Berlinale:Sag mir, wo die Filmstars sind

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Alexander Scheer (l) und Meltem Kaptan im Wettbewerbsbeitrag "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" von Andreas Dresen. (Foto: Andreas Hoefer/dpa)

Am Donnerstag eröffnet die Berlinale. Sind die Filme das Wagnis eines Präsenzfestivals mitten im Omikron-Sturm wert?

Von David Steinitz

Für Hypochonder war die Berlinale auch ohne Omikron schon eine Herausforderung. Der Festival-Soundtrack, dem Berliner Februar geschuldet, ist stets ein orchesterartiges Niesen, Röcheln, Räuspern und Hustenbonbonauswickeln. Letzteres ist eine Kulturtechnik, die besonders furchtbar wird, wenn mehrere Hundert Anwender im Berlinale-Palast am Potsdamer Platz gleichzeitig versuchen, sie geräuschlos auszuüben. Das ist natürlich unmöglich, und über die Jahre hätte man schon so manchem Sitznachbarn gerne ins Gesicht geschrien, er möge sich das verdammte Pfefferminz endlich in den Mund schieben und still sein.

Als in den vergangenen Wochen die Infektionszahlen stiegen und stiegen, glaubte kaum jemand daran, dass die Berlinale als Präsenzfestival stattfinden würde. Alle klassischen Winterviren plus Corona, die auf dem größten deutschen Filmfestival eine Wirts-Blinde-Date-Party feiern? Es wurde gemunkelt, intern werde eine Verlegung in den Sommer diskutiert. Aber die Berlinale-Chefs Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, als Doppelspitze seit 2019 im Amt, wollten unbedingt am Februartermin festhalten. Das kann man aus ihrer Sicht auch gut verstehen. Die großen Festivals, insbesondere Berlin, Cannes und Venedig, stehen in harter Konkurrenz um die besten Filme, die größten Stars; wenn die Berlinale sich genau zwischen Cannes (Mai) und Venedig (August/September) setzen würde, wäre der Kampf noch härter als ohnehin schon.

Die Filmbranche fürchtet die endgültige Netflixisierung, da kommt ein echtes Festival gerade recht

Rissenbeek, Chatrian und ihr Team haben also ein Konzept erarbeitet, um die Berlinale trotz Corona möglich zu machen, und die Berliner Behörden haben es abgesegnet. Am 10. Februar geht's los, mit reduzierten Platzkapazitäten und FFP2-Masken, und ohne die sonst obligatorischen Partys und Empfänge. Kulturstaatsministerin Claudia Roth nannte die Entscheidung stolz ein "Signal an die gesamte Filmbranche", die von der Pandemie so gebeutelt war und ist und die endgültige Netflixisierung fürchtet.

Aus Petra wird Peter: Der diesjährige Berlinale-Eröffnungsfilm "Peter von Kant" mit Denis Menochet und Isabelle Adjani erzählt Fassbinders "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" neu. (Foto: MFA+ Filmdistribution)

Damit hat sie natürlich recht. Es ist ein Signal, vor allem für die Kulturinstitution Kino. Als Rissenbeek und Chatrian am Mittwoch die Filme des offiziellen Wettbewerbs vorstellten (ohne Publikum, per Livestream), war man dann aber doch noch neugieriger als sonst auf die Werke, die sie da verkündeten. Denn die Berlinale hat in den vergangenen Jahren (schon unter dem ehemaligen Festivalchef Dieter Kosslick) auch ohne Corona leider schon oft nur den Platz hinter Cannes und Venedig belegt, was die Ausbeute anging. Nichts gegen Filmkunst und Experimente, gegen langgediente, aber trotzdem unbekannt gebliebene Autorenfilmer, gegen Neuentdeckungen und Schwerpunktreihen zu bislang vernachlässigten Filmnationen in den entlegensten Winkeln der Welt. Aber als A-Festival braucht man zusätzlich schon a bisserl Glamour.

Man braucht Lars von Trier, der auf dem roten Teppich den Fotografen die Faust entgegenreckt, um zu zeigen, dass er sich auf seine Fingerknöchel die Buchstaben F, U, C und K tätowiert hat. Man braucht Quentin Tarantino, der im Schlepptau seines neuen Films die halbe Hollywood-A-Liga an Schauspielerinnen und Schauspielern mitbringt. Man braucht Cate Blanchett und Meryl Streep und Nicole Kidman, damit sich trotz minus fünf Grad und Schneeregen am Berlinale-Palast eine Menschenmenge einfindet, die neugierig die Hälse reckt.

Einen Film in den Wettbewerb nehmen, der schon woanders lief? Da würden sie in Cannes lachen

Die Berlinale schafft es aber leider oft nur, einen richtigen und zwei, drei halbe Stars ranzuschaffen. Dann schleicht abends um acht ein armer philippinischer Regisseur nahezu unbeobachtet zu seiner Weltpremiere, der ja auch davon profitieren würde, wenn es insgesamt ein bisschen mehr Rummel gäbe. Natürlich gab es auch in Cannes schon mal Ausfalljahrgänge, in denen viel zu viele der Öffentlichkeit vollkommen unbekannte Filmemacher einander zeigten, wer den längeren Schwarz-Weiß-Film hat. Aber in Cannes glitzert dann wenigstens das Meer in der Frühsommersonne, und Tarantino kommt trotzdem noch, und vom Palais des Festivals winkt Cate Blanchett. Die Frage ist also: Konnten die Berlinale-Macher ein Programm auf die Beine stellen, das eine Präsenzveranstaltung inmitten des Omikron-Sturms rechtfertigt? Ein Programm, das ein Statement ist, das Revier des Festivals markiert?

Schaut man sich die 18 am Mittwoch vorgestellten Titel des Wettbewerbs an, lautet die Antwort leider: nein.

Natürlich sind ein paar spannende Namen dabei. François Ozon, einer der besten Regisseure Europas, wird das Festival eröffnen mit seiner Tragikomödie "Peter von Kant", einer Variation des Fassbinder-Klassikers "Die bitteren Tränen der Petra von Kant". Auch das deutsche Kino ist anständig vertreten. Der wunderbare Andreas Dresen zeigt "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" über die Mutter von Murat Kurnaz, die von ihrem Bremer Reihenhaus vor den Supreme Court zog, um ihren Sohn aus Guantanamo freizubekommen. Und die Regisseurin Nicolette Krebitz ("Wild") zeigt "A E I O U - Das schnelle Alphabet der Liebe".

Milan Herms (l) und Sophie Rois in "A E I O U - Das schnelle Alphabet der Liebe" von Nicolette Krebitz. (Foto: Reinhold Vorschneide/dpa)

Ansonsten aber herrscht neben der Empfängerin des Goldenen Ehrenbären fürs Lebenswerk (Isabelle Huppert) eher Glamour-Armut. Die guten Hollywoodverbindungen von Cannes und Venedig scheint es in Berlin nicht mehr zu geben. Anders ist es kaum zu erklären, dass ein Film wie "Call Jane" mit Elizabeth Banks und Sigourney Weaver seinen Weg in den Wettbewerb findet, obwohl er seine Weltpremiere schon im Januar beim Sundance-Festival feiern wird. Wettbewerbsfilme, die ein anderes Festival schon hatte? Da würden die Verantwortlichen in Cannes nur indigniert lachen.

Natürlich werden die Fotografen im Februar nicht ganz arbeitslos sein. Die ein oder andere Berühmtheit ist schon vertreten, Charlotte Gainsbourg etwa im Wettbewerbsbeitrag "Les passagers de la nuit", ein Filmtitel, wie ihn sich in seiner pathetischen Schönheit nur die Franzosen ausdenken können. Nimmt man die Nebenreihen noch dazu, finden sich auch dort ein paar Promis, zum Beispiel durch die Nick-Cave-Doku "This Much I Know To Be True". Aber dass die Berlinale sich trotzdem ein weiteres Mal mit einem B-Programm durch ein A-Liga-Festival mogeln will, dieses Gefühl wird man trotzdem nicht los.

Natürlich ist das ein Urteil auf Basis des Programmhefts, die Filme folgen erst. Aber sie werden sehr gut sein müssen, mit richtigen Entdeckungen für die Filmgeschichte, trotz der eher unbekannten Namen, wenn die Berlinale mit dieser Auswahl ihren Status als eins der drei großen europäischen Filmfestivals behaupten will.

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