Online-Debatten:Kampf um Mittelerde

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Sieht eigentlich ganz friedlich aus: Szene aus dem Trailer zu "The Rings of Power", der "Der Herr der Ringe"-Serie bei Amazon Prime Video (Foto: Amazon via dpa)

"Star Wars" und "Der Herr der Ringe": Wie russische Bots im Netz Debatten über Hollywoodfilme anheizen, um den Westen zu polarisieren.

Von Nicolas Freund

Man könnte meinen, es gäbe gerade Wichtigeres als den Trailer zur neuen "Der Herr der Ringe"-Serie, die im Herbst bei Amazon Prime Video starten soll. Stimmt auch. Nur ausgerechnet in Russland scheinen das viele anders zu sehen. Die Kommentarspalten unter dem offiziellen Trailer werden seit Tagen von Beiträgen mit einem Tolkien-Zitat in allen möglichen Sprachen geflutet, eine auffällig Anzahl davon auf Russisch. Vielen gefällt die Serie jetzt schon nicht, so der Eindruck, obwohl davon gerade mal eine Minute Trailer bekannt ist. Liest man weiter, so kommen offenbar einige Fans nicht darüber hinweg, dass in der Serie nicht nur weiße Männer die Hauptrolle spielen sollen.

Das erinnert stark an einen ähnlichen Fall vor wenigen Jahren. Als 2017 der "Star Wars"-Film "The Last Jedi" anlief, ergoss sich im Netz eine Welle des Hasses über den Regisseur Rian Johnson und eine der Hauptdarstellerinnen, Kelly Marie Tran. Nicht nur manche Drehbuchentscheidung, auch die Besetzung vieler nicht-weißer Schauspielerinnen störte damals einige Fans, so zumindest der Eindruck.

Der amerikanische Kommunikationswissenschaftler Morten Bay zeigte aber in einer Forschungsarbeit, dass ein großer Teil dieses scheinbaren Protests inszeniert war. Er wertete etwa 1000 Kommentare bei Twitter aus, die direkt an den Regisseur Rian Johnson gerichtet waren, und fand unter den Accounts nicht nur viele Bots, sondern auch viele, die typischen Mustern für politische Propaganda folgten. "Bots, Trolle/Provokateure oder politische Aktivisten nutzen die Debatte, um politische Botschaften zu verbreiten, die Rechtsextremismus und Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Rasse oder Sexualität propagieren. Eine Anzahl dieser Nutzer scheinen russische Trolle zu sein", schreibt er im Abstract des Papers.

Mit solchen Debatten erreicht man Schichten, die sich nicht für Politik interessieren

Es ist inzwischen unstrittig, dass Russland versucht, Debatten in Onlineforen und auf anderen Plattformen zu beeinflussen. Seit der US-Präsidentschaftswahl 2016 sind einige Studien erschienen, die typische Muster solcher russischen Trollaktivitäten erklären. Eine Studie brachte alleine auf Twitter 2752 Accounts mit der russischen Trollfabrik "Internet Research Agency" in Verbindung. Typischerweise würden diese Accounts bei weltweiten Großereignissen aktiv werden, sie seien unter anderem daran zu erkennen, dass sie oft in verschiedenen Sprache posteten und regelmäßig ihr Profil neu aufsetzten, also alle alten Inhalte löschten sowie den Namen änderten. Zu den Beiträgen unter dem "Herr der Ringe"-Trailer gibt es noch keine Datenanalyse, aber viele der Accounts scheinen diesem Profil zu entsprechen, wurden also erst vor Kurzem erstellt oder sind schon älter, haben aber kaum Inhalte.

Warum sollten russische Bots und Trolle sich in Diskussionen um die Besetzung von Science-Fiction- und Fantasy-Filmen einmischen? Tatsächlich sind diese Filme das perfekte Ziel, um Unruhe zu stiften. Diese Franchises sind oft sehr emotional aufgeladen, Fans weltweit reagieren extrem auf jede Neuigkeit und jede Änderung an ihren geliebten Geschichten. Und tatsächlich waren sie auch schon immer leicht politisch: "Star Wars" als Teil des New Hollywood, das sich gegen den Vietnamkrieg und konservative US-Politik stellte, "Der Herr der Ringe", allerdings eher unfreiwillig, als Manifest der Hippie-Bewegung. Dieses linke Erbe scheint auch bei den neuesten Filmen immer wieder durch und polarisiert vor allem in den USA zusammen mit einem inzwischen sehr viel diverser gewordenem Cast die Fans. Diese Debatten anzuheizen lässt sie nicht nur größer erscheinen, als sie sind, sondern polarisiert auch die westlichen Gesellschaften noch weiter und erreicht vor allem auch Schichten, die sich nicht für politische Debatten interessieren und deswegen auf normale Propaganda oder Provokationen nicht reagieren. Es entspricht also genau der Strategie, die Russland gerade umzusetzen scheint.

Was dagegen helfen könnte? Vielleicht einfach "Der Herr der Ringe" und "Star Wars" nicht so wahnsinnig ernst nehmen. Gerade jetzt.

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