Favoriten der Woche:Roh und saftig

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Javier Bardem in dem Film "Jamon, Jamon" von Bigas Luna aus dem Jahr 1992. (Foto: Imago/Granata Images)

Javier Bardem in einer frühen Rolle, Vogel-Pop, ein Gedicht über Dosenwein, quietschbunte Bilder aus der Republik Moldau. Und ein Auftritt von Joni Mitchell, der zu Tränen rührt.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Javier Bardem als Schinkenlieferant

Weil der großartige Javier Bardem doch gerade im Kino in "Der perfekte Chef" zu sehen ist: In der Arte-Mediathek gibt es derzeit einen Film aus seiner Anfangszeit mit dem Titel "Jamon, Jamon" (1992), also zweimal "Schinken", wobei einmal auch der Allerwerteste gemeint sein könnte. Auf Deutsch hieß er damals, nicht unpassend, "Lust auf Fleisch". Der Film ist so roh und saftig wie sein Titel und illustriert höchst anschaulich, was Bardem meinte, als er einmal sein erstes Casting beschrieb: "Sie haben mich gebeten, mein T-Shirt auszuziehen, und mir dann die Rolle gegeben. Ich startete als Stück Fleisch, und wurde nach und nach zu einem Schauspieler." In jeder Hinsicht gut ausgestattet, spielt Bardem in dem heißen "Schinken" von Bigas Luna den jungen Proll Raúl, gefragt als Unterhosenmodel und knoblauchkauender Latin Lover. Als solcher kriegt er auch die einem anderen versprochene Silvia rum, gespielt von der damals achtzehnjährigen Penélope Cruz, die selbstverständlich eine Schau ist. Der Film spielt ganz unverschämt mit Stereotypen und Klischees und ist so sexy, dass der Bildschirm flirrt. Ihn heute so zu drehen wäre nicht mehr möglich. Aber anschauen darf man sich das noch. Christine Dössel

Vogelgezwitscher

Im "Birdsong Project" finden Vogelschutzbestrebungen und Pop-Intellektualität aufs Schönste zusammen. (Foto: The Audubon Society)

Mehr als zweihundert große Namen aus Musik, Literatur, Lyrik, Kunst und dazu ein paar veritable Hollywoodstars, die sich mit Vogelgesang auseinandersetzen, klingt nach einem dieser größenwahnsinnigen Produzentenprojekte. Das ist "For the Birds: The Birdsong Project" auch zunächst mal. Kleine Stichprobe der Namen gefällig? Nick Cave, Karen O, Tilda Swinton, Kamasi Washington. Noch ein paar? Bette Midler, Beck, Jeff Goldblum, Jonathan Franzen, Laurie Anderson. Allesamt mit exklusiven Stücken, Lesungen, Texten. Manche haben sich ganz direkt mit Vögeln auseinandergesetzt, wie der NEU!-Gitarrist Michael Rother mit der Produzentin Vittoria Maccabruni, die über Tonspuren mit Gezwitscher spielen. Oder die Komponistin Anna Clyne, die für Yo Yo Ma ein Stück für Cello und Vogelgesang geschrieben hat. Andere nehmen den Umweg über die Kulturgeschichte, wie Elvis Costello, der eine Coverversion des Beatles-Liedes "And Your Bird Can Sing" mit seinem eigenen Stück "The Birds Will Be Singing" verschränkt.

Hinter dem Mammutunternehmen steckt aber nicht nur Randall Poster, der die Musik für die meisten Filme von Wes Anderson und ein paar Hundert Arthouse-Filme und Blockbuster zusammengestellt hat. Die Audubon Society hat das Projekt gestartet. Das ist die ehrenwerte amerikanische Vogelschutzorganisation, in der sich 1905 Ornithologen und Naturforscher zusammenfanden. Nicht nur, um sich um den Fortbestand der Arten zu kümmern. Sie förderten auch das "Birdwatching", den amateurwissenschaftlichen Zeitvertreib der Vogelbeobachtung, der sich aus dem England des 18. Jahrhunderts in die Neuzeit gerettet hat.

Fünf Ausgaben mit jeweils vierzig bis fünfzig Beiträgen erscheinen in diesem Sommer im Monatsrhythmus. Im Herbst kommt dann eine Prachtbox mit 20 LPs heraus. Auf den Streamingdiensten kann man sich das auch sehr viel billiger anhören. Am 29. Juli erschien die dritte Folge. Und es wird wieder wie das Blättern in einem Album sein, in dem sich die Gegenwart eines sehr angelsächsischen Pop-Intellektualismus verewigt hat. Von Elvis Costello stammt übrigens auch das Zitat, das wie ein lakonisches Motto der Aktion sein könnte: "Ohne Vögel stünden wir knietief in Würmern, würden von Käfern überfallen und es gäbe keinen Gesang in den Bäumen. Das Mindeste, was wir tun können, ist, unsere Stimmen in Lobpreisung oder Lamento zu erheben." Andrian Kreye

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Joni Mitchell

Joni Mitchell musste nach einem Schlaganfall 2015 das Gitarrespielen neu lernen. (Foto: Valerie Macon/AFP)

Schon ein paar Tage her, aber ein Moment für die Ewigkeit. Das traditionsreiche Newport Folk Festival an der US-Ostküste, vergangenes Wochenende. Viele Stars sind bereits aufgetreten, es geht dem Abschluss entgegen. Und auf einmal sitzt da Joni Mitchell auf der Bühne. Unfassbar. Die Frau, die seit ihrem Schlaganfall im Jahr 2015 kaum mehr öffentlich zu sehen war, hat sich mit Internet-Videos mühsam wieder das Gitarrespielen beigebracht. Und jetzt singt sie mit dunklem Timbre "Both Sides Now". Es ist, als wäre ein Engel zurückgekehrt, angeschlagen, müde, aber immer noch bezaubernd. Und weil wir im 21. Jahrhundert leben, gibt es dankenswerterweise unzählige Mitschnitte im Netz, und der wundersame, erschütternde Augenblick lässt sich immer wieder nacherleben. Und kann einem jedes Mal die Tränen in die Augen treiben. Max Fellmann

Dosenwein-Lyrik

Alexis Dubus in seiner Rolle als Marcel Lucont. (Foto: Adam Robertson)

Ein Zufallsfund, auf Tiktok: Poesie! Genauer: ein Gedicht von Marcel Lucont, der sehr französischen, mit schwerem Rotwein vollgesogenen Kunstfigur des britischen Komikers Alexis Dubus - Viertagebart, große, rehgütige Augen, toller, dunkler Indie-Scheitel, leider meistens barfuß und alles vom Ennui ein wenig dem Zynismus entgegengebeugt. Jedenfalls entdeckte dieser Lucont auf dem Also Festival in Compton Verney, England: Dosenwein. Und es stimmt ja: Von allen Anzeichen, dass diese Spezies sich zugrunde richtet, ist Wein in Dosen eines der untrüglicheren, also schrieb er das Gedicht "Wine In A Can". Es gibt in dem kurzen Werk Parallelen zu Pizza-Hawaii, Nazi-Devotionalien und dann jene Zeile, in der Historiker den Untergang der Menschheit nachzeichnen werden: "As our history books chart the fall of man / They'll read 'Nixon', then 'Johnson', then 'Wine In A Can'". Jakob Biazza

Farbenprächtiges, surreales Moldau

Eine große Ruhe liegt über diesen Bildern, ein Abwarten: Restaurant in Otaci, 2015. (Foto: Andrea Diefenbach)

Der Osten war natürlich immer da, aber hat man ihn gesehen? Wie oft hat der westliche Mensch wirklich seinen Blick über die Oder schweifen lassen und ist er dabei bis Moldau gekommen? Hand aufs Herz: wohl eher selten. Aber jetzt ist Krieg, jetzt muss man den Osten Europas wahrnehmen, und siehe, er ist wild und farbenprächtig und surreal. Zumindest auf den Bildern von Andrea Diefenbach, die ihre Wahrheiten über die Republik Moldau, "Realitatea of Molodva" (Hartmann Verlag), über viele Jahre gesammelt hat. Stillleben mit bunten Wachstuchdecken sind darunter, Landschaften mit Pferden und breiten Flüssen, quietschbunte Supermarktregale und prächtige Bankettsäle. Und immer wieder flauschige Kunstfaserdecken oder Fototapeten, auf denen sich alle Motive wiederholen, die Blumen, die Flüsse, die Pferde.

Eine große Ruhe herrscht auf diesen Bildern, ein Abwarten, wenn man so will: eine gewisse historische Leere zwischen dem Enden der Sowjetunion und dem Aufbruch nach Europa, zwischen dem Leben am Rand der Imperien und dem Frieden der Provinz. Die Menschen schauen gefasst und erwartungsfrei in die Kamera, Erstklässler mit Anzug und Schärpen, Arbeiterinnen einer Fabrik, eine Kellnerin in einem psychedelisch roten Restaurant. Die meisten Bilder von Diefenbach sind vor sechs, sieben, acht Jahren entstanden, als Moldau nach einem verhängnisvollen Satz der Weltbank zum ärmsten Land Europas erklärt wurde. Dass es das je nach Statistik zwar ist, aber bei aller Armut eben doch auch eine ganz eigene Fülle, einen Reichtum besitzt, dass es in jeder Hinsicht eine Menge zu bieten hat, zeigen nicht nur Diefenbachs Bilder von Wassermelonenbergen, sondern auch eingebundene oder eingelegte Faksimiles: Zeitungen, die von Protest und politischen Unruhen berichten, und ein Rotes Buch aus dem Jahr 1976, in dem der Ministerrat Säugetiere, Reptilien und Kräuter der damals noch sowjetischen Republik Moldau präsentierte.

Und dazu ein so bissiges, so selbstkritisch ironisches Gespräch unter Philosophen und Schriftstellern, als könnten Diefenbachs Bilder sprechen. Es brauchte einen Krieg, bis der Westen die Ukraine in ihrer ganzen Vielfalt zur Kenntnis nahm. Wie schön wäre es, wenn es keinen weiteren bräuchte, um diesem pittoresken, bitter unterschätzten Flecken des Kontinents das Herz zufliegen zu lassen. Sonja Zekri

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