Im Kino: The Tourist:Zwischen Graf und Größenwahn

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Nun gut, denkt man da, vielleicht träumt er ja weiterhin in der Sprache seiner Helden Richard Wagner und Thomas Mann. Man muss ja nicht alles können. Dann aber kommt das Rätsel der Schauspielführung. Donnersmarck kniet erkennbar vor dem Altar von Jolies Schönheit, lässt sie aber ansonsten völlig allein - das Ergebnis ist die eingangs beschriebene Leblosigkeit, die den Film mit der Zeit von innen aushöhlt. Noch schmerzhafter zu betrachten ist Johnny Depp. Er wirkt nicht nur so aufgedunsen und unsexy wie noch nie, sondern geradezu verloren.

Schon klar, seine Figur muss am Anfang ein wenig trottelig sein, aber selbst dafür wird ihm jeder Raum genommen. Manchmal merkt man, wie sein Captain Jack aus den "Fluch der Karibik"-Filmen zum Ausbruch drängt. Diesen Impuls unterdrückt Donnersmarck aber sofort. Ersatzweise gibt er ihm gar nichts zu tun, als wolle er, in erotischer Komplizenschaft mit seiner Hauptdarstellerin, den eigenen leading man möglichst schlecht aussehen lassen. Wenn Depp schließlich, im Zuge einer Verfolgungsjagd, im Pyjama vom Hotelbalkon springen muss und dabei - Achtung Schenkelklopfer - einen dicken, keifenden Polizisten in den Canal Grande befördert, kann er einem fast leid tun.

Das weitere Schicksal des Films wird nun interessant sein. Die Action-Kids, die Angelina oder Johnny gern in "Wanted" oder als Captain Jack sehen, werden bei der langsamsten und unbeholfensten Verfolgungsjagd der jüngeren Filmgeschichte wohl in ungläubiges Lachen ausbrechen. Da sind zwei Motorboote aneinandergebunden, die gemeinsam nicht so recht durch die engen Kanäle kommen, und der Schnitt verschärft das Problem.

Hitchcock-Verehrer dagegen dürfte der Mangel an Spannung irritieren. Wenn zum Beispiel klar wird, dass die Killer auf alles mögliche schießen dürfen, nur auf den Helden nicht - ausdrückliche Anweisung vom Oberschurken. Jene schließlich, die sich auch von hochglänzendem Eskapismus nicht gern für dumm verkaufen lassen, muss auch der lachhafte Schluss vor den Kopf stoßen.

"The Tourist" wird schon morgen rückstandslos verpufft sein. Aber am Ende ist es doch nur ein zweiter Film, der die Beziehung zwischen dem Graf und dem Größenwahn, zwischen Henckel und Hollywood, zwischen Deutschland und Donnersmarck neu justiert. Man kann das als Chance betrachten. Denn eins ist ja klar: Recht behalten soll der alte Spielberg mit seiner bösen Prophezeiung natürlich nicht.

THE TOURIST, US 2010 - Regie: Florian Henckel von Donnersmarck. Buch: Donnersmarck, Julian Fellowes, Chris McQuarrie . Kamera: John Seale. Mit Angelina Jolie, Johnny Depp. Kinowelt, 97 Min.

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