Geschichtsklitterung in "Zero Dark Thirty":In der Zeitschleife von Rache und Hybris

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Kronjuwel eines Offshore-Systems der Ungerechtigkeit - das Militärgefängnis von Guantanamo Bay. Im Bild die Hand eines Gefangenen (Foto: Getty Images)

Kathryn Bigelows Film "Zero Dark Thirty" hätte nie so produziert werden können, wenn nur einer der Beamten, die die US-Folterpolitik umgesetzt haben, zur Rechenschaft gezogen worden wäre. Stattdessen beteiligt sich Hollywood am Reinwaschen der illegalen Methoden. Wenn das kein Happy End ist, was dann?

Ein Gastbeitrag von Karen Greenberg

Karen Greenberg ist Historikerin. Sie leitet das Center on National Security an der Fordham Law School und ist Mitglied des Council of Foreign Relations. Als Co-Autorin der Studie "The Torture Papers" deckte sie 2005 die Folterpraktiken der Bush-Regierung mit auf. Übersetzung: Kevin Knitterscheidt

Am 11. Januar, auf den Tag genau 11 Jahre nachdem die Bush-Regierung das berüchtigte Gefängnis in der kubanischen Guantanamo Bay eröffnete, kam Kathryn Bigelows Film über die Jagd auf Osama Bin Laden schließlich landesweit in die amerikanischen Kinos. Filmemacher und Verleih hatten offensichtlich keine Ahnung, von der Bedeutung des Datums, was schon zeigte, wie gedankenlos sie den Film produzierten, der in den Köpfen vieler Amerikaner die eigentliche Geschichtsschreibung ersetzen wird.

Das Traurige daran ist, dass "Zero Dark Thirty" genauso gut von dem kleinen Kreis von Sicherheitsberatern hätte geschrieben werden können, die dem damaligen Präsidenten George W. Bush bei der Planung seiner Strategie nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 berieten. Das war eine Strategie, die schließlich zu Guantanamo führte, zu dem globalen Netzwerk von geheimen Gefängnissen, das sich zu einem Offshore-Universum der Ungerechtigkeit entwickelte, und zu den Folterpraktiken, die dort praktiziert wurden, die man euphemistisch als "verbesserte Verhörtechniken" bezeichnet.

Es ist auch ein Film, den diejenigen in der Obama-Regierung unterstützen könnten (und das auch tun), die so eifrig dafür eintreten, dass niemand für diese beschämende Politik zur Verantwortung gezogen wird. Er könnte genauso gut "Zurück in die Zukunft, Teil IV" heißen, weil der Film, genauso wie das Land, an das er sich wendet, in der Zeitschleife von Rache und Hybris festzustecken scheint.

Im Kern behauptet Bigelows Film, dass Folter den Vereinigten Staaten tatsächlich dabei half, den Haupttäter von 9/11 aufzuspüren. "Zero Dark Thirty" - für alle, die es noch nicht wissen - ist die Geschichte von Maya (Jessica Chastain), einer jungen CIA-Agentin, die glaubt, dass die Informationen eines Häftlings namens Ammar zu Bin Laden führen. Nach Wochen, vielleicht sogar Monaten der Folter liefert er die Schlüsselinformation, die zu einer anderen Spur führt, die schließlich... Nun ja, Sie ahnen es. Letztendlich offenbart er den Namen von Bin Ladens Kurier. Sobald dessen Namen zum ersten Mal genannt wird, verschreibt sich Maya der Suche nach ihm. Und schließlich führt er die CIA auch zu dem Gelände, auf dem sich Bin Laden versteckt.

Natürlich weiß man, wie die Geschichte ausgeht. So fesselnd die Entschlossenheit der Heldin, Bin Laden zu finden, auch sein mag - Fakt ist, dass Bigelow das Ethos der Bush-Regierung und ihrer Apologeten geschluckt hat. Es scheint, als wäre sie einem alten Memo der Regierung gefolgt und hätte eine fiktive Schritt-für-Schritt-Anleitung für die Planung, Implementierung und Propagierung der Folter- und Internierungspolitik der Bush-Ära geliefert. Hier nun sind die sieben Schritte, die die Politik der Bush-Regierung zurückbringen und den Amerikanern dabei helfen sollen, zu lernen, die Folter zu lieben - Bigelow-Style.

Filmkritik zu "Zero Dark Thirty", Hässliche Seite einer wahren Geschichte (Video: Süddeutsche.de, Foto: dpa)

Von der der ersten Szene an setzt "Zero Dark Thirty" unsere Post-9/11-Ängste mit einer Notwendigkeit der Folter gleich. Der Film beginnt in Dunkelheit. Man hört nur die tatsächlichen, herzzerreißenden Hilfeschreie derjenigen, die im Innern des World Trade Centers eingeschlossen sind: "Ich muss sterben, oder? ... Es ist so heiß. Ich verbrenne...", heult eine Frauenstimme. Nachdem diese Stimmen ausgeblendet sind, öffnet sich die schwarze Leinwand einer Totalen, in der Ammar von Männern in schwarzen Skimasken erst verprügelt und dann -die Arme weit auseinandergestreckt - gefesselt wird. Statt der Hilfeschreie hört man dann Foltergeräusche. "Wird er jemals freikommen?", fragt Maya. "Niemals", antwortet ihr CIA-Partner Dan (Jason Clarke). Diese Worte sind als beruhigende Antwort auf den Horror von 9/11 gedacht. Bigelows erster Schritt danach ist, das Mantra des ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney zu wiederholen, der forderte, die Nation müsse nun auf die "dunkle Seite" wechseln. Das gehörte zu seiner fixen Idee, dass man Vergeltung und Sicherheit angesichts der immensen Bedrohung durch Al-Qaida nur schaffen könne, wenn man sich nicht um bestehende Gesetze schert.

Bigelow folgt Cheneys Linie in eine Welt der Angst. Die Bush-Regierung verstand nur zu gut, dass die Angst ihr stärkster Verbündeter war, wenn sie ihre globale Vision, und auch die Invasion des Irak verwirklichen wollte. Von Terre Haute bis El Paso, von Portland, Oregon bis Portland, Maine wurden Amerikaner regelmäßig daran erinnert, dass sie immer und überall von Terroristen bedroht werden.

Genauso schlägt auch Bigelow dauernd Alarm. Immer wieder spickt sie die Erzählung von der Jagd auf Bin Laden mit häufig blutigem Aufnahmen von den Terroranschlägen aus der Zeit nach 9/11: die Bombenanschläge auf Ölanlagen im Saudi-arabischen Khobar von 2004, bei dem 22 Menschen ums Leben kamen; den Selbstmordanschlag in London von 2005, bei dem 56 Menschen starben; der Bombenanschlag auf das Marriott Hotel in Islamabad, der 54 Menschen tötete; und der vereitelte Bombenanschlagsversuch auf dem Times Square vom Mai 2010. Sie will uns daran erinnern, das wir mit einer permanenten Gefahr leben, und sie nutzt Maya, um uns das andauernd in Erinnerung zu rufen.

Folter ist sowohl nach amerikanischem als auch nach internationalem Recht illegal. Es wurde nur in einer Reihe von geheimen Memoranda für "legal" erklärt, die das Justizministerium unter Bush herausgab und denen die höchsten Regierungskreise zustimmten. Hochrangigen Regierungsmitgliedern, darunter Dick Cheney und der Nationale Sicherheitsbeauftragte Condoleezza Rice, wurden nachweislich verschiedene Foltertechniken im Weißen Haus vorgeführt, bevor sie dazu grünes Licht gaben. Sie waren davon überzeugt, dass es keinen rein legalen Weg gab, die amerikanische Bevölkerung zu schützen. Deswegen fragten sie nach geheimen rechtlichen Befugnissen, um die Folter im weltweiten Krieg gegen den Terror einsetzen zu können - und die bekamen sie auch.

Bigelow gibt sich erst gar nicht damit ab, dass das Recht neu interpretiert wurde. Sie setzt die Legalität der Taten, die sie aus nächster Nähe zeigt, voraus und sichert sich nur mit dem Ende des Films ab, wo sie beiläufig darauf hinweist, dass das Rechtssystem ein potenzieller Hemmschuh für die Ergreifung Bin Ladens war. "Wen zur Hölle soll ich [nach Bestätigungen für die Informationen des Kuriers] fragen, einen Typen in Gitmo, der sich einen Anwalt nimmt?", fragt Obamas Nationaler Sicherheitsberater im Film kurz vor dem Sturm auf Bin Ladens Versteck.

Als die neuen Richtlinien zur Legalisierung der Folter in Kraft traten, wurde auch die Inhaftierung von Terrorverdächtigen ohne Anklage oder Verhandlung (einschließlich solcher, von denen wir heute wissen, dass sie trotz ihrer Unschuld grauenhaft behandelt wurden) zum Modus Operandi der Regierung. Dafür wurden eigens Regierungsanwälte hinzugezogen, die Rechtsgutachten erstellten, mit denen man die Genfer Konvention für bestimmte Häftlinge außer Kraft setzen konnte, um Verhöre unter Bedingungen zu erlauben, die unverfroren nationales und internationales Recht verletzten.

"Zero Dark Thirty" nimmt diese verfassungswidrige Politik hin, ohne sie zu hinterfragen. Von den allerersten Tagen an trieb die US-Regierung im Krieg gegen den Terror Personen auf der ganzen Welt zusammen und begann, sie brutal zu verhören. Egal ob sie wirklich Informationen preisgaben oder nicht, ob es Beweise gegen sie gab oder nicht: Sie hielten Hunderte, im Endeffekt sogar Tausende Gefangene in US-Verwahrung - in geheimen CIA-Gefängnissen auf der ganzen Welt, in Gefängnissen verbündeter Staaten, die ihrerseits für ihre Folterpolitik bekannt waren, im Bagram Detention Center in Afghanistan, und natürlich in Guantanamo, dem Kronjuwel des Offshore-Internierungssystems der Bush-Regierung.

Dan und Maya selbst reisen nicht nur zu diesen Geheimgefängnissen, sie betreten auch die Käfige und Verhörzellen in Bagram, wo Männer in den mittlerweile bekannten, orangenen Overalls gezeigt werden, die auf ihren Albtraum warten. Bigelows Film suggeriert wiederholt, dass es essenziell für die nationale Sicherheit war, einen Pool an potenziellen Informationsquellen zu unterhalten, falls sich doch herausstellen sollte, dass einer von ihnen wichtige Informationen liefern könnte.

Während der ersten Stunde präsentiert der Film Folterpraktiken mit geradezu pornografischer Lust am Detail. "Zero Dark Thirty" kopiert damit im Wesentlichen den Fetischismus, den die Spitzenfunktionäre der Bush-Regierung auf diesem Gebiet entwickelten. Cheney, der ehemalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, Cheneys ehemaliger Generalstabschef David Addington und John Yoo vom Office of Legal Counsel stürzten sich, neben anderen, auf die Einzelheiten der "verbesserten Verhörtaktiken" und regelten bis ins Detail, welcher Grad von Misshandlung noch vertretbar ist und was nach 9/11 als Folter gelten kann und was nicht.

In Geheimgefängnis um Geheimgefängnis, an einem Opfer nach dem anderen zeigt der Film Folterungen in allen pikanten Einzelheiten. Bigelows Kamera scheint diese Grausamkeit zu genießen: Waterboarding, Stress-auslösende Haltungen, Schläge, Schlafentzug, der in Gedächtnisverlust und heftiger Desorientierung resultiert, sexuelle Erniedrigung, Einschluss in kleine Kisten und mehr.

Wann immer Bigelow Gelegenheit dazu hat, scheint sie uns deutlich machen zu wollen, dass diese Verstümmelungen und diese Brutalitäten seitens der Amerikaner nachvollziehbar, wenn nicht sogar lohnenswert sind. Das erinnert einen daran, dass sich dieses Sadismus-als-partiotische-Pflicht-Denken bis zu den Truppen an der Front durchsetzte, was 2004 die berüchtigten Fotos aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis belegten, auf denen amerikanische Soldaten feixend ihre Macht feierten, Gefangene in Hundehalsbändern zu erniedrigen und zu quälen.

Genauso wie die Regierungsstellen, die die Folterpraktiken vorantrieben, entmenschlicht auch Bigelow ihre Opfer. Trotz wiederholter Schläge, Erniedrigungen und aggressiver Foltertechniken verschiedenster Art wirkt Ammar zu keinem Zeitpunkt auch nur annähernd sympathisch. Deswegen gibt es im ganzen Film auch keine Figur, mit der sich das Publikum identifizieren könnte, den die Grausamkeiten emotional verstören würden. Entmenschlichung war ein unerlässliches Werkzeug bei der Propagierung der Folter, es ist ein unerlässliches Werkzeug bei der Propagierung von "Zero Dark Thirty", einem Film, der das Publikum dermaßen desensibilisiert, dass man als Amerikaner erschrecken und sich darüber Gedanken machen sollte, wer wir geworden sind in den Jahren seit 9/11.

Wenn man das voraussetzt, ist es nur ein kleiner Schritt, um regelrecht Werbung für die Effektivität von Folter zu machen. "Am Ende zerbricht jeder, Bro' - das ist Biologie", sagt Dan zu seinem Opfer. Er wiederholt immer und immer wieder: "Wenn du mich anlügst, dann tue ich dir weh", und meint damit eigentlich: "Wenn ich dir weh tue, dann lügst du mich nicht an". Maya stimmt zu und erklärt dem verletzten, blutenden und um Hilfe flehenden Ammar, dass er sein Leiden stoppen kann, wenn er nur die Wahrheit erzählt.

Wie oft muss der amerikanischen Öffentlichkeit noch erklärt werden, dass Folter eben nicht die Erkenntnisse brachte, die ihnen die Regierung immer versprach? Wie oft muss noch gesagt werden, dass Waterboarding im Fall von Khalid Scheich Mohammed, dem Drahtzieher von 9/11, auch nach dem 183. Mal nicht funktioniert hat? Wie oft muss noch darauf hingewiesen werden, dass Folter nur irreführende oder falsche Informationen hervorbringen kann? Und auch hervorbrachte, wie im Fall von Ibn al-Shake al-Bibi, dem Libyer, der in Afghanistan ein Ausbildungslager der Al-Qaida leitete? Der "beichtete" während eines Folterverhörs durch ägyptische Beamte, dass es Massenvernichtungswaffen im Irak gebe.

Die Obama-Regierung kam zu dem Schluss, dass es den Ärger nicht wert ist, ehemalige Mitglieder der Bush-Regierung, CIA-Funktionäre oder die tatsächlichen Folterer gerichtlich für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen. Stattdessen entschied der Präsident, weiterzumachen und ganz offiziell nicht zurück zu schauen. Bigelow nutzt diese Passivität und macht ihrem Publikum weis, dass der einzige Nachteil von Folter eigentlich die Furcht vor späterer Verantwortlichkeit ist. Als Dan kurz davor ist, Pakistan zu verlassen, sagt er Maya: "Du musst jetzt wirklich vorsichtig mit den Inhaftierten sein. Die Politik verändert sich und du willst sicher nicht die Letzte sein, die das Hundehalsband hält, wenn die Aufsichtskommission kommt."

Die traurige Wahrheit ist, dass "Zero Dark Thirty" nie so hätte produziert werden können, wenn nur einer der Regierungsangehörigen die die US-Folterpolitik geplant und umgesetzt haben, zur Rechenschaft gezogen worden wäre. Angesichts der schwachen öffentlichen Debatte und mangels offizieller Dokumente fühlt sich Bigelow nicht im geringsten dazu genötigt, auch nur einen Hauch von Kritik an dem Folterprogramm zu üben. Ihr Film ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass sich die finstere Geschichte weiter fortsetzen kann, wenn sie nicht sogar noch an Fahrt aufnimmt, solange niemand zur Verantwortung gezogen wird.

Während die Bush-Regierung die Fernsehserie "24" hatte, die sie allwöchentlich daran erinnerte, dass Folter unsere Sicherheit garantiert, hat die verantwortungslose amtierende Regierung nun Bigelows Film auf ihrer Seite. Es ist ein perfektes Propagandastück mit dem ganzen Reiz, den nackte Brutalität, Furcht und Rache generieren können.

Hollywood und die meisten Kritiker haben den Film mit Begeisterung aufgenommen. Er wird jetzt schon als einer der besten Filmen des Jahres gehandelt und wurde für fünf Oscars nominiert, darunter den für den besten Film. Die einstige Bastion des Liberalismus Hollywood lieferte somit das letzte Puzzleteil der perfekten Vorlage für das Reinwaschen der Folterpolitik. Wenn das kein Happy End ist, was dann?

© SZ vom 02.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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