Bayreuther Festspiele:Nudeln statt Mythos

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Arnold Bezuyen als Mime im trostlos mit Kinderspielzeug vollgemüllten Kellergeschoss eines Hauses. (Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele)

Im "Siegfried" des Bayreuther "Rings" haben nicht nur die Götter ausgedient. Warum es Buhrufe im Publikum gab.

Von Wolfgang Schreiber

Charakteristischer, variabler hätte Wagner die Anfänge seiner vier "Ring"-Teile nicht komponieren können: für "Rheingold" den langen Es-Dur-Dreiklang des Werdens aus der Tiefe, für die "Walküre" den wilden Orchestersturm quer durch die Göttergroßfamilie. Und für "Siegfried" das dumpfe Grübel-Motiv einer in die Tiefe fallenden nackten Terz. Geniale Erleuchtungen. In keinem der Dramen hat Wagner dem Psychologisieren und Palavern so viel Raum gegeben wie im "Siegfried". Wotan, jetzt der "Wanderer" in den Untergang, führt vier lange Dialoge - mit Mime und dem Erzfeind Alberich, mit Urmutter Erda und mit Jung-Siegfried. Der zerhaut dem Alten den Speer und schickt ihn in Rente, tötet den Drachen und erobert sich Frau Brünnhilde.

Was macht Valentin Schwarz daraus, der junge neue Bayreuth-Inszenator, der sein Konzept fürs "Rheingold", so hieß es, mit einem "feministischen Narrativ" versehen hat, bei angeblich mangelnder "Bildkraft"? Der ganze "Ring" gleiche der Familiensaga einer Fantasy-Netflix-Serie, im "Rheingold" und der "Walküre" mit allerlei unappetlichen Verwandtschaftsbeziehungen, Inzest, Vergewaltigung, Suizid inbegriffen.

Götter sind auch nur Menschen, heißt die "Ring"-Botschaft des Valentin Schwarz, der oberste Gott ist ein brutaler Clanchef moderner Mach(o)art. Korruption, Ausbeutung, Besitz, Macht, Sexismus sind sein Credo. Hier begegneten wir, so der Regisseur, "hautnah Menschen in ihrer Tragik und in ihrer Komik, mit all ihren Ängsten und Träumen, die an der Wirklichkeit zerschellen". Der Mythos, menschengerecht gemacht.

Wotan Tomasz Konieczny hat seinen Unfall in der "Walküre" gut überstanden

Nun, im "Siegfried" haben die Götter längst ausgedient, befindet sich Wotan auf dem Abstellgleis, geistert aber als großmäulig Obdachloser de luxe durch die Szene. Den Ring und die Macht will er dank ausgefuchster Gesprächsstrategie doch noch retten. Tomasz Konieczny steht, nach seinem Unfall mit dem zerbrochenen Stuhl in der "Walküre", jetzt wiederum elegant in kraftvoller Statur, seinen Bariton majestätisch lautstark führend, leider wortunverständlich, auf der Bühne.

Der erste "Siegfried"-Aufzug zieht sich in langer Weile hin. Die scheiternde, nahe der Drachenhöhle des Fafner-Riesen spielende Erziehung des blutjungen Siegfried durch den verhassten Zwergenstiefvater Mime vollzieht sich im trostlos mit Kinderspielzeug vollgemüllten Kellergeschoss eines Hauses. Mime will, angestrengt monologisierend, dem Drachen nur den Ring und die Macht rauben, dass er Siegfried gern umbringen möchte, wird von Arnold Bezuyen agil dargestellt und ausdauernd gesungen. Siegfried, verwilderter Langhaar-Rotzlöffel, tobt durch den Raum. Nach der umständlich vollzogenen Schwertschmiede zerkleinert er brutal die Einrichtung. Andreas Schager stattet ihn mit lebhaftem Spiel aus, vor allem mit seiner nie nachlassenden, kaum je lyrisch zurückgenommenen Tenorkraft, die selbst wuchtige Orchesterballungen mühelos übertönt. "Wanderer" Wotan wird zum Gespräch, auch mit Mime, von smarten Bodyguards begleitet.

Für Siegfried hat sich der Regisseur einen die Zuschauer hoffentlich amüsierenden, vielleicht jedoch quälenden Running Gag ausgedacht: Der muss, kaum ist er auf die Bühne gelangt, ständig, fast zwanghaft, aus einem Pappbecher Nudeln oder Ähnliches mampfen - Teile davon Mime an den Kopf werfen, später damit auch den Waldvogel beglücken. Merke: So menschlich gibt sich selbst ein künftiger Held.

Der Drache ist ein Mensch im Krankenbett

Die abgründigste, am Ende vielleicht am meisten ausgebuhte Überraschung der Aufführung: der Drache in seiner Höhle - oder das, was von seiner Märchenhaftigkeit übrig geblieben ist. Nachdem Wotan mit Alberich, dem prägnant orgelnden Olafur Sigurdarson, sich laut begeifernd die Machtfrage debattiert hat, sieht man, eher undeutlich, auf einem Krankenbett einen Menschen liegen, es ist der Drache. Ihn behandelt fürsorglich ein stummer Pfleger, es ist Hagen in der milden Vorstufe seiner späteren Bösartigkeit (Branko Buchberger). Der bettlägerige Drache verlässt sein Lager, Wilhelm Schwinghammer besingt mit volltönender, schon Grabesruhe ausstrahlender Bassstimme seine die Ring-Gold-Weltherrschaft beschwörenden Behauptungen. Siegfried bringt ihn zu Fall, der Todeskampf wird mit peinigender Deutlichkeit ausgespielt. Genauso menschennahe gibt sich Siegfrieds Waldvogel alias Alexandra Steiner mit kecker Sopranstimme, die ihm freudig den Weg in die Zukunft weist, beide scheinen zwei Verliebte zu sein.

Tiefe, Ruhe, Autorität und alles Weltwissen ausstrahlend tritt Erda, die volltönend intuitive Okka von der Damerau, in den dritten Aufzug und belehrt gnadenlos ihren Wotan-Wanderer. Endlich erreicht Siegfried, jedenfalls bei Wagner, den Fels, die im Feuerschein schlafende Brünnhilde. Bei Valentin Schwarz kein Feuer, kein Fels, stattdessen steht eine weiß-geheimnisvoll vermummte Frau ruhig auf der Bühne.

Daniela Köhler, Bayreuth-Debütantin, singt die Brünnhilde höhensicher, mit seelischer Wärme und weit schwingender Musikalität. Wie sie und Andreas Schagers kraftstrotzender Siegfried sich begegnen, sich fremd und zugleich anziehend fühlen, dank Brünnhildes personalisiertem Ross Grane (Igor Schwab) fast zerrissen werden, das ist spannend inszeniert. Ein Schock das letzte Bild vom Liebesglück: Auf beide wartet eine riesige Limousine, brutal die Scheinwerfer ins Publikum gerichtet.

"Ring"-Dirigent Cornelius Meister, für den erkrankten Finnen Pietari Inkinen im symphonischen Graben, findet sich mit den Klang- und Kommunikationsproblemen des zugedeckten Orchesters und der Bühne hörbar gut zurecht, er bevorzugt die rasche Gangart, liebt starke dynamische Kontraste, kann aber eine strukturierte Klangbalance im Festspielorchester nicht durchgehend gewährleisten. Auch im mythischen Graben jedenfalls: keine Entmythologisierung. Gibt es die überhaupt in der Oper? Gar nicht bei Richard Wagner. Das hat auch Frank Castorf nicht geschafft. Es ist die Musik, die den Mythos, die Verzauberung, notwendigerweise hervorbringt. Das Ohr ist die Instanz, so weit sich Valentin Schwarz mit seinem Theaterrealismus auch hervorwagt und dafür mit lautstarken Buhs bedacht wird.

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