Ausstellung "Blow-Up" in der Wiener Albertina:Schau doch!

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Auch das kann ein "Blow-up" sein: Hitzebedingt zerstörter Straßenbelag auf der A 93 bei Abensberg (Niederbayern). (Foto: dpa)

Was hatte Modefotografie mit Sozialreportagen zu tun? In der Ausstellung "Blow-Up" in der Wiener Albertina dient der gleichnamige Kultfilm Michelangelo Antonionis dazu, den Sichtachsen zwischen Fotografie und Film, zwischen Mode und Kunst, zwischen Ort und Mord nachzuspüren.

Von Gerhard Matzig

"Blow-Up": Das ist vieles - man kann den Begriff förmlich aufblasen. Bis zur Deutlichkeit, könnte man denken. Aber es ist dann letztlich doch nur: die Mehrdeutigkeit. Erstens also benutzen Ingenieure diesen Begriff, um ein oft tödliches Phänomen zu beschreiben: Gleise, die sich verbiegen, oder Autobahnbeläge. Wann, wo und unter welchen Bedingungen sich Blow-Ups ereignen: Das ist bislang auch den Experten zuweilen rätselhaft.

Zweitens werden aufblasbare Möbel, Hüpfburgen, Standballons oder Sky-Dancer als Blow-Ups verkauft, wobei die Himmelstänzer an Autobahnen und vor Firmenfilialen als Eyecatcher dienen. Eigentlich weiß man nie genau, was einem diese tanzenden, von einem Gebläse flatternd getriebenen und doch immobil fixierten Ballonmännchen sagen wollen.

Außer: Schein, Sein - komplizierte Angelegenheit. Beziehungsweise: schau doch!

David Hemmings in "Blow-Up" (Regie: Michelangelo Antonioni), 1966 (Foto: Neue Visionen Filmverleih GmbH/Turner Entertainment Co. - A Warner Bros. Entertainment Company)

Was drittens auch für den Film "Blow-Up" selbst gilt, für das Meisterwerk von Michelangelo Antonioni aus dem Jahr 1966. Unter den Blow-Ups unserer Zeit, vom detonierenden Asphalt bis zum Sky-Dancer an der Autobahn, ist der Film eine Art Urknall. Und somit ein großes Rätsel, ein schönes Geheimnis. Denn die Frage, die im Film gestellt wird, untermalt von der melancholischen Musik Herbie Hancocks und eingefangen von der Kamera Carlo di Palmas, die Frage, was man denn sieht, wenn man etwas sieht - sei es in Form eines Films, in Form eines Fotos oder in Form eines Blicks - diese Frage erweist sich als unbeantwortbar.

Das alte, wundersame Spiel "Ich sehe was, was du nicht siehst" ist am Ende aller Tage immer auch ein: Ich sehe was, was auch ich nicht sehe.

In Wien, in der Albertina, ist derzeit die Ausstellung "Blow-Up" zu sehen. Der gleichnamige Film von Antonioni, die Story eines Modefotografen, gespielt von David Hemmings, der heimlich ein Liebespaar (er: unwichtig; sie: Vanessa Redgrave) im Park fotografiert und dann glaubt, irrig glaubt, mithilfe der Bilder einen zufällig gleichzeitig aufgenommenen Mord aufdecken zu können, dieser Film dient in der kleinen, aber anregend kuratierten Schau dazu, den Sichtachsen zwischen Fotografie und Film, zwischen Mode und Kunst, zwischen Ort und Mord nachzuspüren.

David Hemmings in "Blow-Up", 1966 (Foto: Arthur Evans, Privatsammlung Wien, Courtesy: Neue Visionen Filmverleih GmbH)

Wobei der eigene Standpunkt sowohl im Film als auch in der Ausstellung in einer fragilen Balance, ja im Ungefähren, Geduckten gehalten wird. Wie der Fotograf im Film drückt man sich etwas herum, scheint es.

Und doch erschließen sich die unterschiedlichen Bedeutungsebenen des Films, seine vielen Codes und Chiffren, von hier aus, im Hintergrund, im Dunkel, also mithilfe der Ausstellung, auf präzise, ja erhellende Weise.

Schon am Eingang der Schau, der eigentlich ein Abgang ist - denn die durchaus übersichtliche Ausstellung ist im Untergeschoss der Albertina untergebracht -, begegnet man einem überlebensgroß und schwarz-weiß illuminierten Antonioni, wie er kühlen Auges durch die Kamera späht.

Davor steht eine Besucherin, die Antonioni, das Objekt, fotografiert, wie er, jetzt: das Subjekt, gerade jemanden filmt. Und weil man schon mal da ist, zückt man sein iPhone und fragt höflich an, ob man die Besucherin dabei filmen darf, wie sie gerade Antonioni fotografiert, der jemanden filmt - wobei es schön und gar nicht überraschend wäre, wenn dieser jemand ein Fotograf wäre, der gerade . . . tja, einen Mord entdeckt.

Was du nicht siehst. Das Sehen und Gesehenwerden, das Nichtgesehenwerden und Nichtsehen: Das ist ein großes Wunder. Am Ende auch große Kunst. Und Blow-Up ist der Film zum Wunder.

Von hier aus, vom überlebensgroßen Antonioni, geht es mit der Rolltreppe hinab zu den eigentlichen Ausstellungsräumen, die sich durch eine dezent beschwingte, mäandernde Mauer ergeben.

Während man hinabfährt ins Dunkel, kommt einem sozusagen der Schriftzug der Ausstellung, "Blow-Up", wie im Zoom näher. Er wird heller. Als würde man draufhalten mit der Kamera, als wollte man der Sache näherkommen. Aber wirklich. So richtig: nahe. Die Sache scharfkriegen, festhalten, durchdringen. Close-Up. Hübsches Spiel.

Fünf Stationen bietet die Schau, deren formal verbindendes Element durch die kluge, pointiert gesetzte Abfolge von Bildern einerseits, also: Fotos im Kontext, aber auch, wichtig, Film-Stills, und andererseits von Filmausschnitten definiert wird. "Voyeurismus" ist ein Thema, "Modefotografie" ein anderes, dann "Sozialreportage", "Swinging London" und eben "Blow-Up".

Models in "Blow-Up", 1966 (Foto: Visionen Filmverleih GmbH/Turner Entertainment Co. - A Warner Bros Entertainment Company)

Die ganz große Klammer aber heißt: Kontext. Dinge, die sich daraus lösen, lösen sich auf. Das Ganze ist die Wahrheit, das Detail aber, um das sich am Anfang alles dreht, bedeutet am Ende gar nichts.

Falls sich jemand fragt, was denn die Modefotografie mit der Sozialreportage zu tun haben könnte: Es war in jener Ära die Sozialreportage und ihre Antiglam-Bildtechnik, wovon sich die bekanntesten Modefotografen der Zeit, David Bailey, Brian Duffy und Terence Donovan, inspirieren ließen.

David Bailey bei Aufnahmen mit dem Top-Model Moyra Swan. (Foto: Terry O´Neill - Courtesy Philippe Garner)

Die drei aber, "Black Trinity" genannt, gaben dem Blow-Up-Fotografen den biografisch glaubwürdigen Rahmen, was Haltung, Stil und Technik anging. Glamour und Elend waren gute Nachbarn auf den Bildern. Die Fotografie war unterwegs auch als Wildererin zwischen den Terrains. Daraus bezog sie ihre Energie und Relevanz.

Man würde den entsprechenden Aufsatz im vorzüglichen Katalog zur Ausstellung (Hatje Cantz Verlag) gerne Leuten zur Verfügung stellen, die Modells so fotografieren, dass sie wie Modells aussehen, weshalb man schon beim Gedanken daran einer heidiklumhaften Gähnattacke erliegt. Und die Sozialreporter von heute würde man gern an Weegee erinnern.

Beides, weder Weegee noch Heidi, hat das Geringste mit der Ausstellung zu tun, es ist aber ihr Wesen, dass man ständig zum Wildern, Abschweifen, Übertreten, Zurückbleiben animiert wird. Deshalb gelingt sie ja so großartig - selbst dort, wo sie, in der Abteilung "Swinging London" etwa, deutlich unter den Möglichkeiten des Swing zurückbleibt - und vielleicht eher an Wipping Wuppertal erinnert.

Richard Hamilton "Swingeing London III", 1972, Kunstmuseum Winterthur. (Foto: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Zürich, Jean-Pierre Kuhn)

An einer Szene kommt man natürlich nicht vorbei: Vera Gottliebe Anna Gräfin von Lehndorff, die sich als Tochter eines der Verschwörerhelden vom 20. Juli später Veruschka nennen sollte und lange vor Heidiclaudiadings das erste wirkliche deutsche Supermodell war, lässt sich von Antonionis Fotografen ablichten. Sie flirtet, wie es immer so seltsam richtig heißt, mit der Kamera. Aber Antonioni nimmt den Flirt ernst. Veruschka geht zu Boden. Sie windet sich, räkelt sich, bäumt sich auf, bietet sich dar. "Yes! Yes! Yes!", schreit der Fotograf, der sich über sie beugt, ihr immer näher kommt, "that's right!", der die Kamera näher und näher schiebt, "Yes! Yes! Yes!", und dann, "Baby!" . . . click. Cumshot, könnte man sagen.

David Hemmings und Veruschka von Lehndorff in "Blow-Up". (Foto: Neue Visionen Filmverleih GmbH/Turner Entertainment Co. - A Warner Bros Entertainment Company)

Der Blow-Up-Fotograf steht auf, setzt sich auf's Sofa, es ist, als ginge ihm die Luft aus, er sinkt erschöpft in sich zusammen. Blow-Down. Und Veruschka? Blickt nach dem Akt der Fotokunst leer in die Kamera, berührend, und man weiß wieder einmal nicht genau, was man sieht, wenn man sieht.

Kommt man einer Sache richtig nahe, will alles wissen, alles sehen, alles zeigen, Blow-Up, steht am Ende ein Pixel. Ein großes Pixel. Ein Nichts. Das ist eigentlich sehr schön traurig.

Blow-Up - Antonionis Filmklassiker und die Fotografie . Albertina, Wien. Bis 24. August. Danach ist die Ausstellung in Winterthur und Berlin zu sehen.

© SZ vom 11.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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