"Carol" mit Cate Blanchett und Rooney Mara:Warum es lesbische Liebe im Film so schwer hat

"Carol" mit Cate Blanchett und Rooney Mara im Kino

"Filme mit Frauen in den Hauptrollen sind quasi nicht zu finanzieren": Cate Blanchett (links) und Rooney Mara in "Carol".

(Foto: Number 9 Films Ltd. / Wilson Webb)

Cate Blanchett und Rooney Mara haben einen zauberhaften Liebesfilm gedreht. Doch der Widerstand war groß.

Von David Steinitz

Dies ist die Entstehungsgeschichte des zauberhaften amerikanischen Liebesmelodrams "Carol", das in dieser Woche in den deutschen Kinos angelaufen ist. Der Film ist einer der schönsten und berührendsten des Jahres, weil er jenseits der großen US-Blockbuster sehr sinnlich erfahrbar macht, was für eine überwältigende Emotionsmaschine das Kino sein kann - aber es ist ein kleines Wunder, dass es ihn überhaupt gibt.

"Ich war mir sehr lange sehr sicher", sagte die Hauptdarstellerin Cate Blanchett beim SZ-Gespräch in kleiner Runde nach der Uraufführung im Frühling in Cannes, "dass dieser Film es niemals ins Kino schaffen wird".

Blanchett und ihre Kollegin Rooney Mara spielen in "Carol" zwei Frauen, die sich im dichten Zigarettenrauch und Whiskeynebel der frühen Fünfziger in New York verlieben, aber ihre Beziehung geheim halten müssen - sexuelle Revolution, Emanzipation und Schwulenbewegung sind noch Jahre entfernt. Die lebenserfahrene Carol (Blanchett) lässt sich gerade von ihrem Mann scheiden und kämpft um das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter. Weshalb sie die Affäre mit der jungen, unerfahrenen Verkäuferin Therese (Mara), die auf Sinnsuche durch die wilde, pulsierende Stadt treibt, in ziemliche Bedrängnis bringen könnte.

Regisseur Todd Haynes inszeniert diese Geschichte als zärtliches Melodram über Sehnsucht, Verführung und Einsamkeit, das zwar in den Fünfzigerjahren spielt - aber unbedingt "mit einem Fenster zum Jetzt" angelegt ist, wie Cate Blanchett erzählt. Und damit meint sie nicht nur den Inhalt des Films, sondern auch seinen schwierigen Entstehungsprozess. Denn warum eine Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen selbst im Jahr 2015 noch ein extrem schwer zu vermittelnder Stoff ist, sagt viel über den moralischen und patriarchalischen Mentalitätsstau, der auch heute noch in Hollywood herrscht, und darüber haben Blanchett und Mara einiges zu erzählen. Beide sind mittlerweile für einen Golden Globe als beste Hauptdarstellerin nominiert worden, werden außerdem als heiße Oscar-Kandidatinnen für die Verleihung im Februar gehandelt und dürften überhaupt in der gerade beginnenden Filmpreissaison viel zu tun haben.

Der Ursprung ihres komplizierten Filmprojekts liegt aber noch weit vor der Geburt der beiden Schauspielerinnen. Wagen wir deshalb an dieser Stelle eine kurze Zeitreise zurück in jene Ära, als die Filmindustrie von Männern beherrscht wurde, die gerne an Zigarren nuckeln. Im Jahr 1950 war der übergewichtige Zigarrenraucher und begnadete Regisseur Alfred Hitchcock auf eine sehr seltsame Erscheinung hinter den Kulissen der Unterhaltungsindustrie aufmerksam geworden: eine junge Frau. Die 29-jährige Schriftstellerin Patricia Highsmith hatte soeben ihren Debütroman veröffentlicht: den fiesen Psychothriller "Zwei Fremde im Zug". Genau der richtige Stoff für den professionellen Albtraumfabrikanten Hitchcock, der stets auf der Suche nach obsessivem Material zum Zuschauer-Schocken war, und dessen Verfilmung die Autorin schlagartig zur heiß begehrten Krimischreiberin machte.

Dummerweise war ihr zweiter Roman, der bereits fertig in der Schublade lag, überhaupt kein Krimi: "Carol oder Salz und sein Preis" war eben jene Liebesgeschichte, die nun auch der Film "Carol" erzählt. Die lesbische Autorin schrieb den Text in einem achterbahnartigen Rausch aus Euphorie, Depressionen und Alkohol rasant nieder. Sie selbst hatte, wie die Figur der Therese, in der kalten, verschneiten Vorweihnachtszeit in einem Spielwarenladen in Manhattan gejobbt, wo ihr eines Tages eine verführerische Frau begegnete, aus der die Figur der Carol werden sollte. Die beiden hatten laut Highsmiths Tagebuchaufzeichnungen nur einen einzigen kurzen Blickkontakt - der aber reichte, um sie zu einem ganzen feurigen Roman zu inspirieren.

Den Mut, sich zu "Carol" zu bekennen, brachte sie erst später auf

Aber: Sie traute sich nicht, das Manuskript unter ihrem Namen zu veröffentlichen. Das Buch erschien unter Pseudonym, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Highsmith schrieb weiterhin meisterliche Kriminalromane und unheimlich präzise Studien düsterer Besessenheiten, wie "Der talentierte Mr. Ripley", "Die zwei Gesichter des Januars" oder "Der Schrei der Eule". Den Mut, sich zu "Carol" zu bekennen, brachte sie erst Jahrzehnte später auf, und notierte als Erklärung in einem 1989 zusätzlich verfassten Nachwort: "Ich lasse mich nicht gern in Schubladen stecken. Amerikanische Verleger lieben Schubladen." Und als lesbische Vorzeigeschriftstellerin wollte sie sich nicht öffentlich brandmarken lassen.

Die nächste Frau, die feststellen musste, dass "Carol" keine kleine Herausforderung ist, war die Drehbuchautorin Phyllis Nagy. Sie lernte Highsmith in den Achtzigern kennen, während sie beim Magazin der New York Times arbeitete. Die beiden freundeten sich an, und die berühmte Schriftstellerin schlug selbst vor, dass Nagy eines ihrer Bücher fürs Kino adaptieren könnte. Dazu kam es aber erst Jahre nach Highsmiths Tod 1995, als ein Produzent Nagy um die Jahrtausendwende anbot, den berüchtigten Highsmith-Liebesroman "Carol" in ein Drehbuch zu verwandeln. Innerhalb von zehn Wochen schrieb sie eine erste Fassung - und verbrachte dann mehr als ein Jahrzehnt damit, sie immer wieder umzuschreiben.

"Frauen im Filmgeschäft gelten als schwierig"

Produzenten und Regisseure kamen und gingen, unter anderem wollte der Shakespeare-Mann Kenneth Branagh den Film inszenieren, sprang dann aber doch wieder ab. Es ließ sich einfach kein ausreichendes Budget für die Finanzierung zusammentreiben.

Blanchett sagte dazu in Cannes: "Mittelgroße Filme mit Frauen in den Hauptrollen sind quasi nicht zu finanzieren - weshalb es jetzt auch besonders befriedigend ist, dass ,Carol' so gut aufgenommen wird." Die 46-jährige Australierin, die vom Theater kommt und schon eine ganze Weile im Filmgeschäft aktiv ist, wo sie vor allem durch die "Herr der Ringe"-Filme bekannt wurde, ist im Hinblick auf die Stellung von Frauen im Showbusiness ziemlich abgeklärt. "Patricia Highsmith ist eine Meisterin in der Konstruktion von sexuellen und moralischen Zweideutigkeiten, und mit der Figur der Carol ist ihr eines ihrer absoluten Meisterstücke gelungen - aber erklären Sie das mal einem männlichen Studioboss."

Ihre jüngere Kollegin Rooney Mara, die in der US-Verfilmung von Stieg Larssons "Verblendung" ihren Durchbruch hatte und mit Steven Soderbergh ("Side Effects") und Spike Jonze ("Her") gedreht hat, sieht das ähnlich: "Frauen im Filmgeschäft gelten als schwierig - und zwar gleichermaßen als Filmcharaktere und als Filmemacherinnen. Produzenten finden Frauenthemen schwierig zu verkaufen, und mit zu vielen Frauen zusammenzuarbeiten finden sie meistens auch schwierig. Weshalb sie dann gerne herumerzählen, dass Frauen, besonders Schauspielerinnen, eben einfach schwierig sind."

Auftritt als erotischer Sidekick

Cate Blanchett hat schon vor Jahren in einer erfolgreichen Highsmith-Verfilmung mitgespielt, und zwar in Anthony Minghellas Adaption von "Der talentierte Mr. Ripley". Damals hatte die Hauptrolle ein Mann, Matt Damon, und sie nur einen kleineren Auftritt als erotischer Sidekick. Aber seitdem ist sie eine passionierte Highsmith-Jüngerin: "Ihre Geschichten umgibt so eine dunkle, perverse, auch sehr ironische, melancholische und einsame Aura, die mich unheimlich fasziniert." Also wollte sie keinesfalls aufgeben, was das Projekt "Carol" betrifft, das ihr bereits vor sechs Jahren angeboten und dann doch immer wieder auf Eis gelegt wurde.

Sieht man nun den fertigen Film, den Todd Haynes, der vor allem für seine fiktive Bob-Dylan-Biografie "I'm Not There" bekannt ist, nach Jahren der Drehbuch- und Finanzierungsarbeit gemacht hat, kann man nur urteilen: Das Warten hat sich gelohnt. Seine beiden Darstellerinnen und er haben aus der Buchvorlage keine museale Fifties-Geschichte fürs Kino gemacht, sondern vielmehr einen Film, der in erster Linie von einer explosiven großen Liebe erzählt, die zeit- und ortlos ist. Erst auf einer zweiten Ebene ist sie auch eine Geschichte über Homosexualität, Konservatismus und gesellschaftliche Korsette.

Ganz im Gegensatz zu einem Film wie "La vie d'Adèle / Blau ist eine warme Farbe", der ebenfalls in Cannes Premiere hatte und von einer lesbischen Liebe erzählt, setzen Blanchett, Mara und Haynes nicht auf Provokation durch die Darstellung von Sex. Vielmehr interessieren sie sich für die Mechanismen des Flirts zwischen den beiden Partnerinnen, und das erst mal auch ganz unabhängig von deren Geschlecht: Die Blicke allein, die Blanchett und Mara sich bei ihrer ersten Begegnung im Spielwarenladen zuwerfen, sind preisverdächtig: neugierig, testend, devot und provozierend zugleich.

Plädoyer für ungebändigte emotionale Wildheit

Dazu passt auch gut, dass der Begriff "lesbisch" kein einziges Mal im Film fällt. Was die Hilflosigkeit, diese Liebe überhaupt mit einem Vokabular beschreiben zu können, deutlich unterstreicht, und zwar ganz nebenbei, ohne dass die Filmemacher es mit platten Problemfilmdialogen extra aussprechen müssten. Genauso ist Highsmith schon in ihrem Roman vorgegangen, der überhaupt eine der ganz wenigen Mainstreambeschreibungen einer homosexuellen Partnerschaft aus jener Zeit ist, auf die man als Zeugnis zurückgreifen kann - es haben sich sonst einfach nur sehr wenige Künstler getraut.

Auch für die Tatsache, dass die frühen Fünfziger in den USA eine komplett andere Welt waren als schon ein paar Jahre danach die späten Fünfziger, während die ersten Ausläufer der Beat-Generation das Land durchrüttelten, ist der Film ein kluges Zeugnis. Vor allem aber ist er ein Plädoyer und eine adäquate Übersetzung für die ungebändigte emotionale Wildheit, die Highsmiths Geschichte trotz ihres kargen Sprachstils ausmacht, und die sie sich für ihr gesamtes Leben als Künstlerin streng verordnete. In ihrem Tagebuch notierte sie, parallel zur Arbeit an "Carol": "Nie, aber auch niemals ein ruhiges Gefühlsleben erwarten und darin vor allem keine Voraussetzung zum Schreiben sehen."

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