Debatte um Integration:Sie wollen als Deutsche wahrgenommen werden

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Gehört der Islam zu Deutschland? Während die theoretische Debatte noch läuft, ist islamischer Religionsunterricht an immer mehr Schulen bereits Realität (zum Beispiel in Bonn/Nordrhein-Westfalen). (Foto: Oliver Berg/DPA)
  • Deutschland ist nach den USA weltweit das zweitbeliebteste Einwanderungsland, aber ständig wird von misslungener Integration gesprochen.
  • Als "Neue Deutsche" diskutieren Mitglieder von 80 zivilgesellschaftlichen Organisationen über den deutschen Integrationsbegriff.
  • Sie verstehen sich, unabhängig von ihren kulturellen Hintergründen, in erster Linie als Deutsche - und sehen in Deutschland viele Chancen.

Von Felix Stephan

Als der ehemalige kanadische Botschafter einmal auf einer geführten Tour durch den Berliner Stadtteil Neukölln fuhr, erklärten ihm die deutschen Reiseleiter, dass der Bezirk wegen seiner ethnischen Segregation in der Öffentlichkeit zu einem Symbol misslungener Integration geworden sei. Einige Zeit später saß der Botschafter mit dem deutschen Soziologen Aladin El-Mafaalani beim Essen und erkundigte sich, was es in Deutschland eigentlich genau mit dem Begriff der "ethnischen Segregation" auf sich habe. Schließlich verwende die englischsprachige Fachliteratur diesen Begriff, wenn in einem Stadtteil mehr als die Hälfte der Einwohner ein und derselben Ethnie angehörten.

In Neukölln, so der Botschafter, sei aber genau das Gegenteil der Fall. Dort gehören nicht einmal die Leute an einer Bushaltestelle mehrheitlich einer einzigen Ethnie an. Eigentlich müsste Berlin-Neukölln im Zeitalter globalisierter Metropolen deshalb doch als Musterbeispiel gelungener Integration gelten.

Damit war der ehemalige kanadische Botschafter, obwohl er eigentlich nur einen Spaziergang durch Berlin gebucht hatte, im Sturmzentrum der deutschen Integrationsdebatte gelandet.

Ethnische Vielfalt gilt als Beweis gescheiterter Integration

Wenn es um Deutschlands Selbstverständnis als Einwanderungsland geht, klafft zwischen Empirie und Diskussion eine ziemlich riesige Lücke. In der Realität verfügt in Deutschland etwa jeder Fünfte in dieser oder jenen Form über einen Migrationshintergrund. Deutschland ist nach den USA das zweitbeliebteste Einwanderungsland - weltweit! Und trotzdem gilt ethnische Vielfalt in politischen Talkshows und biologisierenden Sachbuch-Bestsellern bis heute als Beweis gescheiterter Integration. Integration wird immer noch dann als gescheitert betrachtet, wenn am Ende etwas anderes als ein zweites Münster herauskommt.

Inzwischen aber ergreift ein guter Teil des deutschen Bevölkerungsfünftels mit nicht-deutschem Hintergrund Berufe wie Staatsanwalt, Journalist oder Universitätsprofessor, und seitdem äußert sich das Unbehagen am gängigen deutschen Integrationsbegriff sehr viel konkreter. Wohin, so etwa eine der Fragen, sollen sich etwa SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi oder die Staatsministerin Aydan Özoğuz eigentlich noch integrieren? Und warum wird immer noch allen Ernstes diskutiert, ob der Islam zu Deutschland gehört, während doch die Religionsfreiheit vom Grundgesetz garantiert wird und sich diese Frage deshalb ohnehin erübrigen sollte?

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Deutschland ist ein Einwanderungsland - doch diese Tatsache ist im Selbstverständnis vieler Deutscher noch nicht angekommen. Sie sprechen von einer misslungenen Eingliederung, dabei bedeutet Integration nicht Gleichmacherei. Müssen wir alte Definitionen also überdenken?

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Für viele Deutsche, die sich bis dahin wie jeder andere für durchschnittlich integriert gehalten haben, waren die Verkaufserfolge der Thilo-Sarrazin-Bücher eine Art Zugehörigkeitsschock: Plötzlich waren sie gezwungen, sich Gedanken über Loyalitäten zu machen, die vorher keine Rolle gespielt hatten. Andererseits hatte diese Eskalation wiederum den Vorteil, dass sich die zersplitterte Bevölkerungsgruppe der Zuwanderer in erster, zweiter oder dritter Generation auf eine neue Weise als Schicksalsgemeinschaft erlebte. Jeder, der sich von den Fernsehauftritten von Thilo Sarrazin oder dem Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky gemeint fühlte, gehörte nun dazu.

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Diese Gruppe, die bislang vor allem von außen definiert wurde, hat sich nun erstmals in Berlin getroffen, um zu beraten, wie sie die Hoheit über ihre eigene Außenwahrnehmung zurückgewinnt. Und obwohl das Thema große Leidenschaften weckt, die Verletzungen oft tief, die Fronten verhärtet und die Pauschalisierungen schnell bei der Hand sind, blieben die dunkelsten Polemiken aus. Der erste "Bundeskongress der Neuen Deutschen Organisationen" war eine sehr konzentrierte, unwütende, professionelle Netzwerk-Veranstaltung, wie sie in Berlin, der Stadt mit der höchsten Start-up-Dichte Europas, jeden Tag stattfindet. Nur stand am Ende dieses Treffens kein Unternehmen, sondern eine innenpolitische NGO.

80 zivilgesellschaftliche Organisationen aus der ganzen Republik haben sich an diesem Wochenende unter das Dach der "Neuen Deutschen" begeben. Der Begriff geht auf das Buch "Wir neuen Deutschen" zurück, dass die Zeit-Journalistinnen Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu im Jahr 2012 veröffentlicht haben. Wären die "Neuen Deutschen" eine Partei, würden sie 20 Prozent der Bevölkerung repräsentieren.

Weil sie sich in erster Linie als Deutsche verstehen, spielen die jeweiligen kulturellen Hintergründe eher keine Rolle. Die "Neuen Deutschen" fordern keine Rücksicht auf etwaige kulturelle Missverständnisse, sie wollen schlicht als Deutsche wahrgenommen werden. Sie argumentieren nicht unter ethnischen, sondern thematischen Gesichtspunkten. Die neue Organisation wendet sich an jene, die aufgrund ihrer Ethnie oder ihrer Religion schlechte Erfahrungen gemacht haben; an alle, die auf die eine oder andere Art zu verstehen bekommen haben, dass sie in diesem Land zwar etwas beitragen dürfen, Deutschsein aber letztlich eine Kulturtechnik ist, die sich ihnen nie vollends erschließen wird.

Es geht darum, jenen deutschen Integrationsbegriff zu aktualisieren, der sich an einem nostalgisch-metaphysischen Idealbild kultureller Homogenität ausrichtet. In einem demokratischen Staat bedeutet Integration nicht, dass alle gleich sind, sondern dass alle über die gleichen Möglichkeiten zu gesellschaftlicher Teilhabe verfügen und sich gleichberechtigt im demokratischen Aushandlungsprozess einbringen können.

Gerede und Realität

Der Soziologe Aladin El-Mafaalani argumentierte deshalb in Berlin, dass öffentliche Auseinandersetzungen zwischen den Bevölkerungsgruppen kein Zeichen misslungener Integration seien, sondern im Gegenteil zeigten, dass die Integration funktioniere. Man könne von einer Gesellschaft nur dann Anerkennung fordern, wenn man sich als integraler Bestandteil dieser Gesellschaft verstehe.

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In Paris, London und Stockholm gab es in den vergangenen Jahren ethnisch und sozial motivierte Ausschreitungen, in Deutschland aber seien solche Krawalle bislang ausgeblieben - ein untererklärtes Phänomen. Möglicherweise, so Mafaalani, redet man sich im egalitären Schweden und im ehemals weltumspannenden Imperium Großbritannien ein, dass die Integration funktioniert, während ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt sind, während es sich in Deutschland genau andersherum verhält: Man rede zwar unentwegt von misslungener Integration, aber die Minderheiten sind sich ihrer gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten in hohem Maße bewusst.

An der Gesetzeslage wollen die "Neuen Deutschen" deshalb gar keine tief greifenden Umwälzungen vornehmen. Sie sehen in Deutschland eigentlich viele Chancen. Vielmehr geht es ihnen um die gesellschaftliche Anerkennung, alltägliche Formulierungen und das kollektive Bewusstsein der Deutschen. Um Bildungsarbeit und Begriffe wie "ethnische Segregation". In den modernen Metropolen gebe es eigentlich nur eine Gruppe, die sich eine ethnische Segregation leisten könne, so El-Mafaalani: die Wohlhabenden. Nur wer sich aussuchen könne, wo er wohnt, lebe tendenziell unter seinesgleichen. Alle anderen achten unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund eher auf den Mietzins als auf die Nachbarn.

© SZ vom 10.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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