"Benedetta" von Paul Verhoeven im Kino:Unkeusche Heilige

Lesezeit: 3 min

Eine Liebe im Kloster, und die Marienstatue ist auch dabei: Daphné Patakia und Virginie Efira in "Benedetta". (Foto: Capelight Pictures)

Wilde Visionen, zweifelhafte Wunder und lesbischer Sex hinter Klostermauern: Paul Verhoevens "Benedetta" ist ein listiger Film über das Fleisch und den Glauben.

Von Philipp Stadelmaier

Benedettas Abenteuer beginnt mit einem himmlischen Vogelschiss. Das Mädchen ist mit seinen Eltern in der Kutsche unterwegs, als es darum bittet anzuhalten, um bei einer Marienstatue beten zu dürfen. Während der Rast wird die Familie von Räubern aufgerieben, aber Benedetta droht ihnen: "Die Heilige Jungfrau Maria tut alles, was ich will." Die sendet daraufhin das gewünschte Zeichen, in Form eines scheißenden Vogels, der sich auf dem Haupt eines der Angreifer entleert. Die Räuber suchen vorsichtshalber das Weite.

Die Kutsche bringt Benedetta nach Pescia, in ein Kloster der Theatinerinnen, in das sie eintreten wird. Die weitere Geschichte der jungen Frau ist dann gleich doppelt interessant. Zum einen beginnt sie die klassische Karriere einer Heiligen, die anfängt, Visionen von Jesus zu haben, der gelegentlich durch ihren Mund zu anderen spricht, während an ihren Händen Stigmata auftauchen. Zum anderen wird sie Jahre später, da ist sie schon eine junge Frau und wird gespielt von Virginie Efira, eine Beziehung mit einer Novizin beginnen, Bartolomea (Daphné Patakia), die auf der Flucht vor ihrem misshandelnden Vater im Kloster Zuflucht findet.

Eine lesbische Heilige im 17. Jahrhundert in Italien: ein Sujet wie gemacht für Paul Verhoeven, den niederländischen Meister der Erotik, der Satire und des hochgradig ironisierten Spektakels. Man könnte, in Anbetracht der lustvollen Sexszenen zwischen den beiden Nonnen, noch "Provokation" hinzufügen, aber das Label wird allzu inflationär gebraucht, auch wenn es auf den Regisseur von "Basic Instinct" und "Showgirls" vielleicht einmal zutreffen mochte. Tatsächlich hat Verhoeven mit "Benedetta", der schon vor zwei Jahren fertig wurde, wegen Corona aber erst dieses Jahr in Cannes gezeigt werden konnte, einen humorvollen Film über das Fleisch und den Glauben gedreht.

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"Wunder sprießen wie Pilze aus dem Boden", sagt die Äbtissin

Der Regisseur hat selbst einmal gemeinsam mit Rob van Scheers ein Buch über Jesus geschrieben ("Jesus: Die Geschichte eines Menschen"). Für den neuen Film hat er sich außerdem von der Studie "Immodest Acts. The Life of a Lesbian Nun in Renaissance Italy" inspirieren lassen, in der die Historikerin Judith C. Brown das Leben der historischen Benedetta Carlini rekonstruiert. Brown untersucht dabei in Florentiner Archiven gefundene Akten des Inquisitionsprozesses, den die Kirche damals gegen die Nonne anstrengte. Die Anklage lautete auf Ketzerei, die "unkeuschen Handlungen" zwischen zwei Frauen wurden gleich mitaufgedeckt.

Nun ist für Verhoeven das "Heilige", das Göttliche, das Himmlische, dem sich Benedetta so nahe fühlt, von Anfang an zutiefst verunreinigt. Es vermischt sich mit dem Körperlichen und Organischen, mit Verdauungsprozessen und Exkrementen. Daher der skatologische Einschlag im Film, in dem sich die Jungfrau Maria durch Vogelkot bemerkbar macht und sich Bartolomea nach ihrer Ankunft im Kloster erst mal von Benedetta aufs Scheißhaus führen lässt, um ihrem Darm Erleichterung zu verschaffen.

Die nächste Ebene der Verunreinigung ist eine ökonomische: Die Aufnahme im Kloster kostet Geld. Die Mutter Oberin, gespielt von einer grandiosen Charlotte Rampling, warnt Benedettas Vater, er solle "bloß nicht schachern wie ein Jude", während sie, was die angeblich von Benedetta vollbrachten Wunder betrifft, äußerst nüchtern bleibt: "Wunder sprießen wie Pilze aus dem Boden." Der Zynismus des Klerus zeigt sich auch darin, dass man sich von einer Heiligsprechung Benedettas in erster Linie eine gelungene PR-Aktion erwartet, die scharenweise Pilger und Käufer von Devotionalien nach Pescia bringen soll.

Am deutlichsten zeigt sich Verhoevens Lust am Unreinen in der Vermischung des Heiligen mit dem Erotischen. In Benedettas Jesus-Visionen wird sie vom Heiland vor männlichen Angreifern und Schlangen gerettet, während er sie auch verführen will und dabei die Züge von Bartolomea annimmt - besonders in einer grandiosen Szene, in der sich Benedetta ihm am Kreuz nähert und unter seinem gelüfteten Gewand ein weibliches Genital sichtbar wird. Von Anfang an vermischt sich Benedettas Liebe zu Jesus und zur Muttergottes mit einer Fixierung auf die weibliche Brust, die eine auf sie herabstürzende, wundersamerweise über ihr stehen bleibende Marienstatue ihr darzubieten scheint. Und später zimmert Bartolomea für ihre Liebesspiele einen Dildo aus der Marienstatue, die Benedetta als Mädchen mit ins Kloster gebracht hat.

Wunder bedeuten Ruhm und Macht: Virginie Efira spielt die Nonne, die zur Äbtissin aufsteigt, in "Benedetta". (Foto: Capelight Pictures)

Nun macht Benedetta keineswegs den Eindruck, sie würde an ihrer heiligen Bestimmung zweifeln; sie verspricht sogar, Pescia von der Pest zu bewahren, die an die Tore der Stadt klopft (der Film kommt in dieser Hinsicht passend zur vierten Corona-Welle). Gleichzeitig hat ihre "Berufung" eine politisch-strategische Komponente: Dank des Aufstiegs zur Äbtissin erhält sie ein Privatzimmer, in das sie sich mit Bartolomea ungestört zurückziehen kann. Simuliert sie also, oder ist sie wirklich besessen? Sind ihre Stigmata echt oder selbstzugefügt? Handelt es sich bei den Visionen um göttliche Eingebungen oder Einbildungen?

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Die große Stärke von Verhoevens Film liegt darin, beide Möglichkeiten offenzuhalten, ohne zu entscheiden oder zynisch auf seine Figuren herabzublicken. Der Wunsch der Inquisition, alles genau wissen zu wollen, endet in grausamer physischer Folter. Dem gegenüber beharrt Verhoeven auf der fast religiösen Notwendigkeit, dem zu glauben und zu vertrauen, was man auf der Leinwand sieht, so uneindeutig es sein mag. Denn glauben kann man nur daran, woran mit auch zweifeln kann, und der Zweifel hat bei Verhoeven eine zentrale Funktion: Er erhält den Zuschauern die Lust auf Fiktionen, doppelte Böden und verschachtelte Wahrheiten.

Benedetta , F, BE, NL 2021 - Regie: Paul Verhoeven. Buch: Verhoeven, David Birke, Judith C. Brown. Kamera: Jeanne Lapoirie. Mit Virginie Efira, Charlotte Rampling, Daphné Patakia, Lambert Wilson. Capelight/Kochfilms/Central, 131 Minuten. Kinostart: 2.12.2021

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