Burghart Klaußner ist einer der gefragtesten Schauspieler Deutschlands, einer der wenigen, die sowohl auf der Leinwand als auch auf der Bühne regelmäßig Erfolge feiern. Bei Regisseuren ist er beliebt, weil er im Ruf steht, stets der Sache zu dienen und trotz seines schauspielerischen Vermögens keine Ego-Show zu zünden. "Keiner fällt so sichtbar aus der seelischen Balance, ohne mit der Wimper zu zucken", schrieb die Berliner Zeitung einmal.
Timing und Reduktion, das sind Klaußners Stärken, die er nun auch in dem Kinofilm "Der Staat gegen Fritz Bauer" einzusetzen weiß. Er spielt den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der in den Fünfzigerjahren gegen den vielfachen Widerstand des von Alt-Nazis durchdrungenen Justizapparates dafür sorgte, dass Täter des NS-Regimes vor Gericht kamen. Zu seinen Ermittlungserfolgen zählte 1960 die Ergreifung des SS-Obersturmbannführers Adolf Eichmann in Argentinien.
SZ.de: War Ihnen Fritz Bauer als historische Figur bekannt, als sie das Angebot bekamen, ihn darzustellen?
Burghart Klaußner: Fritz Bauer war mir aus meiner Studentenzeit Ende der Sechzigerjahre absolut ein Begriff. Er gehörte zu den Vorbildern meiner Generation, also jenen Leuten, die aus dem Exil zurückgekommen waren, sich nichts mehr gefallen lassen wollten und entscheidend zur Aufklärung der Nazi-Verbrechen beigetrugen. Meine Wahrnehmung von ihm ist also schon sehr lang sehr positiv.
Konnten Sie sich da die Rolle überhaupt unvoreingenommen aneignen?
Das war ein schmaler Grat. Einerseits muss man einer historischen Figur, die man bewundert, Respekt entgegenbringen. Auf der anderen Seite muss man auch aus der Generation erzählen, aus der diese Persönlichkeit stammt.
Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Es geht da um Details im Habitus und des Gestus in den Fünfzigerjahren: Wie jemand raucht, welche Kleidung die Menschen tragen, wie die Umgebung aussieht. Die waren ja nicht nur Fritz Bauer so gegeben. Für mich war es hilfreich, dass ich in dieser Zeit ja Kind war und einiges aus der Generation der Väter noch in Erinnerung habe.
Hat es Sie auch gereizt, Fritz Bauer zu spielen, weil er ein recht exzentrischer Mensch war?
Auf jeden Fall. Um mich auf das Casting vorzubereiten, hatte ich mir einen Ausschnitt aus der Sendung "Heute Abend Kellerclub" angesehen, die der Hessische Rundfunk 1964 ausstrahlte, und in der Bauer mit Studenten diskutierte. Seine Art, zu reden, sich zu geben, hat mich tief beeindruckt. Da sprach eine sehr nachdrückliche, sehr ausdrucksstarke Persönlichkeit.
Den Film kann man als Verneigung vor einem Helden betrachten, Sie stellen diesen Fritz Bauer aber abgehärmt und nicht als strahlende Heldenfigur dar.
Das war Bauer ja auch nicht. Er hätte sich selbst nicht als Helden bezeichnet. Er hat schweres Gepäck mit sich herumgetragen. Er saß als Sozialist einige Monate im KZ. Dann kam die Emigration, aber in Dänemark war man auch nicht sicher. Kaum waren die Nazis einmarschiert, ging's weiter nach Schweden. Die meisten Exilanten sind damals im Fischerboot über den Sund gefahren, so wie heute die Flüchtlinge über's Mittelmeer.
Wobei das damals wohl sicherer war, als sich heute einem Schlepper anzuvertrauen.
Das wissen wir nicht. Vor allem haben diese Erfahrungen Menschen wie Bauer oder Willy Brandt ( der im Dritten Reich nach Norwegen emigrierte, Anm. d. Red.) auch dazu verholfen, danach kämpferischen Mut zu fassen, dass so etwas nicht wieder passieren kann in Deutschland. Und das wirkt sich bis heute positiv aus. Ohne Fritz Bauer würde es uns heute schlechter gehen. Denn die Auschwitz-Prozesse, die er durch seine Recherchen ermöglicht hat, haben den Deutschen viel gebracht.
Wieso?
Ich erinnere mich deutlich, wie ich als junger Mann ins Ausland fuhr. Wir haben vermieden, deutsch zu sprechen, weil es damals durchaus noch gewaltige Ressentiments gab. Dass diese abgebaut worden sind, haben wir auch Bauer zu verdanken.
Weil uns Deutschen zugestanden wird, dass wir uns unserer historischen Schuld gestellt haben. Dabei hat die Tätergeneration ja eher alles verdrängt, und erst die nächste Generation hat sich stärker um Aufarbeitung bemüht.
Das ist auch ein Grund, warum uns ein Film über Fritz Bauer so wichtig war. Denn jüngere Leute glauben ja gerne, dass es diese Art von Trauerarbeit schon immer gegeben hat. Als ob mit der Einführung des Grundgesetzes 1949 die Demokratie vom Himmel gefallen sei. Dass das nicht so war und es kämpferischer Einzelpersönlichkeiten bedurfte, das ist für viele Nachgeborene komischerweise eine Erkenntnis. Auch dass es nach dem Krieg noch so viele Nazis gab. Ja, waren die denn plötzlich verschwunden?
Sie haben in diesem Jahr noch in einem anderen Film mitgespielt, der den Nationalsozialismus zum Thema hat: Oliver Hirschbiegels Drama über den Hitler-Attentäter Georg Elser. Sie spielen darin den Leiter des Reichskriminalamtes, Arthur Nebe, also eine Täterfigur. Wie fühlte sich das an?
In "Elser" bestand die Herausforderung für mich darin, einen Nazi zu spielen, ohne in die üblichen Klischees zu verfallen, was ja praktisch unmöglich ist.
War das der Grund, dass Sie an diesem Arthur Nebe, der ja ein großer Verbrecher war, der mit Vergasungsmethoden experimentierte, vor allem die menschlichen Züge zeigen.
Das ist ein Missverständnis. Das tritt einfach nur das Polizeiinteresse eines Mannes in den Vordergrund, der die Motive des Elser herausbekommen will, während der andere, der Gestapo-Mann Heinrich Müller ( dargestellt von Johann von Bülow, Anm. d. Red.), einfach nur sagt: 'Rübe ab'. Aber das reicht Nebe nicht. Das ist nicht unbedingt ein menschliches Interesse, das ist ein Ermittlerinteresse.
Immerhin setzt er sich dafür ein, dass Elser weniger gefoltert wird.
Nebe weiß natürlich, dass er bei der Erforschung von Elsers Motiven nur weiterkommen kann, wenn er ihm zuhört, während der andere ihn nur anbrüllt. An dem Beispiel sehen Sie schon, wie kompliziert das werden kann, in einer solchen Zeit nicht nur schwarz-weiß zu spielen.
Die Figur Nebe bekommt aber doch auch deswegen positive Züge, weil sie dem "20. Juli" angehörte und dafür hingerichtet wurde. Das ist heute in jedem Fall positiv besetzt.
Nebe hatte sich dem militärischen Widerstand gegen Hitler nur angeschlossen, um seinen Kopf zu retten. Er hatte überhaupt nichts mit dessen Motiven gemein. Er versuchte erst ganz spät, sich anzudienen. Erst 1944.
Wie haben Sie sich als gebürtiger Berliner dieses eindrucksvolle Schwäbisch des gebürtigen Stuttgarters Fritz Bauer angeeignet?
Ich höre es im Hintergrund bei Ihnen auch.
Ich bin ein Schwabe. Mir ist der Dialekt vertraut.
Umso schöner, dass Sie es akzeptiert haben. Ich habe dieses Honoratiorenschwäbisch aus dem Stuttgarter Land immer schon bewundert.
Tatsächlich! Ich habe den Eindruck, dass das Schwäbische außerhalb Baden-Württembergs nicht unbedingt als besonders einnehmender Dialekt gilt. Ich fürchte manchmal, die schlimmste Mundart, die man sprechen kann, ist Sächsisch, aber dann kommt gleich das Schwäbische.
Man muss es eben zu nehmen wissen. Die Schönheit liegt ja im Auge des Betrachters. Was ich daran interessant finde, ist die pietistische Aufklärungstradition, die dieser Dialekt hat. Ich habe viele Freunde aus Tübingen und Stuttgart, die diesen Tonfall immer wieder zitiert haben. Das sind oft genug Kämpfer für ihre Sache und oft genug Unbeirrbare. Ich mag das Schwäbische für seine Widerborstigkeit, für seine Eigenartigkeit. Weil es so typisch ist, weil es für etwas steht.
Was wäre für Sie ein typisch pietistischer Begriff im Schwäbischen?
Ich mache das nicht an einem Begriff fest. Das muss man einfach lesen können. Das drückt sich in der Melodie aus, die für Werte wie Ehrlichkeit und Anstand steht. Wer das nicht lesen kann, der macht sich darüber lustig. Aber ich dachte: 'Jetzt kann ich es endlich mal anwenden.'
Das muss man ja auch erst einmal können. Es so wie Sie anzuwenden, dass es nicht gekünstelt wirkt.
Na ja, das ist halt die Berufsausübung.
Der Staat gegen Fritz Bauer, Deutschland 2015 - Regie: Lars Kraume. Drehbuch: Lars Kraume, Oliver Guez. Kamera: Jens Harant. Mit: Burghart Klaußner, Ronald Zehrfeld. Alamode, 105 Minuten.