Episodenfilme im Kino:Schönes Durcheinander

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Daniel Brühl als Leonardo und Melvis Estévez als Cecilia in der Episode "Cecilias Versuchung - Mittwoch" aus "7 Tage in Havanna". (Foto: Alamode Film)

Gefühlswirrwarr in "Ein Freitag in Barcelona" und ein kubanisches Mosaik in "7 Tage in Havanna": Gleich zwei Filme dieser Kinowoche leben von der Idee, dass viele Geschichten manchmal die beste Geschichte ergeben. Das Prinzip Episodenfilm hat alle möglichen Genres erobert. Und passt in die Zeit.

Von Irene Helmes

Zwei Männer unterhalten sich in einem Hauseingang: "Wie geht's dir denn überhaupt?" - "Sehr schlecht." - "Und deine Frau?" - "Welche?". Etwas später scheitert der Versuch eines anderen kläglich, die Mutter seines Sohnes wieder für sich zu begeistern. Ein paar Handlungssprünge weiter: Noch mehr Männer, diesmal im Park. "Sehen wir uns diesen Sommer wieder auf Mallorca?" "Ich hoffe nicht." Und weiter geht der Reigen, "Ein Freitag in Barcelona", in deutschen Kinos zu sehen seit 11. Juli. Erzählt werden Varianten männlicher Verzweiflung. Über Frauen, die eigene Laune, über Umzugskisten und das Leben an sich, und das eben nicht mittels eines Helden, sondern mittels vieler, die, nebenbei gesagt, auch eher keine Helden sind.

Zeitgleich startet mit "7 Tage in Havanna" ein weiterer Episodenfilm. Zu sehen sind sieben Momentaufnahmen einer Stadt, der eine einzige Geschichte unmöglich gerecht werden könnte. Unverknüpfte Episoden, wie eine Montage von Kurzfilmen, ein Projekt mehrerer Regisseure, darunter Benicio del Toro mit seinem Debüt hinter der Kamera. "Ein Freitag in Barcelona" stellt die andere Variante dar: Handlungsstränge, manchmal nur vermeintlich unabhängig voneinander, die sich aber im Laufe des Films kreuzen können.

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Auch wenn sie besonders in den vergangenen Jahren auffielen: Episodenfilme sind fast so alt wie das Kino selbst. Im großangelegten Stummfilm "Intoleranz" zeigte D. W. Griffith schon 1916 vier Episoden, jeweils eine aus biblischer und antiker Zeit, eine aus Renaissance und Neuzeit. Der hochelegante Berlin-Film "Menschen im Hotel" mit Greta Garbo, John Barrymore und Joan Crawford nahm 1932 ein späteres Erfolgsrezept vorweg: eine beeindruckende Riege von Stars, losgelöst vom Muster der Haupt- und Nebenrollen.

Ist eine Story zu wenig?

Verschwunden ist der Episodenfilm nie mehr, einige Erfolge des US-Independentkinos der Neunziger gelten heute als Klassiker. So die über die Welt verstreuten fünf Taxifahrten in Jim Jarmuschs "Night on Earth" oder "Short Cuts", in dem Robert Altman Erzählungen von Raymond Carver zu einem Ensemblestück weiterentwickelte. "Eine Vielzahl von episodischen Einblicken in das Leben kalifornischer Paare formt sich in äußerst kunstvoller Verflechtung zum satirischen, beunruhigenden Porträt einer Gesellschaft", hieß es dazu im "Lexikon des Internationalen Films". Viele Geschichten ergeben eben manchmal die beste Geschichte. 2003 reichte Jim Jarmusch die schwarz-weiß durchkomponierten Trink- und Rauchrituale von "Coffee & Cigarettes" nach, die er über mehr als ein Jahrzehnt hinweg mit Stars wie Iggy Pop, Steve Buscemi und den White Stripes gesammelt hatte.

Ist ein einziger Held, eine einzige Story zu wenig, um die Komplexität der Welt auf der Leinwand darzustellen? Ja, scheint die Antwort einer ganzen Reihe jüngerer politischer Thriller wie "Syriana" und "Babel" oder verschachtelter Gangster- und Drogendramen wie "Amores Perros", "Traffic" und "21 Gramm" zu sein. Das gilt auch für Blicke in menschliche Abgründe wie "Magnolia". Manche dieser Filme nehmen die Zuschauer mit auf eine Tour durch eine chaotische, globalisierte Welt, andere widmen sich einem einzigen Ort mit möglichst vielen Facetten. "L.A. Crash" etwa beschreibt durch eine Reihe von Schicksalsschlägen den durch Misstrauen und Gewalt völlig zerrütteten Moloch Los Angeles. Alles andere als eine Liebeserklärung an die Stadt. Zur Belohnung regnete es Oscars.

Doch es muss nicht immer so finster zugehen, die leichtere Version des Städtefilms hat viele Fans gefunden. Episodenhafte Liebeserklärungen an Metropolen und ihre Menschen haben sich in den vergangenen Jahren als verlässliches Erfolgsrezept erwiesen. "So ist Paris" feiert seinen Schauplatz durch verschlungene Beziehungen, die sich wie ein Netz über die Stadt ziehen, in "Paris, ich liebe dich" widmen 18 Regisseure jeweils eine Szene einem Arrondissement. Solchen Mustern folgen auch "New York I love you" oder nun "7 Tage in Havanna".

Und in noch einer Variante hat der Episodenfilm sein Potenzial offenbart. Geliebt-gefürchtete Feiertage wie Weihnachten, Silvester oder der Valentinstag sind oft Thema im Film, in einigen Episodenfilmen aber mehr als das, nämlich Kulisse und roter Faden zugleich. So irren in "200 Cigarettes" Ben Affleck, Courtney Love und Christina Ricci mit Dutzenden Kollegen durch eine verflixte Silvesternacht in New York. Konsequent als großes Popcorn-Kino aufgezogen wurden dann All-Star-Vehikel wie die britische Adventskomödie "Tatsächlich Liebe" oder aus Hollywood "Valentinstag" sowie - noch mal Silvester - "Happy New Year". Aus Marketingsicht ein fast ideales Rezept. Der Episodenfilm dient als Starvehikel ohnegleichen. Und fast jedem Zuschauertypus wird eine passende Identifikationsfigur angeboten, sei es der Loser, die glücklich Verliebte, die frisch Getrennte, der Nerd, die ewig Diät haltende, der Charmeur, der ewig beste Freund.

Auch das deutsche Kino hat seine Varianten, wie den München-Flirt "Das seltsame Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit" oder "Shoppen", den Überraschungshit zum Thema Speed-Dating von 2007. Das Rezept All-Star-Cast lässt sich im mittlerweile zweiteiligen "Männerherzen" mit der fast kompletten Riege der jungen deutschen Kinogarde besichtigen. "Cloud Atlas", "Nichts als Gespenster" oder "Finsterworld", der kürzlich beim Münchner Filmfest Weltpremiere feierte, basieren auf verschlungenen Buchvorlagen.

Filme wie Pilotfolgen

Wundertüte Episodenfilm also? Nicht automatisch. Im schlechteren Fall wirkt die Aneinanderreihung so beliebig, dass dem Zuschauer am Ende alles egal ist. Oder ein diffuses Gefühl zurückbleibt, wie bei "7 Tage in Havanna". Im besseren Fall bleibt der Eindruck, in kürzester Zeit überraschend viele Menschen kennengelernt zu haben, über die man gerne noch mehr erfahren hätte.

Vielleicht sogar ein leichtes Bedauern, dass es sich hier nur um einen einzigen Film handelt. Denn ein Mosaik an Charakteren anstelle einer Hauptfigur, komplexe Handlungsstrukturen, als roter Faden eher eine Idee als eine einzige stringent erzählte Geschichte - all das erinnert an das Erfolgsrezept des größten Trends der vergangenen Jahre: an die TV-Serie. Vielleicht liegt im Episodenfilm also eine Chance des Kinos, dem aktuellen Geschmack entgegenzukommen, dem Wunsch nach Komplexität.

Auf das mittlerweile in großen Teilen seriensüchtige Kinopublikum könnten neue Episodenfilme fast wie Pilotfolgen wirken. Während Hollywood sein Heil seit Jahren in kaum mehr enden wollenden Sequels und Prequels sucht, ist es also vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis neue Serienhits von Episodenfilmen inspiriert werden. Versucht worden ist das schon: So basierte Steven Soderberghs "Traffic" auf einer britischen Miniserie - und wurde nach dem Kinoerfolg fürs US-Fernsehen adaptiert.

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