Filmfestspiele Venedig:Außer Thesen nichts gewesen

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In Paolo Sorrentinos "Der junge Papst", spielt Jude Law einen amerikanischen Priester, der in Folge einer aus dem Konzept geratenen Intrige zum Papst gewählt wird. (Foto: AFP)

Die Zwischenbilanz der Filmfestspiele in Venedig? François Ozon unterschätzt den Nationalismus, Paolo Sorrentino traut dem Vatikan alles zu - und Jude Law macht als junger Papst eine gute Figur.

Von Thomas Steinfeld, Venedig

Ob der Film ein theoretisches Medium sei, steht sehr infrage. Zu viel intellektuelles Programm tut ihm, der doch von der Evidenz des bewegten Bildes lebt, vielleicht nicht gut, weswegen zum Beispiel "Der große Diktator" Charlie Chaplins schlechtester Film sein dürfte, und Kinogängern, die sich an die Verfilmung von Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose" erinnern, zwar die mangelnde Zahnhygiene des Spätmittelalters, nicht aber der "Universalienstreit" einfallen wird, der doch der gesamten Geschichte zugrunde liegt.

Gleichwohl scheint die Aussicht, einem Gedanken durch seine Bebilderung so etwas wie letzte Plausibilität zu verleihen, so verlockend zu sein, dass der philosophische - oder auch nur: der moralische - Ehrgeiz unter Produzenten und Regisseuren von Filmen nicht nachzulassen scheint. Unter den Filmen, die in diesem Jahr auf dem Filmfestival in Venedig gezeigt werden, häufen sich jedenfalls die Werke von grundsätzlichem Anspruch. Und nicht immer gehen die Versuche so halbwegs erträglich aus wie bei Wim Wenders, der in seiner Adaption von Peter Handkes Theaterstück "Die schönen Tage von Aranjuez" auf das hohe Maß an theoretischem Gehalt mit der Reduktion des Films auf ein fast bewegungsloses Kammerspiel reagiert.

Moralische Verhängnisse der schwersten und unwahrscheinlichsten Art

Ins grundsätzlich Moralische treibt der französische Regisseur François Ozon seinen Historienfilm "Frantz". Er erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die um ihren Verlobten trauert, der in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs fiel, und nun bei dessen Eltern lebt - in einer deutschen Kleinstadt, umgeben von glühenden Nationalisten und Revanchisten. Da taucht am Grab des Gefallenen ein Franzose auf, vom Schmerz über diesen Tod offenbar gleichermaßen niedergedrückt wie die Familie. In der Annahme, dieser sei ein Freund aus Pariser Studienzeiten, nehmen die Hinterbliebenen den jungen Mann auf, während sich die Honoratioren der Kleinstadt über die Verräter empören.

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Und so nimmt eine Geschichte ihren Lauf, in der sich moralische Verhängnisse der schwersten und unwahrscheinlichsten Art aufeinandertürmen, bis Drehbuchautor und Regisseur ihr Projekt eher abbrechen, als dass sie es zu einem Ende bringen. Dass "Frantz" eine Replik auf Ernst Lubitschs Film "Der Mann, den sein Gewissen trieb" (1932) ist, verhilft dem Unternehmen auch nicht zu mehr Plausibilität. Doch hat François Ozon berückend schöne und meist schwarz-weiße Bilder für seine Geschichte gefunden, die das Quedlinburg des Jahres 1919 lebendig werden lassen. Und gern sieht man den Schauspielern zu, vor allem Paula Beer als Anna und Pierre Niney als Adrien.

"Frantz" ist eine französisch-deutsche Koproduktion, die man sich als abschreckende Illustration der These vorstellen kann, die Europäische Union verhindere die Rückkehr des Kontinents in kriegerische Verhältnisse. Der Film kennt keinen anderen Grund für den Krieg als einen scheinbar naturwüchsigen Nationalismus, für den schon das bloße Absingen der "Wacht am Rhein" oder der "Marseillaise" stehen soll. In der peinlichsten Szene des Films hält der Vater des gefallenen Frantz eine Rede im Wirtshaus und erklärt, "wir", also er und seinesgleichen, seien verantwortlich für den Tod der Söhne - als gäbe es weder Staat noch Ökonomie, weder Imperialismus noch Rassismus, als wäre der Nationalismus nur ein gewaltiges, tragisches Missverständnis. Diese vermeintliche Erkenntnis aber ist vor allem eine arge Verharmlosung des Nationalismus, und eine solche sollte man weder dem Regisseur noch dem Film durchgehen lassen - auch wenn diesem vielleicht eine Karriere im Schulunterricht bevorsteht.

Weit mehr noch auf dem Grundsätzlichen beharrend, aber auch reflektierter erzählt der italienische Regisseur Paolo Sorrentino noch einmal von Rom - von der Stadt, die Gegenstand seines bislang größten Erfolges war, des Films "La grande bellezza" aus dem Jahr 2013. Doch geht es in "Der junge Papst" nicht mehr um die Metropole der Dolce Vita", sondern um den Vatikan, also um Ernsteres: um die katholische Kirche, um die Rolle des Papstes, um die Frage nach dem Dasein Gottes, zumal eines Gottes nach christlicher Vorstellung.

Jude Law spielt darin mit unergründlicher Blauäugigkeit einen noch jungen amerikanischen Priester, der in Folge einer aus dem Konzept geratenen Intrige unter den Kardinälen zum Papst gewählt wird und sich nun in seinem Amt behaupten muss, wobei er die Attitüden eines Rockstars mit denen eines Bußpredigers mischt. Wie das weitergeht, würde man gerne wissen: Was wird sein, wenn die Kirche aufhört, sich der Welt anzubieten und einen Savonarola an ihre Spitze setzt? Aber man erfährt es vorerst nicht, weil der in Venedig gezeigte Film zwar selbständig wirkt, eigentlich aber nur aus ersten beiden Folgen einer zehnteiligen Miniserie besteht, die im Herbst ausgestrahlt werden wird (in Deutschland von Sky Atlantic).

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Dieser junge Papst, unberechenbar, zweifelnd, anmaßend, manchmal hilflos, oft bis zur Bösartigkeit durchtrieben, dem Vatikan aber fremd, dient dem Zuschauer als Führer durch einen Staat, der zwar den letzten Fragen des Lebens gewidmet, aber zugleich diesseitig und gewöhnlich ist. Ihm zur Seite stehen eine ebenfalls amerikanische "Schwester Maria", mit erbarmungslosem Pragmatismus gespielt von Diane Keaton, die er zu seiner Privatsekretärin macht, nachdem sie ihn, ein Waisenkind, aufgezogen hatte, sowie, als Inbegriff eines italienischen Funktionärs und Intriganten, Silvio Orlando als Kardinalstaatssekretär.

Stammelnder, unausgeführter Hinweis auf die Existenz eines Höheren

Über diesen Figuren aber wölbt sich ein Kosmos aus Bildern, die vorzuführen - ähnlich wie in "La grande bellezza" - der eigentliche Zweck dieses Unternehmens sein dürfte: Die Kleider des Papstes und der Kardinäle, die Luftaufnahmen des Petersdoms oder die marmornen Fußböden der Audienzsäle. Und wenn auch im Hintergrund ein paar elektronische Musikinstrumente pochen und blubbern, so ist doch offensichtlich, dass hinter jedem dieser Bilder die Frage steht, wie tief hinunter in den Grund des Daseins es reicht. Der Zuschauer ahnt indessen bald, dass es am Ende ein Bild hinter allen Bildern geben wird: Michelangelos Pietà.

Weitaus weniger Erfolg mit dem Bildprogramm hat der italienisch-schweizerische Dokumentarfilm "Spira Mirabilis" ("Die wunderbare Spirale", ein Symbol der Perfektion und Unendlichkeit) der Regisseure Martina Parenti und Massimo D'Anolfi. Das im Wettbewerb gezeigte Werk soll das Prinzip der Unsterblichkeit bebildern, mithilfe von Szenen aus dem Leben der Quallen und der Indianer in der amerikanischen Prärie, aus der Fischaufzucht und aus der Herstellung von Tin Pans, von den unendlichen Reparaturen am Mailänder Dom und vom Winter in der Schweiz.

Aber das Fragmentarische bleibt stammelnder, unausgeführter Hinweis auf die Existenz eines Höheren, wobei es ganz und gar nicht hilft, dass der Film von einem ohrenbetäubenden Lärm begleitet wird. Unablässig wird Stein geschnitten, Blech gehämmert und Wasser gestürzt, als sollte das fehlende metaphysische Gewicht durch erhöhte Lautstärke ausgeglichen werden. Wie gerne würde man flüchten und sich in eine römische Kirche zurückziehen.

© SZ vom 05.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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