Gesellschaftskritik:Ein Musikvideo wie eine Ohrfeige für Amerika

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Die Pose, die Donald Glover in einer der ersten Szenen seines Musikvideos einnimmt, erinnert an Jim-Crow-Karikaturen - im 19. Jahrhundert wurde der Ausdruck für das rassistische Stereotyp eines unterdurchschnittlich intelligenten Schwarzen verwendet. (Foto: Youtube/Daniel Glover)

Schauspieler Donald Glover - bekannt aus der Erfolgsserie "Atlanta" - klagt mit dem Song "This Is America" die USA an. Sein Amerika ist brutal, blutig und abgrundtief hässlich.

Von Johanna Bruckner, New York

Donald Glover beginnt seinen Begrüßungsmonolog in der legendären US-Fernsehshow Saturday Night Live am vergangenen Samstag mit einer Warnung. "Ich bin Schauspieler, Autor und Sänger", erklärt der 34-jährige Afroamerikaner. "Es gab schon Leute, die mich als dreifache Bedrohung bezeichnet haben." Das mag nach einer Selbsteinschätzung mit Augenzwinkern klingen - Selbstironie ist schließlich so etwas wie die Königsdisziplin des intellektuellen Humors, für den Saturday Night Live steht. Aber als er kurz darauf in der Sendung sein neues Musikvideo präsentiert, wird klar: Glover wollte mitnichten sein eigenes Können herunterspielen. Er ist tatsächlich eine dreifache Bedrohung, weil er in allen drei Disziplinen herausragend gut ist.

Sein Video "This Is America", veröffentlicht unter Glovers Pseudonym Childish Gambino, erzählt vom schwarzen Amerika 2018, irgendwo zwischen abgrundtiefer Verzweiflung und Verdrängung. Es sterben Menschen, es wird getanzt und ein Joint angezündet. Es geht um das, was im Land passiert. Und um das, was seine Bewohner lieber nicht sehen wollen. Weiße wie schwarze. Es geht um Black Culture, staatlich geduldetes Blutvergießen und eine selbst gewählte Blindheit. "This Is America" ist eine auf vier Minuten verdichtete Gesellschaftskritik. Inhaltlich und bildsprachlich so wuchtig, dass es weh tut.

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Umso mehr, weil das Video denkbar harmlos beginnt. Eine leere Lagerhalle, ein roter Stuhl, darauf eine Gitarre. Ein Schwarzer nimmt Platz und fängt an, zu spielen. Gute-Laune-Vibes, wenn auch in ungewöhnlicher Kulisse. Dann fährt die Kamera um den Gitarrenspieler herum, nähert sich Donald Glover, der bislang hinter einer Stehle verborgen war. Glover trägt eine helle Hose, sein Oberkörper ist frei. Er beginnt zu tanzen, sein Körper bewegt sich in sinnlichen Wellen. Aber sein Gesicht bricht immer wieder aus, verzerrt sich. Für einen Moment ist sein rechtes Auge grotesk weit aufgerissen.

Vielleicht braucht es gerade ohrfeigenhafte Unmissverständlichkeit

Die Darbietung erinnert an sogenannte Minstrel Shows: Comedy-Shows zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in denen sich weiße Amerikaner über Afroamerikaner lustig machten, indem sie sich ihre Gesichter schwarz anmalten ( Blackfacing) und unter anderem deren traditionelle Tänze nachahmten. Vereinzelt wurden auch Schwarze genötigt, zur Unterhaltung des weißen Publikums aufzutreten.

Plötzlich steht der tanzende Glover hinter dem Gitarrenspieler. Dessen Instrument ist verschwunden, dafür trägt der Mann einen Sack über dem Kopf. Glover fasst hinter sich und zieht eine Waffe aus seinem Hosenbund. Wieder setzt sein Körper zu einer Wellenbewegung an, die Hüfte schiebt sich weit nach hinten, der rechte Arm - mit der Waffe in der Hand - geht nach vorne. Dann feuert er dem Mann auf dem Stuhl geradewegs in den Kopf. "This is America", sagt Glover in Richtung der Kamera.

Diese erste Szene ist so plakativ wie der Titel des Songs. Das ist Amerika. Oder vielleicht eher: So ist Amerika. Brutal. Blutig. Hässlich. Vielleicht geht es gerade nicht anders. Vielleicht braucht es diese ohrfeigenhafte Unmissverständlichkeit. Es sind schließlich mächtige Abwehrmechanismen am Werk.

Zum Beispiel bei Glovers Künstlerkollegen Kanye West, der Donald Trump jüngst als seinen "Bruder" bezeichnete. Jenen Präsidenten also, der sich von Amerikas Ultrarechten hofieren lässt. Vor wenigen Tagen verstörte der Rapper mit einem Statement zum Thema Sklaverei. "Wenn man von mehr als 400 Jahre langer Sklaverei hört: 400 Jahre lang? Das klingt für mich nach eigener Wahl", erklärte er dem US-Klatschmagazin tmz.

Man konnte mit dieser Kanye-Aussage nun umgehen wie ein Twitter-User namens "Snowcone", der mit seiner Theorie zumindest im Netz einige Aufmerksamkeit bekam: Demnach ist die Verbrüderung des Rappers mit einem rassistischen Präsidenten in Wahrheit ein veritabler Kunst-Coup. Angelehnt - Achtung! - unter anderem an Joseph Beuys, der sich einst für drei Tage in einem Raum mit einem wilden Koyoten einschließen ließ, um diesen zu heilen und zu einem Wesen zu erziehen, das zu Akzeptanz und Toleranz fähig ist. Wer diesen Weg in den künstlerischen Wahnsinn nicht mitgehen wollte, entschied sich vielleicht für eine inzwischen geübte Methode der Entgleisungs-Verarbeitung: Abheften unter "So drüber, dass es fast schon wieder lustig ist" und weitermachen. Funktioniert bei Kanyes Bruder im Weißen Haus schließlich auch.

Das mag die eigene Welt für einen Augenblick ein bisschen leichter erträglich machen. Aber besser wird die Welt dadurch nicht. Das führt Donald Glover, den die amerikanische Öffentlichkeit vor allem aus der Erfolgsserie Atlanta und dem Kinofilm "Solo: A Star Wars Story" kennt, in seinem Video zu "This Is America" schonungslos vor. Auf Youtube wurde der Clip in den ersten 48 Stunden nach Veröffentlichung mehr als 18 Millionen Mal angeschaut, auf Twitter übertrafen sich die Kommentatoren mit Lobeshymnen.

Da ist zum Beispiel die Szene mit dem Gospelchor. Die Chormitglieder singen und tanzen, doch ihre strahlenden Gesichter wirken aufgesetzt. Die aufgerissenen Augen, das festgefrorene Lächeln - man fühlt sich wohl nicht zufällig an die schwarzen Hausangestellten im Oscar-prämierten Horrorstreifen Get Out erinnert. Im Film endet der Besuch bei den Eltern seiner weißen Freundin für den Afroamerikaner Chris in einem rassistischen Albtraum. Und auch die Gospelchor-Sänger im Musikvideo werden Sekunden später zu Opfern. Glover mäht sie mit einem Maschinengewehr nieder. Eine Anspielung auf das Massaker im Juni 2015 an schwarzen Kirchenbesuchern in Charleston, South Carolina.

Der vierminütige Clip ist voll von Anspielungen auf solche Hate Crimes, also Verbrechen aus Hass auf Andersartigkeit. ( Einen Überblick über die vielen versteckten Botschaften im Clip gibt die US-Webseite Mashable.) Die systematische Gewalt von weißen Polizisten gegen schwarze Bürger in den USA findet in der Regel keinen Eingang in die entsprechenden Statistiken. In Glovers musikalischer Bestandsaufnahme des heutigen Amerika ist Polizeigewalt natürlich Thema.

Die Kamera schwenkt über eine Gruppe schwarzer Jugendlicher, die das Schauspiel aus Tanz und Tod filmen, das Glover so brillant inszeniert hat. "This is a celly", singt der 34-Jährige. "That is a tool." Der Hinweis auf Smartphones als "tools" ist dabei doppeldeutig: Im Fall des im Frühjahr dieses Jahres erschossenen Schwarzen Stephon Clark gab die Polizei zunächst an, der 22-Jährige habe nach einer Waffe ("tool") gegriffen, daraufhin habe man das Feuer eröffnet. Tatsächlich hielt der junge Familienvater sein Handy in der Hand. Smartphones dienen in solchen Fällen aber auch immer häufiger als Werkzeug, um der Wahrheit näherzukommen - weil Zeugen mit ihren Handys filmen, was sich wirklich abgespielt hat.

Lasst euch nicht einlullen von einem okay-gleichberechtigten Leben

Auch bei einem anderen Hauptmotiv lässt Glover Interpretationsspielraum. Sind die Tanzszenen und die Anlehnungen an populäre schwarze Kulturgüter wie den Gospelchor oder den Blockbuster "Get Out" nun als Anklage zu verstehen? Schließlich bedient sich das weiße Amerika hier ungeniert, schaut gerne hin und hört allzu bereitwillig zu. Wenn dagegen ein weiterer Schwarzer von einem weißen Polizisten erschossen wird, herrscht maximal bedrücktes Schweigen, oft Gleichgültigkeit.

Oder appelliert Glover mit "This Is America" doch eher an seine schwarzen Mitbürger, sich nicht einlullen zu lassen von einem okay-gleichberechtigten Leben mit einigen Annehmlichkeiten? Ruft er ihnen zu: "Nur weil schon viel erreicht wurde, heißt das nicht, dass schon genug erreicht wurde! Begehrt auf! Fordert ein!"?

Glover weiß, wie leicht und wie verführerisch es ist, über Komfort die wichtigen Kämpfe zu vergessen. "Es ist so schön, zurück zu sein", begrüßt er bei Saturday Night Live das New Yorker Publikum. "Vor allem, weil ich jetzt reich bin. Ernsthaft, ich empfehle das. Ich war hier arm und es ist viel besser, wenn man reich ist."

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