Glosse:Im Reich der Dürstenden

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"Im Schatten von Bäumen kann man zur letzten Ruhe ...", nein, hm, also "zur Ruhe kommen und umher summenden Bienen lauschen". (Foto: Peter Kneffel/picture alliance / dpa)

"Wir gießen, Sie genießen": Der Verband der Friedhofsgärtner wirbt für den Gottesacker, als wäre er ein Gartenparadies. Das ist mindestens ein erfrischender Gedanke.

Von Gerhard Matzig

Das Gartenbeet ist nach Ansicht des in der Nähe von Dresden lebenden Bauingenieurs Horst Bellermann, der zum Glück nicht nur den statischen Gewissheiten, sondern auch der aphoristischen Anarchie zuneigt, der Beweis, dass sich die Erde nicht dreht: "Sie muss noch immer umgegraben werden." Jeder Gartenfreund kennt diese Sentenz. Denn im handtuchgroßen Garten Eden hinter dem Reihenendhaus als letztem Sehnsuchtshabitat der Menschheit (nicht so sehr für Leute wie Elon Musk oder Jeff Bezos, die demnächst lieber auf den Mars ziehen) gibt es nur drei Gewissheiten.

Erstens: Der Giersch gewinnt. Zweitens: Die Nacktschnecken bleiben. Und drittens: Dem tatsächlich unendlichen Glück im selbst waschlappenkleinen Garten steht die unendliche Arbeit, die man damit hat, in nichts nach. Kleiner Tipp für Bezos und Musk: Auf dem Mars gelten die drei Grundgesetze menschlichen Elends natürlich auch. Sie sind universell.

Aus diesem Grund hat man einerseits das "Smart Gardening" erfunden. Also Mähroboter, KI-Bewässerung und dergleichen mehr. Und andererseits begrüßt man auch deshalb den aktuellen Newsletter vom Bund deutscher Friedhofsgärtner so aufseufzend, wie man sonst nur noch eine von John Wayne befehligte Kavallerie, einen längst überfälligen Liebesbrief oder den allerallerallerletzten Tweet von Sophia Thomalla begrüßen würde. Mit heißem Herzen und dürstendem Verlangen. Schon der Titel der Friedhofsgärtner-Brancheninfo für den Juli ist insofern ein einzigartiges Versprechen in den utopiekargen Zeiten allgemeiner Dürre: "Wir gießen, Sie genießen". Klänge das jetzt nicht etwas despektierlich vor Ort, man könnte fast behaupten: Das weckt ja Tote auf.

Hinreißend, wie beseelt die Friedhofsgärtner von ihrem Terrain sprechen

Was schon deshalb begrüßenswert wäre, weil die sich dann mal schön selbst kümmern könnten um ihre letzten Unruheorte. Auch Gräber machen schließlich Arbeit. Der Bodendecker weiß das. Es ist ja auch eine im Grundsatz prima Idee: der monatsweise zu buchende Gieß- und Pflegeservice der Friedhofsgärtner. "Schnell wird klar", heißt es in deren eimerbewehrten Reihen, "dass ohne die unermüdliche Gießleistung viele liebevolle Grabbepflanzungen diesen Sommer nicht überstehen würden." Traurig, aber wahr: Nicht einmal dem Gottesacker kann der Dürremonitor in Klimawandelzeiten die Kohl'sche Glücksformel blühender Landschaften garantieren. In Wahrheit ist auch dieses Versprechen so sicher wie die Rente.

Im Grunde ist es ja hinreißend, wie beseelt die Friedhofsgärtner von ihrem Terrain sprechen. Das erinnert an den Flyer vom Gartenparadies: "Innerhalb der Friedhofsmauern erschließen sich Besuchern grüne Oasen von einzigartigem Erholungswert. Gerade im Sommer ist der Friedhof ein belebter ..." nein, sorry, "ein beliebter Ort. Auf einer Bank im Schatten von Bäumen kann man zur letzten Ruhe ...", nein, hm, also "zur Ruhe kommen und umher summenden Bienen lauschen". Und wenn man ganz genau hinlauscht, dann flüstert einem die so liebe wie verblichene Mutter von unten herauf ziemlich harsch zu: "Gieß-Service! Monats-Abo! Das sieht dir mal wieder ähnlich, Sohn!"

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