"Die Bestimmung" im Kino:Individualität vom Fließband

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In "Die Bestimmung" müssen Christina (l.) und Tris diverse Mutproben überstehen. (Foto: N/A)

Mit der SciFi-Romanverfilmung "Die Bestimmung" bricht in den USA schon wieder ein Teen-Story-Hype à la "Twilight" aus. Warum eigentlich? Über eine Generation, die lieber die Sehnsucht nach Individualismus als den Individualismus selbst pflegt.

Von David Steinitz

In naher Zukunft wird jeder Bürger mit sechzehn Jahren einem Bestimmungstest unterzogen. In fünf Fraktionen ist die Menschheit bis dahin aufgeteilt, die jeweils für eine besondere Tugend stehen: Es gibt die Selbstlosen, die Furchtlosen, die Gelehrten, die Freimütigen und die Friedfertigen. Mittels einer drogenbasierten Prüfung, die eine Art Psychoanalyse im Schnelldurchlauf vornimmt, erfährt jeder Jugendliche, für welche Fraktion er vorherbestimmt ist.

Nur in ganz seltenen Fällen lässt sich ein junger Mensch nicht in eine dieser Schubladen einordnen, gilt dem herrschenden System deswegen als "unbestimmt" und wird auf die Exekutionsliste gesetzt - gehört als Außenseiter aber natürlich auch zur coolsten und punkigsten Teenager-Truppe.Ausgedacht hat sich diese Zukunftsvision die amerikanische Autorin Veronica Roth, die sich, zwanzigjährig, noch während ihres Literaturstudiums an ihren College-Schreibtisch setzte und den Sci-Fi-Roman "Die Bestimmung" schrieb, in dem die junge Hauptfigur Tris, die natürlich eine "Unbestimmte" ist, gegen den Uniformitätszwang der Zukunft kämpft.

Das Buch wurde zum weltweiten Bestseller, es folgten zwei Fortsetzungen und Roth, heute 25, gehört längst zu den Starschreibern der sogenannten Young Adult Novels, also jener romantischen Fantasygeschichten, die schon Stephenie Meyer ("Twilight") und Suzanne Collins ("Die Tribute von Panem") reich gemacht haben.

Erzählstandard Teen-Story

Gerade ist bei uns die Verfilmung von "Die Bestimmung" gestartet, die in den USA bereits ein irrer Hit geworden ist, und spätestens mit diesem Film wird das zunächst als Ausnahmephänomen gehandelte Erzählprinzip dieser Teen-Storys endgültig zu einem Erzählstandard der modernen Unterhaltungsindustrie. Womit die Frage im Raum steht, warum ausgerechnet diese Geschichten so erfolgreich sind. Folgt man der These, dass fiktionale Werke über die Zukunft in erster Linie die sublimierten Wünsche der Gegenwart spiegeln, vermitteln diese Bücher und Filme eine Botschaft, die sich momentan in der gesamten industriell gefertigten Popkultur der Gegenwart zu finden scheint.

Darauf weist überdeutlich der Originaltitel von "Die Bestimmung" hin: "Divergent", abweichend. "Be divergent!", ist der kategorische Imperativ, der den Jugendlichen hier eingetrichtert wird. Unter diesem Zustand der Abweichung leidet die Hauptfigur Tris in "Die Bestimmung" zwar zunächst bitterlich. Später baut sie aber genau darauf ihre Widerstandslust auf, die Voraussetzung ist für den für jede junge Generation unerlässlichen Vatermord - zumindest im ideellen Sinn -, um die eigenen Visionen zu realisieren.

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Aber waren Abgrenzung und Rebellion, also die Motoren jeglicher Jugendkultur, früher nicht ein selbstverständliches Merkmal jeder neuen Teenager-Generation? War die Abweichung vom Weg der Eltern nicht ein biologischer Prozess, den man sich nicht erst vom kapitalistischen Hollywood als patenten Lebensentwurf verkaufen lassen musste? In der Ruhmeshalle der großen Abweichenden der Popgeschichte, von James Dean über Sid Vicious bis Kurt Cobain, dürften "Divergent" & Co. zumindest einige Irritationen auslösen.

Natürlich reproduzieren sich die sichtbaren Merkmale jeglicher Subkultur mittlerweile um ein Vielfaches schneller als noch vor zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren, wo Stachelfrisur und Holzfällerhemd erst nach und nach vom Mainstream absorbiert wurden. Heute gilt man schon nach einem Monat als verhaltensauffällig, wenn man nicht mitmacht beim neuesten Subkulturhype - also ohne Jutebeutel über der Schulter durchs Münchner Glockenbachviertel spaziert. Die Uniformierung erfolgt in immer kürzeren Abständen.

Deshalb ist der Erfolg von "Divergent" und Co. eines von vielen Symptomen, die mittlerweile für die Diagnose sprechen, dass Jugendliche und junge Erwachsene gar nicht mehr in der Lage sind, individuelle Ideologien und Methoden der Abgrenzung zu entwickeln. Lieber als der Individualismus selbst wird die Sehnsucht nach ihm gepflegt, die nicht nur im Kino und im Buchladen befriedigt wird. Einige der erfolgreichsten Unternehmen der Welt haben es zu ihrem Erfolgsrezept gemacht, Individualität am Fließband zu vermarkten - ein Widerspruch, der die Kunden aber nicht zu stören scheint.

Fließband-Individualität

Hollywood fährt diese Strategie genauso wie H&M, wo viele Filialen sogenannte Divided Departments haben, die wie "Divergent" das Anderssein schon im Namen tragen. Hier gab es zum Beispiel eine Lisbeth-Salander-Kollektion, eine Art Emo-Punk-Look nach der unangepassten, wilden Protagonistin aus Stieg Larssons "Millennium"-Trilogie, die natürlich gerade durch ihre Unangepasstheit zur Heldin wird. Auch die nicht tot zu kriegenden Castingshows predigen Individualität als Voraussetzung für den Popstarerfolg - was man im 20. Jahrhundert auch niemandem extra erklären musste.

Am pointiertesten hat die Kapitalisierung des Individualismus natürlich immer noch die Firma Apple betrieben, die sich Ende der Neunziger mit dem Mac und dem Werbespruch "think different" wieder aus der Bedeutungslosigkeit an die Branchenspitze katapultierte, um dann in den Nullerjahren noch deutlicher nachzulegen und allen Produktnamen ein kleines, individuelles "i" voranzustellen.

Im Endergebnis trägt die gesamte moderne Produktpalette, also all diese iPhones, iFilme und iKlamotten, ein vollkommen gleichmacherisches Element in sich, weil die sorgenlose Selbständigkeit und Craziness, die hier zum Verkauf angeboten wird, einer riesigen Menschenmasse von einer winzigen Gruppe schlauer Vertreter aufgedrängt wird, die hemmungslos dem Liberalismus huldigen - eine Gleichschaltung, wie sie auch das herrschende System in "Divergent" vornimmt.

Zwang zur Flexibilität

Also nichts Neues an der Kulturindustriefront, die weiterhin die Massen betrügt? Leider doch - denn mittlerweile geht es kaum noch darum, dass unwissende Verbraucher einseitig von einer kleinen Oberschicht ausgebeutet werden, weil das Wissen um dieses Machtverhältnis doch immer mehr ins allgemeine Bewusstsein sickert.

Doch Hollywoods "Divergent" und H&Ms "Divided" passen einer Generation, die durch den ewigen Zwang zur beruflichen wie privaten Flexibilität keine Zeit zur Unangepasstheit hat, bestens ins Konzept - weil sie alles gleichzeitig will und deswegen immer nur ein bisschen haben kann. Wer ein bisschen Patchworker, ein bisschen Künstler, ein bisschen Karrierist und ein bisschen Vegetarier sein will, wer also permanent das eigene "i" in tausend Richtungen strecken muss, der lagert seine Rebellionsgelüste aus Gründen des Zeit- und Nervenmanagements gerne in eine große, Wünsche sublimierende Cloud aus, auf die sich jederzeit per Kreditkarte zugreifen lässt.

© SZ vom 14.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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