Baurecht:Kampfgebiet Wohnungsbau

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Skyline von Hamburg (Foto: Maja Hitij/dpa)

Deutschland braucht Wohnungen. Aber vor allem eins steht im Weg: der Irrsinn des Baurechts.

Kommentar von Gerhard Matzig

Auf Youtube wird der Spot von Immowelt, dem Internetportal für Wohnungssuchende, millionenfach geklickt. Sie, eine smarte junge Frau, sieht im Büro auf ihr Handy. Eine Nachricht. Sie rast los. Und er, ein smarter junger Mann, sieht auf dem Parkdeck auf sein Handy. Losrasen. Nun wird aus dem Clip eine turbobeschleunigte Mischung aus "Matrix", "James Bond" und "Mission Impossible". Mann und Frau jagen einander im Stil delirierender Parcoursläufer. Sie überwinden Balkone, springen von Dächern, erklettern Fassaden. Am Ende erfährt man, warum: "Altbau, 3 Zimmer".

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Dazu ist der Song "Home" und der Immowelt-Slogan zu hören: "eine Welt voller Zuhause". Man muss in diesen Tagen nicht am Münchner Hauptbahnhof gewesen sein oder im ungarischen Röszke, wo Polizisten den Flüchtlingen Nahrungsmittel zugeworfen haben, als fütterten sie Vieh; man muss nur diesen Spot sehen, um zu begreifen: Die Welt ist nicht voller Zuhause - die Welt ist voller Immobilien, um die man kämpfen muss.

Das Wohnen ist ausweislich all der Wohnzeitschriften nicht nur der große Fetisch unserer Cocooning-Ära, sondern auch ein existenzielles Gut. Der Mangel an Wohnraum ist daher eine epochale Herausforderung. Wenn nun unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise die Politik endlich "das Wohnen als die große Zukunftsaufgabe" (Wolfgang Bosbach) begreift, kann man nur fragen: Habt ihr das auch schon bemerkt? Es geht jedoch nicht allein um die Frage, wie, wo und zu welchem Preis Migranten in Europa zu beherbergen sind. Es geht um die globale Wohnungskatastrophe insgesamt.

Die Politik tut alles, um den Wohnungsbau zu behindern

Angesichts der Verstädterung sehen Experten in den nächsten 15 Jahren einen Bedarf von einer Milliarde zusätzlichen Wohnungen weltweit (Deutsche Bank Research). Und nach einer neuen Studie des Pestel-Instituts müssten allein in Deutschland jährlich 400 000 Wohnungen gebaut werden. Noch im Frühjahr ist das Bundesinstitut für Bau-, Raum- und Stadtforschung von 270 000 Einheiten ausgegangen. "Real", so die Immobilienzeitung, "dürften 260 000 Wohnungen bis zum Jahresende fertig sein."

Was steht einer Lösung im Weg? In Deutschland vor allem: der Irrsinn des Baurechts. Wäre jede Norm am Bau eine Wohnung, so wäre das Problem schon halb gelöst. So viel Wohnraum in so kurzer Zeit zu vertretbaren Preisen: Das ist nur dann zu schaffen, wenn die teilweise absurden Standards bei Neubauten deutlich gesenkt werden. Überdies: Umnutzung ist das (auch ökologisch interessantere) Gebot der Stunde. Auch müsste man über die Quadratmeter-Ansprüche der adipösen Wohnwelt nachdenken. Außerdem über eine Wohnkultur (Papa, Mama, anderthalb Kinder - und das Auto in der Garage neben dem Rasenmäher), die mit den gesellschaftlichen Entwicklungen und der Umcodierung von öffentlichen und privaten Zonen nichts zu tun hat.

Darum ist Bauen so teuer

Die wahren Preistreiber sind aber die Bau-Standards. Statt der unter Mühe verabschiedeten Mietpreisbremse wäre eine Bremse der DIN-Normen, EU-Richtlinien, Bundesverordnungen, Ländergesetze und kommunalen Auflagen effektiver gewesen. Laut Bauwerkskostenindex hat sich der Bau eines typischen Mehrfamilienhauses seit 2000 um 36 Prozent verteuert.

Mit der Novelle der Energieeinsparverordnung wird sich das Bauen ab 2016 um weitere sieben Prozent verteuern. Die Politik fordert nun mehr billige Wohnungen (für Flüchtlinge, Wohnungssuchende, Studenten . . .); sie tut allerdings schon seit Jahren durch den Norm-Irrsinn einerseits und die Privatisierung öffentlicher Wohnungsbaugesellschaften andererseits alles dafür, dass Wohnraum in Deutschland genau das bleibt, was der Immowelt-Spot illustriert: Kampfgebiet.

© SZ vom 19.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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