Neben der Tür des Ateliers hängt der schneeweiße Mantel von Malka Germania, der Königin Germania. Yael Bartanas Film "Malka Germania" ist abgedreht und der Höhepunkt ihrer großen Werkschau im Jüdischen Museum Berlin. Aber ein paar Requisiten der androgynen Messias-Figur stehen noch herum, hier in ihrem Kreuzberger Atelier, und auch in der Ausstellung. Wenn es um Deutsche, Juden und Israel geht, um Traumata und um Schuld, dann bleibt immer etwas übrig, und oft ist es gerade das, was man gern sauber verstaut hätte. Das Ungewöhnliche bei Yael Bartana ist, dass diese Überreste zwar meist in die Vergangenheit weisen, aber manchmal auch in die Zukunft.
An einer Atelierwand leuchtet in blauer Neonschrift "Trembling times", von einem Foto daneben blickt Yael Bartana als Theodor Herzl, der Begründer des Zionismus - oder, wie sie scherzhaft sagt, Theodor Herzl als Yael Bartana -, mit heiterer Gravitas herab. In der Ecke steht ein Schreibtisch mit großen Bildschirmen: "Hier entsteht die ganze Magie", sagt Bartana. Hier entstand "Malka Germania".
Die Videoinstallation war eine Auftragsarbeit für das Jüdische Museum, die Dreharbeiten unter pandemischen Bedingungen waren, wie man so sagt, herausfordernd, die Eröffnung der Ausstellung "Redemption Now" wurde x-mal verschoben. Man kann die 40 Minuten über eine platinblonde Erlöserin wörtlich nehmen und sich dann schön aufregen: Ein Skandal, diese Bilder! Man kann sie aber auch anders auffassen - als humorvolle Einladung zur Selbsterforschung.
Dabei sind die Anfänge penetrant arisch. Auf drei großen Leinwänden im Jüdischen Museum wird die Ankunft der Tilda-Swinton-haften Königin in einem Wäldchen bei Berlin gezeigt. Weiß gekleidete Tänzerinnen biegen die Leiber im Sonnenlicht, Athleten hecheln vorbei. Gleichzeitig erreicht ein Trupp israelischer Soldaten Berlin. Dann ziehen alle nach Osten, die Soldaten zu Fuß, Malka auf einem gescheckten Esel, vorbei an der Siegessäule, Richtung Brandenburger Tor. Und nichts bleibt, wie es ist.
Was ist das? Eine antisemitische Fantasie? Oder eine zionistische Fantasie?
Erst segelt aus geschniegelten Altbauten deutsches Kulturgut auf die Straße, Reclamhefte, Goethe-Büsten, eine Kuckucksuhr. Dann tauscht an einer Straßenkreuzung ein Mann mit Kippa deutsche Straßennamen gegen hebräische aus. Die Soldaten laufen auf den Reichstag zu, einer von ihnen trägt Gebetsriemen. Schließlich das bombastische Finale am Wannsee: Vor den Augen Malkas und der ungläubigen Badegäste steigt unter Brausen und Summen die gigantische Kuppel von Albert Speers "Welthauptstadt" Germania empor. In einer Art Epilog sieht man schließlich Menschen mit Koffern Bahngleise entlanggehen. So weit die Schlüsselszenen.
Man muss danach erst mal Luft holen und sortieren, was genau man da eigentlich gesehen hat. Eine antisemitische Fantasie? Eine zionistische Fantasie? Beides? Keins davon? Und ist das nicht absolut ungeheuerlich, Speers vollendete Ruhmeshalle und danach Deutsche mit Koffern auf Gleisen zu zeigen wie einst die jüdischen Opfer der Shoah? Yael Bartana kennt dieses Erschrecken über die Bilder, sie hat es beabsichtigt, sie spielt damit: "Achten Sie darauf, was Sie wirklich sehen", sagt sie: "Wir wissen nicht, wohin die Menschen mit den Koffern gehen, es gibt keine Gewalt. Wir alle tragen das kollektive Wissen aus dem Kino, aus Archiven, von historischen Fotos und Dokumentationen in uns. Diese Bilder bringen wir mit. Deshalb denken wir, dass wir etwas sehen, das es im Film gar nicht gibt."
Hat man aber den Film als visuelle Übung akzeptiert, als Schule des Sehens, geschieht zweierlei. Selbst die assoziativsten Bilder werden plötzlich von ihrer historischen Last befreit. Menschen auf Gleisen könnten tatsächlich nur Menschen auf Gleisen sein. Und israelische Soldaten, die aus dem Dunkel zur Siegessäule emporschauen, können zwar an das ikonische Bild israelischer Fallschirmjäger an der Klagemauer im Sechs-Tage-Krieg erinnern, aber sie müssen es nicht. Sehen die Berliner Invasoren nicht sogar etwas verloren aus? Wollten sie wirklich einmarschieren oder haben sie sich nur verlaufen?
Diese Befreiung der Bilder wiederum ist das Instrument einer viel umfassenderen, geschichtsoptimistischen Interpretation. Mag sein, dass aus den Tiefen des Wannsees der verdrängte Größenwahn der Deutschen in Gestalt der Ruhmeshalle aufsteigt. Aber was genau würde das bedeuten? Die Bilder lassen offen, ob die Strandgäste die Konfrontation bejubeln oder verfluchen werden. Wichtiger ist ohnehin die Frage, welche Gefühle das Bild im Zuschauer auslöst.
In einem Depot neben der Leinwand sind Requisiten zu sehen, darunter eine goldene Malka-Figur, die den Reichsadler in die Freiheit fliegen lässt - und mit ihm womöglich den deutschen Größenwahn. Die Zukunft hat noch nicht stattgefunden und ist schon ein Fall fürs Museum: So könnte es sich abspielen, und das bliebe davon übrig.
Bartanas Film handelt von der Erlösung durch Kunst. Nicht nur die Bilder, sondern auch die Geschichte kann neu geschrieben werden. Selbst das schuldbelastete, oft so unaufrichtige Verhältnis der Deutschen zu Juden und zu Israelis könnte anders befragt, anders gelebt werden. Im Idealfall wirke ihre Kunst wie eine Psychoanalyse, die den Menschen hilft, aus den ewigen engen Zyklen auszubrechen, sagt Bartana. In "Malka Germania" zieht gelegentlich ein Kamel durchs Bild, kein Ressentiment, kein ruhelos "wandernder Jude", sondern eine Ermunterung an die Deutschen: Traut euch, bewegt euch, es kann besser werden. Kunst als Bewegungstherapie.
Deutsche und Juden, wie könnte das weitergehen? Die Künstlerin lebt seit zehn Jahren in Berlin
Bartana lebt seit zehn Jahren in Berlin, sie sieht sich selbst als Außenseiterin, die immer da sein möchte, wo sie gerade nicht ist. Viele ihrer Werke, auch in der Berliner Ausstellung, enthalten Kritik an der israelischen Politik, der Besatzung, der Zurücksetzung der Araber, den Siedlern. Das hat ihr selbst schon den Vorwurf eingebracht, sie sei antizionistisch oder sogar antisemitisch.
Am Anfang von "Malka Germania" aber stand die Sehnsucht nach der hebräischen Sprache, erzählt sie: Eines Nachts habe sie davon geträumt, dass alle Straßenschilder in Prenzlauer Berg hebräisch seien: "Vielleicht hatte ich Heimweh." Wenn man im Film sieht, wie unbeeindruckt die zufällig in die Dreharbeiten geratenen Berliner sind - ganz die abgebrühten Hauptstädter -, dann ist das schon allein sehr hübsch. Für Israelis ist die Szene noch unterhaltsamer, denn die Berliner Straßen heißen jetzt "Rehov Geula", Straße der Erlösung, und "Rehov Hakovshim", Straße der Eroberer, es sind martialische Namen einer völlig alltäglichen Kreuzung in Tel Aviv.
Dass Bartana ganz anders angefangen hat, anthropologischer, dokumentarischer, kann man in ihrer Ausstellung gut verfolgen. Zwar ist die Werkschau nicht chronologisch geordnet, aber zu Beginn finden sich einige ihrer frühen Videos wie "Kings Of The Hill" von 2003, wo Männer monströse SUVs den Strand hinauf- und herunterquälen. Oder "When Adar Enters" aus demselben Jahr, ein Besuch zum Purim-Fest bei den Orthodoxen in Mea Shearim in Jerusalem und Bnei Brak bei Tel Aviv. Alle verkleiden sich, die Mädchen tragen weiße Kleider wie Bräute, ein Junge eine Gasmaske. Auf der Straße tanzen Männer mit Fake-Fez.
Es ist eine Welt, die der säkularen Bartana halb fremd, halb vertraut ist. Aber dass der Andere unabdingbar ist, um die eigene Identität zu formen, gehört ja gerade zu ihren Kernthesen. Israelis wie sie beispielsweise werden sich erst in Europa ihrer jüdischen Identität bewusst, sagt sie. Aber was ist, wenn dieser Andere fehlt als Folge von Vernichtung? Wie umgehen mit einem so verstörenden Vakuum? Eine Antwort darauf gibt in Berlin ihr bekanntestes Werk, das vielgestaltige Projekt "And Europe Will Be Stunned". Es kreist um eine fiktive polnische Bewegung, die 3,3 Millionen Juden - so viele wie vor der Shoah in Polen lebten - zur Rückkehr bewegen will. Das "Jewish Renaissance Movement in Poland" war - heute schwer vorstellbar - Polens Beitrag zur Biennale in Venedig 2012, es berührt Fragen von Zugehörigkeit, von Heimat, auch von Erlösung.
Die Reaktionen in Israel waren stürmisch, sagt Bartana: Polnischstämmige Juden weinten, als sie die Sprache ihrer Kindheit hörten. Andere waren fassungslos: "Willst du uns zurück in die Gaskammer schicken?" Und dann gab es noch eine Lesart, politischer, aktueller: "Wenn die Juden nach Polen zurückkehren, müssten dann nicht die Palästinenser nach Israel zurückkehren dürfen?", fragt Bartana. Ihre Antwort: "Ja, das müssten sie."
"Redemption Now" ist die erste Ausstellung der neuen Museumsdirektorin Hetty Berg, geplant lange bevor sie ihren Posten antrat, nun aber ein künstlerischer und intellektueller Coup.
Man findet die Fotos von Herzl als Bartana wieder, auch ein Video mit dem Titel "Trembling Time". Es zeigt in Zeitlupe den einfrierenden Verkehr während der Schweigeminute für die israelischen Kriegsgefallenen. Bartana hat zionistische Jubelbilder aus den Dreißigerjahren mit Arabern nachgestellt und eine israelische Friedensdemonstration als antikes Relief gefilmt. Je länger man durch die Schau streift, umso erfrischender, ja, tatsächlich auch erlösender wirkt die Formbarkeit von historischen Utopien und historischen Erzählungen. Neben diesem angenehmen Eindruck aber zeigt sich ein Dilemma, das Bartana weder anspricht noch auflöst: Es ist die beißende Frage, ob ausgerechnet die Deutschen einen Anspruch auf diese Art von Erlösung von ihrer Geschichte haben.
Yael Bartana: Redemption Now. Jüdisches Museum, Berlin . Bis 10. Oktober. Der Katalog kostet 42 Euro.