Salafismus als Jugendkultur:Burka ist der neue Punk

Ein verschleierte Muslima filmt die Rede von Salafistenprediger Pierre Vogel bei einer Kundgebung ra

Verschleierte Frauen bei einer salafistischen Kundgebung in Offenbach im Juni 2014, das Gesicht mit einem Niqab verhüllt.

(Foto: imago/epd)
  • Der Forscher Aladin El-Mafaalani untersucht den Salafismus als Jugendkultur. Er sieht ihn als Rebellion gegen die wenig religiöse Elterngeneration - in muslimischen wie in christlichen Familien.
  • Der Salafismus vereine zwei Dinge, die in unserer Kultur viele anziehen: Nostalgie und Askese.
  • Frauen in der Bewegung finden es ihm zufolge attraktiv, sich in einer Szene zu bewegen, in der für Männer ähnlich strenge Regeln gelten wie für sie.

Von Jannis Brühl

7000 Salafisten gibt es dem Verfassungsschutz zufolge in Deutschland, Tendenz steigend. Warum schließen sich so viele junge Menschen diesen Gruppen an, richten ihr Leben an einer strikten Auslegung des Koran und dem Leben von Mohammed und seinen frühen Anhängern aus? Der Soziologe und Politikwissenschaftler Aladin El-Mafaalani von der Fachhochschule Münster hat versucht, das herauszufinden. Er hat Interviews mit Männern und Frauen aus der Szene geführt, in der sich immer wieder Einzelne radikalisieren und für ihre Ideologie auch zur Gewalt bereit sind. Eineinhalb Jahre lang besuchte er salafistische Moscheen, Diskussionen von Jugendgruppen und die Stände der "Lies"-Kampagne, an denen Fundamentalisten Korane verteilen und Anhänger rekrutieren.

SZ.de: Herr El-Mafaalani, Sie vergleichen den islamischen Schleier mit dem Irokesenschnitt, wie ihn Punks vor 35 Jahren trugen. Warum?

Aladin El-Mafaalani: Ich vergleiche nicht historisch oder ideologisch, sondern frage nach der alltagspraktischen Funktion: Wie funktioniert so ein Symbol für den, der es trägt, in Interaktion mit seiner Umgebung? Und da sind die Gemeinsamkeiten überwältigend. Eine Irokesenfrisur in den Siebzigern erzeugte Angst und offene Ablehnung. Das kann man auf Kopftuch, Burka und Schleier übertragen: Wer das heute trägt, weiß genau, dass er die Mehrheit provoziert. Man wird aber nicht nur abgelehnt, sondern grenzt sich auch aktiv von dieser Mehrheit ab.

Gilt das auch für die Kleidung männlicher Salafisten?

Ja, die Männer provozieren mit den Bärten, klassischen Gewändern, benutzen arabische Ausdrücke. Die Provokation ist umso stärker, je größer die Distanz der Familie zum Islam ist: Bei Konvertiten wie dem Prediger Pierre Vogel, die keinerlei muslimischen Hintergrund haben, ist sie am stärksten. Es gibt auch Grenzfälle, manchmal ist nicht klar: Ist das ein Hipsterbart oder ein Salafistenbart? Verschiedene Jugendkulturen können mit gleichen Symbolen operieren.

Aladin El-Mafaalani

Der Soziologe und Politikwissenschaftler Aladin El-Mafaalani forscht an der FH Münster.

(Foto: Wilfried Gerharz)

Salafisten sind nicht gerade für ausschweifende Orgien bekannt. Funktionierte Rebellion nicht immer durch ein Mehr an Libertinage - experimenteller Sex, mehr Drogen, weniger biedere Kleidung als die Eltern?

Richtig, aber das hat einen Sättigungsgrad erreicht. Rausch, wilde Musik - das funktioniert nicht mehr als Provokation. Ein wichtiger Faktor für die salafistische Bewegung ist Askese: freiwilliger Verzicht auf alles, was Jugendlichen - zumindest angeblich - Spaß macht. Sozialleben wie im frühen Mittelalter, das ist heute Provokation at its best.

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