Die Geschichte des Comics "Einmal durch den Louvre" ist schnell erzählt: Auf der Suche nach seiner Freundin irrt der Zeichner David Prudhomme durch die insgesamt zwölf Kilometer langen Gänge des "Museumswesens", wie er den Louvre nennt. Doch darum geht es gar nicht. Worum es geht, das sind die Heerscharen von Besuchern, die das Pariser Museum bevölkern, den Ausstellungsraum mit Leben füllen und Prudhomme als Ausgangsmaterial für seine ironischen Beobachtungen dienen.
Auf seinem Streifzug durch das Museumswesen eröffnet sich dem Zeichner ein Kaleidoskop von Eindrücken, die er in flüchtigen, karikaturhaften Bleistiftzeichnungen festhält. Jedes Bild ist ein Porträt von einem der Vorübergehenden, einem Besucher, der danach wieder in der Masse verschwindet. Die Gemälde hingegen stellt Prudhomme bloß als graue Schlieren dar, die sinnlos an den Wänden hängen. Präsent sind sie trotzdem ständig, als Bildzitate, die mit viel Witz und Ironie arrangiert wurden.
Freiheitsikone mit Staubwedel statt Trikolore
Da ist zum Beispiel die Museumsführerin, die vor dem Gemälde "Die Freiheit führt das Volk an" von Eugène Delacroix steht und an die Revolutions-Ikone erinnert, die hinter ihr an der Wand hängt. Statt einer Trikolore hält sie allerdings einen Staubwedel in der Hand. Einige Räume weiter befindet sich eine Gruppe von Statuen - allesamt mit überdimensionierten Penissen ausgestattet. Davor mehrere Männer, die fragend an sich hinunterschauen, während die einzige Frau in der Gruppe ein Foto von den steinernen Geschlechtsorganen schießt.
Es sind detailverliebte Szenen wie diese, die "Einmal durch den Louvre" so besonders machen, weil hier die überschwängliche Bildsprache des Comics mit dem demütigen Ernst der Kunst verschmilzt. Eine Verbindung, die gar nicht mal so abwegig ist. Prudhomme bemerkt bereits auf den ersten Seiten, dass er sich im Louvre fühlt wie in einem Comic. "Überall Panels an den Wänden", sagt er und vergleicht die gerahmten Gemälde mit einzelnen Bildern auf einer Comic-Seite.
Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Schließlich sind die Panels in einem Comic durch eine Geschichte miteinander verbunden. Die Gemälde in einem Museum hingegen stehen für sich. Deshalb verschiebt Prudhomme die Perspektive, stellt die Gemälde in den Hintergrund, sprengt ihren Rahmen, um sie als Zitat in seine Geschichte einzugliedern und im Kontext des Ausstellungsraumes zu betrachten. Was dabei entsteht, ist ein interessantes Spannungsverhältnis zwischen Objekt und Beobachter, das die Frage aufwirft, wie wir Kunst überhaupt aufnehmen?
Es heißt, dass Kunst im Auge des Betrachters entsteht. Doch was sieht der, wenn er kaum mehr als zehn Sekunden vor einem Gemälde verbringt und bloß durch die Linse seiner Kamera schaut, um "zu bewahren, was man nicht besitzen kann", wie Prudhomme bemerkt? Kann es unter solchen Umständen eine Beziehung zwischen dem Betrachter und dem Objekt geben? Man mag es kaum glauben, aber doch, sie ist da.
Während Prudhomme durch das Museum flaniert, beobachtet er Momente, in denen es eine tiefe Verbundenheit zwischen Ausstellungsstück und Besucher gibt. Da sitzt ein lesender Mann neben der Statue eines ägyptischen Schreibers und vom Schreiber zum Leser führt ein Band, das miteinander verknotet, was durch Jahrhunderte voneinander getrennt ist.
An einer anderen Stelle porträtiert Prudhomme ein Pärchen, das eng umschlungen vor einer antiken Skulptur steht - auch das steinerne Liebespaar umarmt sich. Kunst entsteht eben nicht nur im Auge des Betrachters, sondern auch im Auge des Künstlers, der seine Umwelt beobachtet und nachbildet, was er dort gesehen hat.
In den Eingeweiden des Museumswesens
Es gibt ihn also doch, den Dialog zwischen Publikum und Ausstellung, trotz der allgegenwärtigen Hektik im Louvre. Prudhomme hegt die romantische Vorstellung von einem Museum als Schmelztiegel, in dem alle Zeitalter des Menschen und alle Sprachen der Welt aufeinandertreffen, "um sich in Stille zu begegnen", wie es in dem Comic heißt.
Doch was bleibt übrig, wenn man zusammen mit dem Zeichner wieder in die Pariser Metro steigt? Bruchstücke, Farbschlieren, Gesichter, ein Wust zersprengter Bilder, die genauso gut aus dem Alltag wie aus dem Museum stammen könnten. Die Grenze zwischen Vorlage und Abbildung ist vollends zerlaufen. An diesem Punkt möchte man wieder zurück und noch einmal durch den Louvre irren, um diesmal vielleicht etwas genauer hinzuschauen.
David Prudhomme: "Einmal durch den Louvre", Reprodukt Verlag, Erscheinungstermin: August 2013, 20 Euro.