Ob sexuell abgründige Blondine oder bourgeoise Dame: Catherine Deneuve war immer das, was andere in ihr sehen wollten - und schaffte es doch, sich diesem Blick nie zu unterwerfen. Nun feiert die Grande Dame des französischen Kinos ihren 70. Geburtstag und ist zugänglicher als je zuvor. Zwischen diesen beiden Frauen wird etwas passieren im Lauf des Films, und der erste Blickkontakt muss bitte schön die knisternde Ouvertüre dazu sein. Das ist hier die Aufgabenstellung. Susan Sarandon ist zuerst dran. Sie macht das recht deutlich mit ihrer Mimik, aber nicht schlecht. Dann kommt der Gegenschnitt - und das Erstaunliche ist: In Catherine Deneuves Gesicht regt sich praktisch gar nichts. Sie schaut ihr Gegenüber nur ruhig an. Dann lässt sie die Augen, fast echsenhaft, einmal ganz schnell herumhuschen - unterbrochen durch einen devoten Lidschlag. Scheu und und kühl wirkt das, aber nur kurz , denn dann spürt man die Wucht des Moments in der Magengrube. Dieser Blick hat Sarandon, innerhalb von Millisekunden, vollständig ausgezogen - und ihren Körper auch noch zärtlich liebkost. "The Hunger/Begierde" heißt der Film, eine Vampirgeschichte, inszeniert von Tony Scott. Es gibt später noch eine ziemlich aufgedonnerte Sexszene zwischen den beiden, großes Studiolicht, wehende Stoffbahnen, Operngesang. Das alles kommt aber nicht mehr an die Erotik heran, die gerade in dieser ersten Begegnung zu spüren ist - im weltmeisterlichen Aufflackern des Begehrens in Catherine Deneuves Blick. Wucht des Moments in der Magengrube: Catherine Deneuve (rechts) und Susan Sarandon in "Begierde" ("The Hunger") von Tony Scott aus dem Jahr 1983.
Von den großen Schauspielerinnen ihrer Epoche macht sie am meisten mit den Augen, ganz ohne Zweifel. Und auch die Augenlider mit ihren langen Wimpern spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie folgen ihrer eigenen, manchmal ganz unabhängigen, oft trotzigen Choreografie. Man kann das in vielen von Deneuves berühmten Filme beobachten - in Roman Polanskis "Ekel" (1965) etwa, ... Roman Polanski und Catherine Deneuve 1965 bei den Dreharbeiten zu "Ekel" (Repulsion).
... in Luis Buñuels "Schöne des Tages" (1967) ... Catherine Deneuve 1967 in "Schöne des Tages" (Belle de jour).
... oder François Truffauts "Das Geheimnis der falschen Braut" (1969). Die Blicke des Begehrens, die sie da wiederum in den Männern entfacht, die kann sie mit ihren Augenlidern perfekt in Schach halten: zwei Schilde der Unverwundbarkeit, die alles spiegeln und zurückreflektieren, was andere in ihr sehen wollen. So schafft sie es, sich der fremden Sicht nie ganz zu unterwerfen, sie nicht als gültige Wahrheit zu akzeptieren. Und was hinter diesen Schutzschilden passiert - das gehört ihr am Ende allein. "Catherine verfügt über etwas Träumerisches, ein geheimes Leben", hat Truffaut einmal über sie gesagt. "Bei jeder Rolle hat man das Gefühl, es gebe die Figur auf der Leinwand - und dazu aber andere Gedanken, die nicht ausgedrückt werden." Louis Mahe (Jean-Paul Belmondo, links) gerät in "Das Geheimnis der falschen Braut" (1969) in den Bann von Julie-Marion (Catherine Deneuve).
Und Régis Wargnier, der ihr mit "Indochine" (1992) einen ihrer bekanntesten Rollen schenkte, einen würdigen Einstieg ins Alterswerk, drückt es ähnlich und doch noch mal anders aus: "Andere Schauspielerinnen, die auch ein enormes Talent haben, werfen sich in eine Rolle hinein - aber sie verschließen sie dabei. Sie geben sie uns, und wir müssen sie so nehmen. Catherine lässt uns Öffnungen. Wege zum Film, und zu ihr." Diese Offenheit hat sie durchlässig gemacht - für die Sehnsüchte der Nouvelle Vague genauso wie für das große Starkino, für die Phantasien und Obsessionen eines Jacques Demi genauso wie für die des späten Alfred Hitchcock, der noch einen Film für sie hatte, den er dann nicht mehr realisieren konnte. Immer wieder hat sie sich formbar gemacht in den Händen der Kinomeister. Und doch gleichzeitig ihr Schicksal als Schauspielerin ganz allein in die Hand genommen, ihre Entscheidungen, ihren Stil - ja, selbst die Laufzeiten ihrer Beziehungen, von François Truffaut bis zu Marcello Mastroianni. Nur in diesem Wechselspiel konnte eine solche Karriere entstehen - diese Verehrung, dieser göttinnengleiche Status, der ihr nicht nur Frankreich längst zugesprochen wird. Catherine Deneuve als Æ'liane und Linh Dan Pham als Camille in "Indochine" (1992).
Wie weit der Weg war, den sie dabei zurückgelegt hat, zeigt auch der Blick auf ihre Anfänge. Denn die Begehrte, die Strahlende, die von allen Umschwärmte - das war zunächst einmal ihre ältere Schwester: Françoise Dorléac folgte den Eltern schnell in den Schulspielberuf - und zog die kleine Catherine, 1943 in Paris geboren, anfangs nur mit. Françoise Dorléac als Anja in "Das Milliarden Dollar Gehirn" von 1967.
Catherine war die Stille mit den brünetten Haaren, die sich in Gesellschaft am liebsten unsichtbar machte - der Regisseur Roger Vadim, Entdecker von Brigitte Bardot, beschreibt sie im Alter von 17 Jahren recht eindrücklich "Sie war gewissermaßen durchsichtig. Die auf ihre Schwester gerichteten Blicke gingen durch sie hindurch wie Licht durch ein Fenster." Täuschen konnte ihn das nicht - er wurde Catherines Förderer und erster Ehemann. Françoise aber, die Vertraute und Beschützerin, starb 1967 bei einem Autounfall. Die jüngere Schwester hat immer wieder erzählt, wie sehr dieser Verlust sie geprägt hat -in ihrer Zurückhaltung, ihrer Scheu, ihrer Distanz. Zusammen mit den makellosen Gesichtszügen und den Haaren, die sie bald ins ikonische Deneuve-Blond umfärbte, entstand so schon schnell das Bild einer Eisprinzessin. Roger Vadim auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1975. Der französische Regisseur starb im Jahr 2000 im Alter von 72 Jahren.
Und so berühmt dieses Bild dann auch wurde - erstarren ließ sie es nie. Gerade in ihren letzten Filmen mit François Ozon, "8 Frauen'"und "Das Schmuckstück" ("Potiche"), fügt Deneuve diesem Image noch ein Augenzwinkern hinzu, eine neue Robustheit, eine extrovertierte Lust am Alter. Die Schauspielerinnen (von links nach rechts) Ludivine Sagnier, Virginie Ledoyen, Catherine Deneuve, Danielle Darrieux, Isabelle Huppert, Firmine Richard und Emmanuelle Béart in "Acht Frauen" ("8 Femmes") aus dem Jahr 2002.
Und die Zeit unterstützt sie inzwischen dabei - mit lustigen Grübchen und rosigen Wangen, die ganz neue Zugänglichkeit versprechen. Catherine Deneuve, die heute ihren siebzigsten Geburtstag feiert, hat als Sphinx des Kinos ein erfülltes Leben gelebt. Und jetzt, scheint sie zu sagen, ist es auch mal gut damit Catherine Deneuve als Industriellengattin in "Das Schmuckstück" (2010).