Es ist keine wirkliche Premiere, was die Regie betrifft. Michael Sturminger hat Giacomo Puccinis "Tosca" bereits zur Eröffnung der Salzburger Osterfestspiele im März 2018 inszeniert. Für die Wiederaufnahme bei den Sommerfestspielen 2021 hat er ein paar Szenen leicht umgestaltet, aber die größte Veränderung, und das macht die Aufführung dann doch zu einer Premiere, ist die Besetzung der Hauptrolle mit Anna Netrebko. Selbstbewusst, im weißen Mantel, und, das merkt man bald, von Eifersucht zerfressen. Manchmal an diesem Abend denkt man, die große Rolle der Tosca ist noch zu klein für die Netrebko. Sie singt die Tosca nicht nur mit Bravour, sondern verkörpert auch den Charakter der Figur so überzeugend, dass man sich keine stimmigere Besetzung vorstellen kann. Wo Anja Harteros in der Besetzung von 2018 noch ein wenig zögerlich wirkte, geht Netrebko aufs Ganze. Ihre nach wie vor makellose Stimmführung - der Gesang liegt federleicht auf dem Atem - lässt auch die schwierigsten Stellen und Spitzentöne völlig unangestrengt, natürlich wirken.
Die Flexibilität der Stimme ist enorm, und nie erzwungen, von einem Moment auf den anderen springt sie von höchster Höhe - die ansatzlos wie aus dem Nichts kommen kann - in eine samtig herbe Tiefe. Und landet, anders als für das Ende der Oper vorgesehen, wohlbehalten. Die Bühnenpräsenz Netrebkos ist enorm, dabei spielt sie die übrigen Protagonisten nicht an die Wand. Und stimmlich? Erlebt man sie nie am Rande ihrer Möglichkeiten, sodass man glauben muss, es gebe keine Grenzen. Auch dies ist ein Teil der Faszination Netrebkos. Stimme und Darstellung - makellos und doch menschlich nah.
Die "Tosca" wurde viel zu oft als musikalisches Schmierentheater geboten - hier nicht
Yusif Eyvazov, der Ehegatte von Netrebko, im Leben wie hier auf der Bühne, zeigte als Cavaradossi vor allem in den perfekten hohen Lagen seine Stärke, in den mittleren neigt er zu unschön breit gezogenen Vokalen, generell einem etwas quäkigen Gesang. Im Gegensatz zu dem schon 2018 mit seinem großräumigen Bariton brillierenden Scarpia des Ludovic Tézier. Und das Orchester, das immerhin auch bei den Bravourarien "E lucevan le stelle" oder "Vissi d'arte" eine tragende Rolle spielt? Damals peitschte Christian Thielemann die etwas träge Sächsische Staatskapelle zu aufbrausenden Höhepunkten, diesmal führte der italienische Dirigent Marco Armiliato, erfahrener Sängerbegleiter, die Wiener Philharmoniker effektsicher durch die Partitur. Er legte mehr Wert auf Stimmungen, Befindlichkeiten, Seelenzustände, wie sie Puccini traumwandlerisch zutreffend komponiert hat. Hin und wieder muss natürlich der große Klangsturm durch den Saal fegen, das kann er auch, aber es ist nicht mehr das Hauptmerkmal dieser Oper. Das ist angenehm, denn die "Tosca" wurde viel zu oft als musikalisches Schmierentheater geboten, mit aufgerissenen Augen an der Rampe und Orchestergepolter im Graben.
Das ist hier an keiner Stelle der Fall. Geblieben ist die etwas alibihafte Rahmenhandlung, beginnend mit einer Schießerei in der Tiefgarage, endend mit einer Schießerei auf dem Hoteldach. Sturminger will es den konservativen Opernbesuchern recht machen, die den Kirchenraum von Sant'Andrea della Valle sehen wollen und den originalen Palazzo Farnese und nicht irgendwelche bedeutungsvollen Raumbilder, also macht er es kurz mit der Tiefgarage und lässt sogleich den Kirchenraum aus dem Schnürboden herunterfahren.
Ein Fall von "Me Too": Wie Tosca von Scarpia sexuell bedrängt wird, geht einem nahe
Man müsste sich gar nicht verbiegen als Regisseur, "Me Too" ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts, Mozarts Da Ponte-Opern handeln davon in ihrer psychologisch durchtriebenen Verzweiflungskomik ebenso wie viele Opern danach. Sturminger hat das angemessen inszeniert, Scarpia zwingt Tosca auf den Schreibtisch und auf den Boden und wird im letzten Moment durch ein Pochen an der Tür oder Rufen von außen abgehalten, das Äußerste zu wagen. Das geht einem durchaus nahe, denn man sieht in diesem Moment trotz der enormen schauspielerischen Leistung nicht Tosca, sondern die Netrebko in Bedrängnis.
An der Schlussszenerie hat Sturminger noch mal gebastelt: Man sieht weiterhin den Schlafsaal der Internatsschüler, von denen ein paar als Erschießungskommando ausgewählt werden. In der Erstfassung schossen sie wie vereinbart brav daneben, nur einer traf zufällig Cavaradossi tödlich. Ein guter Schluss, der die Absurdität dieser Erschießung augenscheinlich machte. Nun aber schießen noch zwei Erwachsene mit, und treffen den Maler. Auch die herbeieilende Tosca hüpft nicht vom Dach, sondern wird ebenfalls erschossen - beim letzten Mal noch im Zweikampf mit Scarpia, als sich beide gleichzeitig erschießen, diesmal von dessen Schergen. Scarpia ist längst tot, von Tosca originalgetreu während eines erneuten sexuellen Ansturms erstochen.
Tosca ist mutiger geworden. Natürlich braucht man auch gehörigen Mut, vom Dach in den Tod zu springen. Aber den Mördern des Ehegatten entgegenzulaufen und ihnen die Stirn zu bieten, das zeigt Kämpferwillen. Sie ergibt sich nicht mehr ihrem Schicksal - das könnte man 2021 vielleicht wirklich nicht mehr so zeigen -, sondern begehrt auf. In der nächsten Fassung wird sie sicherlich einige der bösen Männer töten.