Bauen und Tierwohl:Schöner wohnen mit Tieren

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Für Vögel als Hindernis erkennbar - und für Menschen als Hochhaus mit verspielter Fassade und betretbaren Balkons: der Aqua Tower in Chicago. (Foto: Butler V. Adams)

Eine Berliner Ausstellung über Architektur und Artenschutz zeigt, wie der Egalitarismus vom Menschen auf andere Spezies überspringt.

Von Peter Richter

Wer in den kommenden Tagen und Wochen an der "Schau Fenster"-Galerie in der Berliner Lobeckstraße vorbeikommt, kann dort wie in den Auslagen eines Warenhauses das exakte Gegenteil von Dingen wie Insektenspray, Ameisenködern und Mausefallen sehen, nämlich: Bauelemente für eine "Architektur der Cohabitation". Das soll eine "von Menschen errichtete Architektur" sein, "die nicht-menschliche Tiere nicht tötet, verletzt, ihrer Freiheit beraubt oder ihnen auf andere Art Schaden zufügt". Sie solle diese vielmehr "aktiv zur Nutzung" einladen und biete so am Ende "Kontakträume für die Begegnung von nicht-menschlichen Tieren und Menschen".

Das muss man erst mal so hinnehmen, was eine Herausforderung ist in einer Welt, die immerhin den Beruf des Kammerjägers hervorgebracht hat, weil viele menschliche Tiere zum Beispiel auf Kontakt mit Mäusen, Ratten oder Kakerlaken in ihren Räumen oft nur mit wenig Begeisterung reagieren. Das Wort "Cohabitation" kennt man in dieser Schreibweise aber auch vor allem aus der französischen Politik, wo es die Konfrontation eines Präsidenten mit einer Parlamentsmehrheit des entgegengesetzten politischen Lagers beschreibt, also eigentlich einen Zustand gelebter Abneigung. Das "Manifest für eine Architektur der Cohabitation", das ein Ökologe, ein Landschaftsplaner und ein Architekt zusammen verfasst haben, lässt eine Differenzierung nach Sympathie für bestimmte Lebewesen nicht zu; es fordert vielmehr, die Unterscheidung von Wild-, Nutz- und Haustieren, Geziefer und Ungeziefer genauso aufzuheben wie die Paradigmen von Sicherheits- und Hygienebedürfnissen, die das Bauen bisher prägen.

Das Manifest ist so radikal, wie solche Texte es nun einmal sind. In der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Arch+, ganz dem Thema "Cohabitation" gewidmet, findet sich sogar eine "Allgemeine Deklaration der Organismenrechte", die auch die politische Repräsentation sämtlicher Spezies bis runter zu den Bakterien verlangt. Klingt nicht ganz ernst zu nehmen? Naiv? Paternalistisch? Kann sein. Kann aber auch sein, dass man "Das Kommunistische Manifest" mal nicht so ernst genommen hat, wie es war.

Dass sich die theoriefreudige Berliner Zeitschrift mit so etwas ausführlich befasst und jetzt schon die zweite Ausstellung zum Thema präsentiert, dass sie von der Bundeskulturstiftung bis zum Berliner Kultursenator darin unterstützt wird, ist gar nicht so überraschend, wie das nicht nur für Leute mit Phobien vor Stadttauben zunächst einmal klingt. Der hellsichtige Norberto Bobbio, man kann dieser Tage gar nicht oft genug auf ihn zurückkommen, hatte Anfang der Neunziger schon vorhergesagt, dass bei allen postmodernen Verkrempelungen der politischen Lager ein grundsätzlicher Egalitarismus für das Denken der Linken konstitutiv bleiben werde - und dass dieser Egalitarismus zwangsläufig irgendwann auf das Verhältnis zwischen Menschen und anderen Spezies stoßen muss.

Ob man Tiere nutzen, essen, halten oder ablehnen will, ist keine private Angelegenheit

Genau das kann man seit einiger Zeit beobachten. Der Diskurs über den Umgang mit Tieren wird zusehends moralischer, im Wortsinn fundamentalistischer. Ob man Tiere nutzen, essen, in seiner Wohnung halten oder sie vielmehr da strikt heraushalten mag, ist keine private Angelegenheit mehr, sondern eine politische. Und auch wenn dieser Diskurs noch weitgehend akademisch geführt wird, bewegt er sich immer mal wieder auch in "Begegnungsräume" mit den Sphären der praktischen Politik. Dass in der Schweiz beispielsweise diesen Winter eine tiefgreifende Gesetzesinitiative gescheitert ist, die Tieren praktisch Menschenrechte zusprechen wollte, hatte immerhin im Vorfeld auch Dinge wie die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln zum öffentlich debattierten Thema gemacht, weil deren Herstellung sich mit der Ethik des radikalen Tierschutzes beißt.

Von Ferne zeigt sich das vogelfreundliche Hochhaus sogar als Landschaftsbild: Seenplatte hochkant gestellt. (Foto: Steve Hall/Hedrich Blessing)

In dem Berliner "Schau Fenster"-Raum wagt nun auch die Arch+ so eine Art von Realitätskontakt. Nachdem schon vor einiger Zeit eine erste Ausstellung im Kulturquartier "Silent Green" das Thema auf dem Display eher künstlerisch ausgelegter Arbeiten aufgerissen hatte, folgt jetzt also eine Art Musterschau dessen, was in dieser Richtung bereits am Markt wäre. Wo einem das Ethische mit beträchtlicher Apodiktik einfach vorgesetzt wird, darf hoffentlich wenigstens über das Ästhetische diskutiert werden. Und siehe: Freundliches Mitdenken tierischer Nöte und Bedürfnisse muss Bauten für den Menschen nicht unansehnlicher machen, ganz im Gegenteil: Wie, nur mal ein Beispiel von vielen, der "Aqua Tower" von Studio Gang in Chicago beweist, ist es nicht nur für Vögel von Vorteil, wenn die Glasfassaden so abwechslungsreich gestaltet werden, dass sie nicht gegen die spiegelnden Scheiben knallen, denn dadurch sterben jedes Jahr Milliarden von ihnen, sondern - mal ganz anthropozentrisch gesprochen - auch für die Gebäudeansicht von der Straße.

Dass Städte oft verbaumarktet aussehen, liegt ja nicht nur am schlechten Geschmack

Dass Wärmedämmplatten aus Kunststoff vor unseren Häuserwänden gern von Vögeln aufgehackt und bewohnt werden, weiß man; und dass man dafür auch ökologischere Materialien als den hässlichen und feuergefährlichen fossilen Sondermüll der Zukunft verwenden könnte, ist tröstlich zu sehen. Noch interessanter wäre natürlich, was die Bürokraten in den Bauverwaltungen und Immobilienkreditbewilligungsabteilungen der Banken für diese neuen Formen der einladenden Durchlässigkeit sagen. Denn bisher ist das ganze System ja eher ganz und gar auf das Gegenteil ausgerichtet. Dass speziell bundesdeutsche Dörfer und Städte oft so klinisch und kalt, so versiegelt und verbaumarktet aussehen, hat ja Gründe, die nicht nur am schlechten Geschmack der Bauherren liegen.

Wände, in denen am Ende ohnehin Tiere nisten, müssen nicht aus Plastikdämmstoff sein, es geht auch von vornherein naturnäher. (Foto: Harry Schnitger)

In dem Zusammenhang wirkt es fast wie ein Déjà-vu, wenn hier ein Stück Hausdach ausgestellt wird, das eine Sumpflandschaft trägt. (Sümpfe binden besonders viel CO₂). Denn Dächer, die Sumpflandschaften glichen und aus denen oft kleine Wäldchen wuchsen, gab es nach dem Ende der DDR in Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg noch reichlich und von ganz alleine. Seitdem ging es nur jahrzehntelang eher darum, die wildwüchsige Allmende der weitgehend frei begehbaren Dachflächen zu privatisieren und "auszubauen", um diese thermischen Pufferzonen aus im Sommer stickigen und im Winter eisigen Räumen zu bizarren Preisen mit der Exklusivitätsaura von Penthouses zu verhökern. Aber vielleicht, wer weiß, macht so ein Privatsumpf über dem Kopf das Bewohnen von Dachkammern am Ende sogar noch wertiger.

Das wird mit anderen Worten noch interessant, wie sich hier politische, ökologische, immobilienwirtschaftliche und baurechtliche Interessen zu einer "Cohabitation" ganz eigener WG-Dynamik finden müssen. Atemberaubende dialektische Volten hat die Geschichte schon geliefert, als sich die egalitären Bestrebungen von Planern, Architekten und Sozialingenieuren noch ganz auf den Menschen konzentrierten. Aus Fouriers Utopie der "Phalanstères", konzipiert als Arbeiterpaläste der freien Liebe, wurde am Ende nur ein "Familistère", also praktisch das Gegenteil. Die egalitär gesinnten Wohnkomplexe des sozialistischen Massenwohnungsbaus fanden sich irgendwann mit dem Stigma wieder, als typische Räume rechter Gewalt zu gelten.

Behausungen für Vögel und Fledermäuse, können in Fassaden integriert werden, wirken aber durchaus selbst wie einst die Bungalows der Betonmoderne (Foto: Harry Schnitger/Schau Fenster Berlin)

Man darf entsprechend gespannt sein, wie schon bald über die heutigen Versuche geurteilt wird, Gehölze als nachwachsenden Rohstoff für das Bauen einzusetzen oder zumindest als symbolisches Material für eine neue ökologische Sensibilität. Denn auch Pflanzen diskutiert man ja längst als schmerzempfindliche, kommunikative Lebewesen. Die Logik dieser Debatten müsste eigentlich irgendwann auch deren Nutzung für die bauwirtschaftlichen Interessen des Menschen als eine Art Versklavung infrage stellen.

Und dann? Es wird schnell ganz schön anorganisch, wenn man auf dieser Linie weiterdenkt - aber dann auch wieder überraschend stilvoll. Denn keine Ahnung, wie Vögel und Fledermäuse die Sache sehen, aber die vielen Behausungen für sie, die in dieser Berliner Ausstellung an der Wand hängen, erinnern jedenfalls das menschliche Auge erstaunlich oft an den rauen Minimalismus von Eigenheimen oder Museumsbauten aus klassischem, energieintensivem, aber halt immer auch sehr schönem Midcentury-style-Sichtbeton.

Architectures of Cohabitation, eine Ausstellung im Schau Fenster, Raum für Kunst, Lobeckstraße 30-35 Berlin, bis 5. Juni 2022.

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