Filmfest München 2013:Inmitten dieses Deutschseins

Finsterworld auf dem Filmfest München

Sandra Hüller in einer Szene von "Finsterworld".

(Foto: Alamode Film)

Die alten Weggefährten Christian Kracht und Moritz von Uslar machen jetzt Kino. Mit "Finsterworld" und "Deutschboden" tauchen sie dabei, auf ganz unterschiedliche Weise, in die Kaputtheiten deutschen Lebens ein.

Von Tobias Kniebe

Der Scheitel ist akkurat gezogen, die blonde Tolle mit Gel fixiert, die Zigarette hängt lässig zwischen den Fingern - das ist Maximilian. Ein Internatswappen ziert seinen Blazer, die Krawatte zur Schuluniform ist sauber gebunden. Gönnerhaft legt er die Arme um zwei Mitschüler, die ihn hassen, und sagt: "Na, ihr Spasten, ready for the KZ-Besuch?" Dann geht's los, mit Reisebus und Wurstbrotbox Richtung Gedenkstätte.

Den Nacken sauber ausrasiert, die braune Tolle mit Gel fixiert, die Zigarette lässig zwischen den Fingern - das ist Moritz. Seine Harringtonjacke ist rot, seine Jeans sind korrekt abgewetzt, sein Gang ist federnd. Er läuft durch die Kleinstadt Zehdenick im Landkreis Oberhavel in Brandenburg, und in seinem Kopf läuft die innere Stimme des Reporters: "Alte Kacke, gehen mir die Alkoholiker, Hirntoten, Zusammengefallenen und sonstwie Hinüberen und Weggetretenen hier auf den Sack. Hardrock-Schweinigel-Assi-Abschaum-Hartz-Höllen-Hausen. Ich fand's gleich so geil hier."

Zwei Typen, zwei Filme, zwei Weltpremieren mit sehr deutschen Themen und Befindlichkeiten. Durch die Labyrinthe des Förder- und Fernsehgeldsystems irgendwie durchgekommen, komplett zufällig etwa gleichzeitig fertig geworden, nun beide auf dem Filmfest München vorgestellt. Max und Moritz also.

Max stammt aus dem Episodenfilm "Finsterworld", inszeniert von Frauke Finsterwalder. Er ist eine Erfindung des Schriftstellers Christian Kracht, der mit Finsterwalder das Drehbuch geschrieben hat. Und Moritz stammt aus "Deutschboden", inszeniert von André Schäfer. Er ist eine Erfindung des Autors Moritz von Uslar, dessen gleichnamige Großreportage aus dem Jahr 2009 hier noch einmal mit dokumentarischen Mitteln nacherzählt wird.

Diese beiden Weggefährten, Christian Kracht und Moritz von Uslar, Verbündete noch aus den Tempo-Tagen der späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahre, große Reisende, Suchende und manchmal auch Provokateure in Literatur und Journalismus - nun sind sie gleichzeitig und mit Karacho im deutschen Kino angekommen. Das ist schon interessant.

In beiden Filmen geht es um das Deutschsein - in seiner härtesten, teilweise auch hässlichsten Form. Es geht um die Frage, ob inmitten dieses Deutschseins so etwas wie Hoffnung und Heilung möglich wären. Und schließlich um das Rätsel, warum man als deutscher beziehungsweise schweizerischer Erzähler (das macht hier keinen Unterschied) einfach nicht loskommt von diesem Thema, diesem Dilemma, diesem Alte-Kacke-Gefühl.

Vielleicht hat es wirklich mit Hassgefühlen zu tun

Denn zum Beispiel ist der blonde Internatsschüler Max - gespielt von dem polnischen, in Deutschland aufgewachsenen Schauspieler Jakub Gierszal -, ein echtes Schwein. Man kann es nicht anders sagen. Eiskalt verpetzt er seine Mitschüler, wenn es ihm Vorteile bringt, der Klassenausflug ins Konzentrationslager lässt ihn völlig unberührt, er nutzt ihn sogar für einen besonders üblen Streich: Als eine Mitschülerin vor dem Krematoriumsofen steht, packt er sie von hinten, schiebt sie ganz hinein und verriegelt die Ofenklappe. Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis ihre Panikschreie gehört werden. Völlig traumatisiert belastet sie einen Unschuldigen - und Maximilian kommt davon.

Ein Bösewicht also, der klassische blonde Nazischurke, der auch noch höhnisch triumphiert? Vielleicht. Aber warum sieht er exakt wie der junge Christian Kracht aus, der ja wirklich ein Internatsschüler war - nur körperlich ein wenig kleiner und unfieser? Es könnte einer dieser bösen Witze sein, über die Kracht und seine Mitverschwörerin Frauke Finsterwalder, seine Ehefrau, Koautorin und Regisseurin, sich hier insgeheim kaputtlachen.

Facetten, die bisher verborgen waren

Vielleicht hat es aber auch wirklich mit Hassgefühlen zu tun, die aufwallen, wenn man sich erzählerisch mit dem Deutschsein, mit dem Leben in Deutschland befasst. Da kann ja der Selbsthass nicht ausbleiben. Und es ist typisch für Kracht und Finsterwalder, diese Virtuosen der Pokerface-Mimikry, dass sie auch dafür wieder ein Rollenspiel gewählt haben, eine undurchdringlich-provokante Selbstbespiegelung: In "Finsterworld" kommt auch eine Figur vor, verkörpert von Sandra Hüller, die wiederum Finsterwalder sehr ähnlich sieht und Filmregisseurin ist. Sie wird, wenn auch witzig, als innerlich völlig zerrissen gezeigt, hysterisch selbstbezogen, in brutale Lebenslügen verstrickt.

Moritz von Uslar ist da immer den umgekehrten Weg gegangen - den Weg der unzweideutigen Sichtbarkeit. Der Reporter Moritz in "Deutschboden" - das ist er nicht nur selbst, den spielt er auch selbst. Aber was heißt spielen? Uslar schaut mittelgrimmig drein und geht all die Wege in dieser brandenburgischen Kleinstadt noch einmal ab, die er auch 2009 für sein Buch gegangen ist. Er trinkt noch einmal die Biere, isst die Hackepeterbrötchen, trifft die Menschen - und vor allem die "Jungs", seine Protagonisten. Diese Prolls sind "reine Seelen", aber sie sind früher auch harte Neonazis gewesen, das verschweigt der Film nicht. Das Fazit dieser seltsamen Reise muss offen bleiben, anders geht es wohl nicht.

Es drängt sich aber doch der Eindruck auf, dass Uslar & Schäfer, Kracht & Finsterwalder auf unterschiedlichsten Wegen zu ähnlichen Ergebnissen gekommen sind. Die Filme hinterlassen ein Gefühl der Kaputtheit. Sie fliehen vor einer umfassenden, fast unentrinnbaren Verlogenheit. Und zwischendrin stellen sie immer wieder fest, dass auch das restlos kaputte Leben noch überraschend angenehm sein kann.

Dann wundert einen gar nichts mehr

Etwa wenn Uslar in der Pilskneipe von Zehdenick sitzt und einfach dem "totalen Blödsinn" der Einheimischen zuhört. Oder wenn die Eltern des blonden Maximilian, denen in "Finsterworld" eine eigene Episode gewidmet ist, jene riesige "Nazikarre" besteigen, die ihnen die Autovermietung in die Hotelgarage gestellt hat - und dann vom Fahrgefühl ganz berauscht sind. Corinna Harfouch und Bernhard Schütz spielen das reiche Paar perfekt - und wenn man diese beiden erlebt hat, wundert einen bei Maximilian gar nichts mehr.

Die spannendste Frage ist aber am Ende, ob das Medium Film die beiden Autoren Kracht und Uslar noch einmal anders sichtbar macht, ob da Facetten zum Vorschein kommen, die bisher verborgen waren. Und so geschieht es. Die unangreifbare, beinah gepanzerte Perfektion, die sie in ihrem Schreiben entwickelt haben, scheint hier gebrochen zu sein, man spürt Unsicherheit in den neuen Formen - bei Uslar noch verstärkt durch die Zumutung, selbst vor der Kamera zu stehen.

In beiden Filmen gibt es Szenen, in denen Menschen davon träumen, einfach angenommen zu werden - ohne Ironie, ohne den ewigen Kampf um Stil und Form, in völliger Schutzlosigkeit. Das Gefühl ist so stark, dass es auch den Schöpfern dieser Momente vertraut sein muss.

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