Etwa in der Mitte des Films wird ein entflohener, wieder eingefangener Sklave seinem Besitzer vorgeführt. Er hat fünfhundert Dollar gekostet, er hört auf den Namen D'Artagnan, jetzt ist er halb blind, voller Wunden und Narben, und bettelt um sein Leben. Die Sklavenjäger, die ihn aufgespürt haben, führen drei riesige, geifernde Hunde mit. Die Leithündin heißt Marsha. Der Sklavenbesitzer hält eine kleine Ansprache, warum er als Geschäftsmann jetzt eindeutige, auch abschreckende Maßnahmen ergreifen muss. "Lassen Sie Marsha und ihre Bitches los", sagt er dann. "Schicken Sie ihn in den Niggerhimmel."
Und so geschieht es. Ein Mensch, der in der Ökonomie der Sklaverei nichts mehr wert ist, wird von deutschen Schäferhunden zerfleischt. Wie das eben so passiert, wenn man einen Filmemacher wie Quentin Tarantino, der seine künstlerischen Medien in Wort, Bild und Gewalt findet, auf das Thema Sklaverei loslässt. Und wie es, niemand leugnet das, im alten Süden der USA reale historische Praxis war. Noch grausamere Dinge sind dort täglich geschehen.
In der Tat, muss man also sagen, ist "Django Unchained" ein Film voll schwer zu ertragender, manchmal fast lachhaft überzeichneter Brutalität. Die Story ist simpel: Django (Jamie Foxx) wird von dem Kopfgeldjäger Dr. King Schultz (Christoph Waltz) freigekauft, weil dieser seine Hilfe braucht - beim Aufspüren und Töten weißer Verbrecher, die tot oder lebendig hübsche Summen einbringen. Bald reitet und schießt Django wie ein Westernheld, um schließlich sein Ziel ins Auge fassen: Seine geliebte Frau Broomhilda (Kerry Washington), die irgendwo im Süden auf einer Plantage schuftet, zu befreien und in den Norden zu führen.
Debatte über die Verbrechen der Geschichte
Man kann eine solche Phantasiestory ablehnen, gerade bei diesem Thema, und den Film gar nicht ansehen. Wie der schwarze Filmemacher Spike Lee der damit Respekt gegenüber seinen Vorfahren ausdrücken will. Man kann die Gewalt darin verurteilen. Und doch muss man festhalten: Der Film ist nicht annähernd so gewalttätig wie die Zeit, in der er spielt. Es beginnt, im Vorspann angezeigt, im Jahr 1859. Zwei Jahre vor dem Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs, zwei Jahre bevor dann ein bis dahin unvorstellbares Blutvergießen nötig wird, um die Praxis der Sklaverei nicht einmal zu rächen, sondern einfach nur zu beenden.
Die Hundeszene spielt also im Rahmen des Erwartbaren. Sie weicht aber auch von Tarantinos üblichen, kunstblutspritzenden, eher comicartigen Gewaltdarstellungen ab. Wenn man wissen will, warum dieser Film in den USA so kontrovers diskutiert wird, warum er eine Debatte über die Verbrechen der Geschichte in Gang brachte, wie sie Amerika seit Jahren nicht mehr geführt hat - dann gilt es, gerade diese Unterschiede zu betrachten.
Tarantino in Berlin - "Django Unchained":Es ist wieder Zeit für einen Rachefeldzug
Oscar-Preisträger Jamie Foxx, Samuel L. Jackson und Christoph Waltz albern auf dem roten Teppich herum, dabei geht es um die ganz großen Gefühle und auch um viel Blut: Kult-Regisseur Quentin Tarantino hat seinen neuen Film in Berlin vorgestellt. In "Django Unchained" rechnet er mit der Sklaverei ab.
Das beginnt mit der Furcht im Gesicht des todgeweihten Sklaven. Es ist dieselbe Furcht, die vorher schon das Gesicht einer schwarzen Frau entstellt hat, vor dem Aufschlag der Peitsche, die ihren Rücken zerfetzen wird. Oder diese dumpfe Schicksalsergebenheit, die am Anfang den Blick des Helden Django trübt, als er noch blutige Fußfesseln trägt. Was immer es ist, das Tarantino hier anstrebt - mit dem leichten Spiel von Zitat und Hommage, in das er üblicherweise verstrickt ist, hat das nichts mehr zu tun. Und dann passiert etwas noch Seltsameres.
Quentin Tarantino, dieser Chefideologe der Bildergier, wird auf einmal vorsichtig. Er schaut weg. Für einen Mann, der sonst gern Schlagadern in Zimmerspringbrunnen verwandelt, ist das erstaunlich. Die Hunde stürmen los, der Sterbende brüllt, auf dem Soundtrack wird überlaut Fleisch zerrissen, die Aufseher ziehen sadistische Fratzen, doch das Grauen bleibt im Off - bis auf Bruchteile von Sekunden, kurze Momente. Aber gerade das, was hier nicht im Bild passiert, hat die Zuschauer in den USA mehr verstört als jede andere Tarantino-Szene zuvor - wenn die Reaktionen im Internet dafür ein Indikator sind.
Denn zugleich geht die Kamera ganz nah an Django heran. Er hätte den Sterbenden, unter Preisgabe seiner eigenen Pläne, retten können. Oder genauer: Er hat diese Rettung sogar aktiv verhindert, um seine eigenen Pläne nicht zu gefährden. Weil er eben nicht nur ein lässiger Phantasieheld ist, sondern zugleich ein Pragmatiker des Überlebens und Verdrängens, abgestumpft in seinen Reaktionen, ein reales Produkt des Systems Sklaverei. Afroamerikanische Intellektuelle, die den Film begrüßen, sehen hier reale schwarze Erfahrung gespiegelt, die Hollywood sonst nicht begreift.
Um diese Schraube noch weiter anzuziehen, trifft der Held Django später seine Nemesis, eine Art Spiegelfigur - den einzigen Gegner, der ihn wirklich durchschaut. Das ist Stephen, ein greiser Butler, ebenfalls schwarz. Er wird mit Gusto gespielt von Samuel L. Jackson, dem alten Tarantino-Heroen. Mit weißen Haaren, buschigen weißen Augenbrauen, und Augen, in denen das Höllenfeuer des Selbsthasses lodert. Stephen könnte der "meistgehasste Schwarze der Filmgeschichte" werden, prophezeit Jackson. Denn wo Stephens Boss noch Anflüge von Menschlichkeit zeigt, insistiert dieser mit schriller Stimme darauf, jeden "Nigger" die maximale Härte des Systems spüren zu lassen.
Mindestens genauso explosiv ist die Darstellung der weißen Sklavenjäger. Schmutzige bärtige Inzucht-Bastarde sind das, Hillbillys, sabbernde Sadisten. Hemden mit riesigen Schweißrändern, besudelter Feinripp, triefende Fettlocken, hängende Augenlider, schweinsäugige Selbstgerechtigkeit, zerschlissene Hosen, weit hochgezogen, getränkt mit Urin und Sperma, meckerndes Lachen, verstümmelte Sprache. Kein Propagandafilm der Nazis könnte schamloser suggerieren, was diese Bilder schreien: Degeneration.
"Django Unchained" ist also in der Tat, wie seine Kritiker klagen, ein rassistischer Film. Aber nicht wegen der Figur Stephen, und nicht, weil in jedem zweiten Satz das Wort "Nigger" fällt. Er ist rassistisch gegenüber männlichen Weißen. Wie sehr das ein durchgehendes Prinzip ist, erkennt man an der Darstellung auch der anderen weißen Gegner, auf die Django trifft: Bibel in der einen Hand, Peitsche in der anderen, böse Fistelstimmen, Augenklappen, X-Beine im Watschelgang. Und dann dieser Ausdruck staunender Idiotie, wenn Djangos Kugel ins Herz getroffen hat. Und wieder fällt einer um wie ein schwerer, mit rassistischem Müll gefüllter Sack.
Die erstaunlichen Kleindarsteller, die diese Figuren spielen, haben reale Namen wie Cooper Huckabee, M.C. Gainey oder Doc Duhame. In Hollywood müssen sie eine Art Lumpenproletariat sein, wahrscheinlich kann man sie für ein Taschengeld mieten - genau wie im alten Süden auch. Der Witz ist aber, dass Tarantino selbst einer von ihnen ist: Er spielt eine besonders unterbelichtete Hilfskraft. Hillbilly-Wurzeln hat er auch, sein Geburtsort ist Knoxville, Tennessee, sein wuchtiges Kinn passt gut in die Galerie der versammelten Hackfressen. Am Ende wird seine Figur nicht nur erschossen, sondern sogar mit Dynamit in die Luft gejagt. Vielleicht trifft hier also auch das Wort Exorzismus.
Denn so gnadenlos diese Darstellungen sind, sie nehmen den Erzähler nicht aus. Maoistische Selbstkritik ist nichts gegen diesen Film. Hier jagt ein Vertreter der ehemaligen Herrenrasse, konfrontiert mit der eigenen jahrhundertelang eingeübten Selbstgerechtigkeit, die nichts als den Griff zur Waffe kennt, den "white American male" gleich insgesamt in die Luft. Zugleich legt er eine Lunte an den Sprengstoff der Gegenwart: Zwei von drei heterosexuellen, weißen, männlichen Amerikanern wollten Barack Obama zuletzt mit aller Macht abwählen, und was ist passiert? Die Geschichte hat nicht einmal mehr mit den Schultern gezuckt.
Selbst kulturelle Verfeinerung hilft da nicht mehr, im Gegenteil. Dafür steht Calvin Candie (Leonardo DiCaprio) - jener Plantagenbesitzer, der seinen Sklaven Namen wie D'Artagnan gibt, um sie dann von Schäferhunden zerfleischen zu lassen. Er ist der Herrscher von Candyland, tief im finstersten Mississippi, wo der gnadenlose Stephen das Haus regiert und Django seine geliebte Broomhilda entdeckt. Um näher an sie heranzukommen, muss Django sich auf Candies Hobby einlassen: Mandingo Fighting.
Besonders kräftige Sklaven werden dabei in Schaukämpfe bis zum Tod gehetzt. Der Schriftsteller Ralph Ellison hat Fälle wie diesen dokumentiert, der Begriff "Mandingo Fighting", inspiriert von einem alten Exploitation-Film, ist allerdings eine Tarantino-Erfindung. Candie gibt sich frankophil, er hat Marmorstatuen römischer Ringer im Haus, aber seine privilegierte Position (im Candystore der Geschichte sozusagen) bekommt ihm nicht. Auf seine Art ist er genauso degeneriert wie seine Hillbillys.
Was aber könnte man, als uramerikanischer Filmemacher, diesem universalen Elend entgegensetzen? Jetzt bitte festhalten: Es ist der alte europäische, ach was, heraus damit - der alte deutsche Humanismus. Verkörpert von Dr. King Schultz alias Christoph Waltz: grauer dreiteiliger Anzug, Bowlerhut, gebürtig aus Düsseldorf, ausgebildet als Zahnarzt, jetzt aber im Geschäft der Kopfgeldjägerei. Oder, wie er es in seiner gnadenlos präzisen, wunderbar eloquenten Sprache ausdrückt: im "Flesh-for-Cash"-Business. Auch Schultz ist im Zweifelsfall ein gnadenloser Killer, aus strategischen Gründen schießt er auch schon mal ein Pferd in den Kopf, und wenn ein ehemaliger Mörder 7000 Dollar bringt, wird dieser per Fernschuss sogar vor den Augen des eigenen Kindes niedergestreckt.
Jedoch legt Dr. Schultz, der Django aus seiner Chain Gang befreit und zu seinem Gehilfen macht, geradezu übertriebenen Wert darauf, sich strikt innerhalb des amerikanischen Rechtssystems zu bewegen. Wenn Zweifel aufkommen, wirft er als Erstes die Waffe zu Boden und legt mit erhobenen Händen die juristische Lage dar, bis Hillbillys und Rassisten der Kopf raucht. Der Sheriff, den er gerade in den Bauch geschossen hat - in Wahrheit ist er ein gesuchter Verbrecher. Jetzt schuldet die Stadt ihm - einem höchstrichterlich bestallten Repräsentanten des amerikanischen Justizsystems - 200 Dollar. Dokumente, die das beweisen, legt er vor. Es ist eben nicht mehr der Wilde Westen, in dem er operiert, sondern ein Land, auf dessen kodifiziertes Recht Dr. Schultz vertrauen kann. Der außergesetzliche Ku-Klux-Klan hat sich noch nicht wirklich formiert, auch wenn es erste, herrlich komische Versuche dazu gibt.
Dr. Schultz' Problem ist nur, dass die Gräuel der Sklaverei absolut legal sind. Also kann er Django auch nur beim legalen Kauf seiner Frau assistieren - eine unsichere Sache. Die Grausamkeiten von Mandingo-Fighting und Schäferhund-Einsatz, die er dabei mit ansehen muss, sind aber irgendwann zu viel für ihn. "Warum ist Ihr Freund denn plötzlich so grün um die Kiemen", fragt der lauernde Calvin Candie am Ende der Hundezerfleischungsszene, und Django antwortet: "Er ist eben Deutscher. Er ist Amerikaner nicht gewohnt." Irgendwann kann Dr. Schultz diese amerikanischen Sitten nicht mehr ertragen und nicht mehr akzeptieren, und er bezahlt den Preis dafür. Das macht ihn zu einer jener weisen, magischen Mentorenfiguren, wie sie Schwarze im Kino oft für weiße Helden verkörpern - eine Umkehrung der Stereotypen.
Interessant ist auch, welche Rolle hier Tarantino gerade der deutschen Kultur zuschreibt, ohne Zweifel inspiriert von seinem Freund Christoph Waltz. Djangos Frau Broomhilda heißt eigentlich Brunhilde, sie hatte eine deutsche Vorbesitzerin. So kann Dr. Schultz ihm von der passenden Germanensage berichten, und Django erkennt sich selbst als rettender Siegfried, was bei der Belastung dieser Figur mit bösen Arierträumen auch schon wieder recht komisch ist. Fast wirkt es nach "Inglourious Basterds", als habe Tarantino nach seiner höchstpersönlichen Vernichtung Hitlers und der ganzen Führungsspitze des Dritten Reichs (inklusive dessen Verkürzung um ein Jahr) alles Deutsche für sich gereinigt. Zurück bleibt die sogar in die Zeitepoche passende Freundschaftsromantik eines Karl May, die Völker und Hautfarben überspannt - hier steht "Winnetou" Pate, den Tarantino bereits in "Basterds" en passant zitiert hat. Will man noch weiter gehen, erinnert Dr. Schultz nicht nur durch seinen wuchtigen Backenbart ein wenig an Karl Marx: hocheloquentes Englisch als zweite Sprache, Sympathie für die Unterdrückten, emanzipative Ideen von hoher künftiger Sprengkraft - was will man mehr?
Zum Schluss aber, damit kein falscher, zu strenger oder gar zu intellektueller Eindruck entsteht: Es gibt in "Django Unchained" auch alles andere, was man von Tarantino erwartet. Gnadenlose Zeitlupen-Showmanship zum Beispiel, etwa wenn Django seinen Umhang abwirft, um seinen peitschenvernarbten muskulösen Rücken zu enthüllen.
Es gibt nostalgische Reißzooms und blutrote Titelschrift. Es gibt hemmungslos heroische Zufahrten auf den Helden, mit Pauken und Trompetenfanfaren aus alten Spaghettiwestern. Breitbeinig steht er da, ein Pistolero, den nichts und niemand aufhalten kann, unverwundbar im Kugelhagel, ein Superheld. Es gibt jede Menge Witze, Insidergags und eine Stilentwicklung, die Django vom fremdbestimmten Objekt hin zum selbstbestimmten Gecken treibt, dann weiter zum souveränen Ghettostyle - hundert Jahre schwarze Hipnessgeschichte, verdichtet auf ein paar Monate. Trotz seines überbordenden Themenreichtums ist "Django Unchained" zunächst - und zu allererst - immer noch ein Tarantino-Film.
Django Unchained, USA 2012. Regie und Buch: Quentin Tarantino. Kamera: Robert Richardson. Schnitt: Fred Raskin. Mit Jamie Foxx, Christoph Waltz, Leonardo DiCaprio, Kerry Washington, Samuel L. Jackson. Columbia/Sony, 165 Minuten.
Anmerkung der Red.: In einer früheren Version des Artikels hieß es, "der Begriff Mandingo ist allerdings eine Tarantino-Erfindung". Tatsächlich ist Mandingo von einem Exploitation-Film inspiriert.