischen Hof bewegt er sich ins Glockenbachviertel, über die Reichenbachbrücke an die Isar, weiter in die Vorstadt. Diese Orte sind weder Münchnern noch Touristen fremd, aber Lemke kennt keine Reiseleiter-Romantik. Er hat den üblichen Trupp Hauptfiguren, zwei, drei Mädchen, einen jungen Mann, die schickt er los wie auf eine große Expedition. Sie bringen den Lemkestyle mit sich, der nirgends glatt hineinpasst, sondern funktioniert wie ein Kontrastmittel. Ihre Fantasiefiguren machen die Wirklichkeit drumherum wirklicher.

Es wird gejohlt, getanzt, geklaut und gemordet, ein Krimigerüst liegt unter der Story, an das sind die Eskapaden der Protagonisten geknüpft, Zusammenhang egal. Aber wer will Kohärenz, wenn man stattdessen ihre hochmütigen Gesichter anschauen kann, die sie aufsetzen für einen Job im Copyshop, eine Plakataktion in der Kunstakademie, eine Filmfesteröffnung. Das jugendliche Schulterzucken gegen die Münchner Welt, das findet man ja sonst kaum so leichtsinnig erzählt wie bei Lemke, selbst wenn sich der gespielte Witz manchmal ins Geschehen verirrt.

Gleichzeitig wird in "Ein Callgirl für Geister" etwas über den Filmemacher preisgegeben, und das nicht, weil er selber mitspielt. In einer Film-im-Film, Kino-im-Kino Sequenz laufen ein paar Ausschnitte eines frühen Lemke-Werkes, mit seiner damaligen Freundin Sylvie Winter in der Hauptrolle. Man sieht, dass er schon 1972 gern jugendlichen Unfug ins Bild gesetzt hat, aber man sieht auch die Veränderung: Heute spielt er mit den Rollenklischees von Frauen und Männern, ein bisschen derb, ein bisschen frech, möglichst weit weg vom großen Gefühl. Im Sylvie- Winter-Film dagegen spürt man eine unbekannte Sentimentalität - vielleicht ist ihm die verloren gegangen im Lauf seines langen Lebens. Der Mann wird 80 im Oktober.

Trotzdem bricht Lemke zum Schluss noch schnell allen Anwesenden das Herz. Denn im letzten Bild dieses neuen Films geht er, der immer, ob vor oder hinter der Kamera, allein ist bis in die Knochen - im letzten Bild also geht er davon in die Nacht, Arm in Arm mit einer vergnügten, erwachsenen Frau. Es besteht Hoffnung für die Welt.

Ein Callgirl für Geister , D 2019 - Buch & Regie: Klaus Lemke. Mit Emma-Lynn Mainzer, Sarah Riesz, Albert Feil, Sophie Linder, Rainer Knepperges, Bernd Brehmer. Verleih: Lemke. 61 Minuten. Täglich 22.15 Uhr im Theatiner Kino München.

© SZ vom 28.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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