Wettbewerb:Dreißig Pfund Schuldbewusstsein

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George Clooney, Produzent und Hauptdarsteller von "Syriana", über die Renaissance des politischen Kinos in Hollywood

Tobias Kniebe

So wie er hier auf der Berlinale auftritt, hat George Clooney den Spaß seines Lebens. Andere mögen vom Jetlag gezeichnet sein, er aber trägt ein offenes schwarzes Polohemd, dunkelgraue Nadelstreifen, seine Haut ist dezent, aber doch perfekt gebräunt - alles an ihm: gute Laune und Energie in Großbuchstaben.

Und bevor es um die ernsten Dinge geht, die inzwischen sein wichtigstes Thema sind, schaut er dem Gesprächspartner treuherzig in die Augen und gönnt sich einen persönlichen Moment des Triumphes.

"Vor drei Jahren war ich hier auf dem Festival, in Berlin und überall auf der Welt liefen Demonstrationen gegen den Krieg, und ich dachte: Wow, jetzt ist wirklich jeder gefragt. Also sagte ich ein paar Dinge über die amerikanische Politik. Als ich nach Hause kam, war überall das Wort ,Verräter' zu lesen, in riesigen Buchstaben auf mein Gesicht gedruckt. Also gut, dachte ich mir - dann wehre ich mich jetzt mit dem Medium des Films. Schlimmer als ,Verräter' kann es sowieso nicht mehr kommen."

Suchtfaktor Erdöl

Was damals noch ein gewagtes Unterfangen schien, ist heute die Speerspitze eines neuen Zeitgeists in Hollywood. Als Autor, Regisseur und Darsteller schuf Clooney "Good Night, And Good Luck", eine Geschichte aus der McCarthy-Ära, in der er Verblödung und Desinformation des amerikanischen Fernsehens angriff - und in "Syriana" nahm er als Produzent und Darsteller gleich das heißeste Thema der Gegenwart ins Visier: Den globalen Kampf um Öl, überlagert vom Glaubenskampf, vermischt mit der Expansion des militärisch-industriellen Komplexes in Amerika.

Drei Oscarnominierungen sind das überraschende Ergebnis, ein völlig neuer Status als intellektuelles Schwergewicht, und ganz Hollywood gibt sich auf einmal politisiert. "Wenn ich in der oberflächlichsten Stadt der Welt zum Essen gehe, und plötzlich reden alle über den Wahlsieg der Hamas und dänische Karikaturen und Aufstände in Pakistan - dann hat sich das Bewusstsein wirklich verändert", sagt er. "Und das ist so ziemlich das einzige Gute, was man über diese schrecklichen Zeiten sagen kann."

Auch der Film "Syriana", den Clooney in Berlin außer Konkurrenz vorstellt, hat seinen Anteil daran. Er stammt von dem Autor und Regisseur Stephen Gaghan, der schon für das Buch zu Soderberghs "Traffic" einen Oscar gewonnen hat, und beide Filme werden zu Recht miteinander verglichen.

Damals ging es in vielen Facetten um das Geschäft des internationalen Drogenschmuggels, von der Mafia in Mexiko über die Drogenfahnder bis hin zu den Endverbrauchern in Amerika. Jetzt macht Gaghan dasselbe mit einer anderen Droge, deren Suchtfaktor inzwischen sogar George W. Bush erkannt hat: dem Öl.

Obwohl das Operationsfeld globaler und die Zusammenhänge noch komplizierter sind, macht der Film keinerlei Anstalten, große Erklärungen zu liefern oder Fingerzeige zu geben - wer wirft uns einfach nur mitten hinein. Möglich also, dass man bei der Verknüpfung von fünf weltumspannenden Handlungsträngen zeitweise den Faden verliert - aber das trägt zur Faszination des Ganzen eher noch bei.

Ein CIA-Experte für den arabischen Raum (Clooney), der seit Jahrzehnten Waffen, Informationen und Mordaufträge an lokale Dunkelmänner vergibt, stellt sich zum ersten Mal die Frage, wer wirklich hinter seinen Operationen steckt.

Ein junger schwarzer Rechtsanwalt in Washington (Jeffrey Wright) wird zum Boten zwischen texanischen Ölmagnaten und dem Justizministerium -und darf aus nächster Nähe miterleben, wie Gerechtigkeit gedealt und Sündenböcke gefunden werden.

Charakterzeichnung eines Gotteskriegers

Ein aufstrebender Ölmarkt-Stratege in Genf (Matt Damon) wird zum engsten Berater eines liberalen Ölprinzen und sieht ganz unerwartet die Chance, tatsächlich etwas für die Menschen der Region zu tun. Und ein junger pakistanischer Arbeiter in den Ölfeldern des Golfs (Mazhar Munir) verliert seinen Job und wendet sich dem Fundamentalismus der Selbstmordattentäter zu...

Besonders stolz sei er darauf, sagt Clooney, wie in diesem ganzen Mosaik die differenzierte Charakterzeichnung des jungen Gotteskriegers gelungen ist. "Wir müssen diese Menschen verstehen, wenn wir den Terror jemals beenden wollen", sagt er. "Man kann nicht einfach nur Bomben auf gefährliche Ideen werfen, denn dadurch werden diese Ideen nur mächtiger."

Obwohl "Syriana" vollkommen fiktional ist, spürt man doch eine außergewöhnliche Genauigkeit des Blicks, eine Kenntnis der Methoden, Denk- und Sprechweisen der Protagonisten. Sie beruht auf der Mitwirkung des ehemaligen CIA-Agenten Robert Baer, der die Recherchen begleitet und auch Clooneys Rolle inspiriert hat.

Der Star hat sich einen Vollbart wachsen lassen und sich dreißig Pfund für diese Darstellung angefressen, um das Gewicht der Schuld zu zeigen, das dieser Mann schon mit sich trägt.

Seine Desillusionierung findet in feinsten Nuancen statt: In einer Müdigkeit des Blicks, einer zunehmenden Unfähigkeit, seinen arroganten Vorgesetzten die reale Lage in Beirut, Teheran und Damaskus zu erklären, wachsende Zweifeln und schließlich der Entscheidung, wenigstens einmal auf der Seite einer besseren Sache zu stehen.

Zum Helden taugt er dennoch nicht, Helden gibt es nicht in diesem Spiel - aber die Notwendigkeit, sich endlich den Tentakeln von Geld, Macht, Kriegsmaschinerie und Ölinteressen zu entwinden, bleibt doch als Erkenntnis von überwältigender Dringlichkeit zurück.

Bush im Kino? No chance!

Könnte es also nicht sein, dass sogar George W. Bush "Syriana" gesehen hat, bevor er verkündete, die Ölimporte aus dem Nahen Osten dramatisch zu reduzieren? Da muss Clooney laut lachen. "No chance in hell", sagt er, nicht mal im Traum.

"Wenn es etwas gibt, was die Leute im Weißen Haus wirklich niemals anschauen, sind das liberale Filme über ihre eigene Verantwortung." Dennoch ist er seit neuestem überzeugt, dass politisches Kino eine Macht haben kann.

"Schauen Sie", sagt er, "als Produzent hatte ich Final Cut bei diesem Film, ich konnte mit allen Beteiligten ein Jahr lang daran arbeiten, die Nuancen genauso hinzukriegen, wie ich sie für richtig halte. Kennen Sie Politiker mit Final Cut? Haben Politiker heute noch die Kraft, ihre eigenen Gesetze und Botschaften zu gestalten? Ich glaube nicht. Und deswegen kann so ein Film am Ende vielleicht mehr bewirken als ein Gesetzentwurf, der auf dem Weg durch die Instanzen bis zur Belanglosigkeit entstellt wird."

© SZ vom 11.02.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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