Salzburger Festspiele:Hexensabbat der Musik

Lesezeit: 3 min

Romantische Exegese: der englische Dirigent John Eliot Gardiner mit der Camerata Salzburg und dem Monteverdi Choir im Haus für Mozart in Salzburg. (Foto: Marco Borrelli)

Der Dirigent John Eliot Gardiner begibt sich in Salzburg mit Orchester, Chor und Schauspielern auf einen romantischen Grenzgang. Auf dem Programm: Felix Mendelssohns "Sommernachtstraum" und Robert Schumanns "Manfred".

Von Michael Stallknecht

Als Max Reinhardt, der Mitbegründer der Salzburger Festspiele, im Jahr 1935 den "Sommernachtstraum" verfilmte, da ließ er für den Soundtrack selbstverständlich die Musik von Felix Mendelssohn bearbeiten. Seit ihrer Komposition einhundert Jahre zuvor war die Musik mit dem berühmten Hochzeitsmarsch untrennbar mit Shakespeares Schauspiel verschmolzen, sozusagen selbst zu einem seiner Bestandteile geworden. Inzwischen hat sie ihren Platz in Schauspielaufführungen verloren, weil dort kaum noch ganze Orchester zur Verfügung stehen und ihre formalen Vorgaben von Gegenwartsregisseuren wohl nur als Hindernis auf dem Weg zur Selbstverwirklichung empfunden würden. Ebenso wenig heimisch ist sie - bis auf die Ouvertüre - in den Konzertsälen geworden, weil sie als bloße Nummernfolge ohne den Kontext keinen Sinn ergibt.

Im Salzburger Haus für Mozart übernehmen die Schauspieler Mavie Hörbiger, Regina Fritsch und Roland Koch vom Wiener Burgtheater nun immerhin die zugehörigen Ausschnitte aus Shakespeares Werk. Spannend wird die Begegnung gerade in den Melodramen, dieser besonders von der Romantik kultivierten Mischform aus gesprochenem Text und Musik. Gleich zwei Abende bei den Festspielen hat der Dirigent John Eliot Gardiner solchen Grenzgängen zwischen dem Performativen und dem Konzertanten in Werken von Mendelssohn und Robert Schumann gewidmet. Schließlich strebte die Romantik nach einer Verschmelzung und Synthese mehrerer Künste, die sich bei beiden (auch literarisch hochgebildeten) Komponisten nicht zentral in der Oper als traditionellem Gesamtkunstwerk niederschlug, sondern in der Suche nach gänzlich neuen Formen.

Robert Schumann machte aus "Manfred" von Lord Byron ein "dramatisches Gedicht mit Musik"

"Das Ganze müsste man dem Publikum nicht als Oper oder Singspiel oder Melodram, sondern als 'dramatisches Gedicht mit Musik' ankündigen", schrieb Schumann über seine musikalische Umsetzung von "Manfred", dem epochenprägenden dreiaktigen Lesedrama von Lord Byron. "Es wäre etwas ganz Neues und Unerhörtes." Die Zeilen gingen an den Komponistenkollegen Franz Liszt, der das Werk 1852 am Weimarer Hoftheater zur szenischen Uraufführung brachte. Inzwischen kann man auch hier froh sein, im Konzertsaal immerhin gelegentlich die Ouvertüre zu hören, während die ausgiebigen Sprechszenen und die vollständige Musik vor allem Experten bekannt sind.

Der Schauspieler Jens Harzer als Sprecher in Robert Schumanns "Manfred" nach Lord Byron.. (Foto: Marco Borrelli)

In Salzburg erweist sich der Schauspieler Jens Harzer als Idealbesetzung für die zerrissene, nervöse, exaltierte Titelfigur, die um spirituelle Erlösung ringt und sie gleichzeitig nicht annehmen kann. Dass die Texte der anderen Figuren weitgehend rausgekürzt sind oder Harzer sie im Dialog mit sich selbst übernimmt, lässt den Handlungsbogen allerdings nicht unbedingt verständlicher werden. Unter den vergleichsweise guten finanziellen Festspielbedingungen hätte Gardiner hier durchaus mehr Mut besitzen können, das Werk durch Einbindung weiterer Schauspieler mal wirklich vollständig zu realisieren.

Dem englischen Dirigenten geht es am Ende wohl doch vor allem um die Musik, deren inhärente theatrale Kraft er aus der Perspektive einer historisch informierten Aufführungspraxis hörbar macht. Dass die Streicher der Camerata Salzburg an beiden Abenden fast durchgängig ohne Vibrato spielen, sorgt für einen feinnervigen, gleichzeitig energetisch aufgeladenen Klang. Dazu hat Gardiner den von ihm gegründeten Monteverdi Choir mitgebracht, nachdem inzwischen auch ganze Ensembles aus Großbritannien glücklicherweise wieder einreisen dürfen.

In Mendelssohns Chorkantate "Die erste Walpurgisnacht" überlisten Heiden die Christen, um feiern zu können

Die fabelhafte Artikulation des Chors sorgt für hohe Textverständlichkeit, sein schlanker, agiler Klang vertreibt alle spießbürgerliche Behäbigkeit, die sich bei Chormusik des 19. Jahrhunderts oft einstellt. Er verleiht dem "Requiem für Mignon" die schwebende Trauer eines außerirdischen Geistergesangs, mit dem Schumann hier die Begräbnisszene aus Goethes Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre" vertonte. Nicht umsonst liegen auch unbekanntere Werke dieses Komponisten Gardiner von jeher besonders am Herzen, findet die gebrochene Fraktur von dessen Musik doch ihren idealen Widerpart im feinsinnigen Formgefühl des Dirigenten. Bei Gardiner hat jede Phrase ein Ziel, auch in kleinteiligen Strukturen sorgt er für übergreifende Temporelationen und genaue Übergänge.

Die - durchweg hervorragenden - Solisten treten aus dem Monteverdi Choir hervor, statt von außen dazuzukommen. Das entspricht dem Geist der Chorkultur des 19. Jahrhunderts, in der sich der Bürger neu als singendes Kollektiv entdeckte. So schildert Felix Mendelssohn in seiner Chorkantate "Die erste Walpurgisnacht", wie die letzten verbliebenen Heiden zu Zeiten Karls des Großen die Christen überlisten, um die alten, inzwischen verbotenen germanischen Götter feiern zu können. Dass das Christentum hier als Unterdrückerreligion erscheint, macht die Pikanterie des - ebenfalls von Goethe stammenden - Textes aus: Die Heiden verkleiden sich als Hexen und Teufel, um die abergläubischen Christen zu erschrecken, was sich ebenfalls mühelos szenisch umsetzen ließe.

Gardiner sorgt mit großem Zug für einen spannungsreichen Bogen, der auf jeden Fall die theatrale Imagination mächtig anregt. Im trocken pointierten Forte peitscht er die Klänge auf, mit denen der Monteverdi Choir und die Camerata Salzburg einen wahren Hexensabbat entfachen. So lösen beide Abende mit ihrer beziehungsvollen Kombination aus seltenen Werken den Anspruch ein, den Festspiele haben sollten: ein Ort des Besonderen, im durchschnittlichen Konzertbetrieb so nicht Möglichen zu werden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Salzburger Festspiele
:Brillant bis in den Tod

Perfekte Neubesetzung: Anna Netrebko singt und spielt in Salzburg die Tosca - makellos und mutig.

Von Helmut Mauró

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: