Nachruf:"Nein" zum Regime

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Die Schriftstellerin Almudena Grandes im September 2017 in Madrid. (Foto: imago stock/imago/ZUMA Press)

Die Schriftstellerin Almudena Grandes störte in ihrer Heimat Spanien die Vergangenheit auf. Nun ist sie gestorben.

Von Karin Janker, Madrid

Sie habe in ihrem Leben schon etliche komplizierte Texte verfassen müssen, schrieb Almudena Grandes vor sieben Wochen in ihrer Kolumne für El País. "Aber keinen wie diesen." In jenem Text schrieb die spanische Schriftstellerin zum ersten Mal über ihre Krebsdiagnose. Ein Jahr lang kämpfte sie da schon gegen den Krebs, "eine Krankheit wie jede andere, (...) kein Fluch, keine Schande, keine Strafe". Almudena Grandes neigte weder zum Aberglauben noch zum Selbstmitleid.

Bereits als Kind, sagte sie einmal, habe sie die tröstende Kraft der Literatur entdeckt. Nie habe sie im Krippenspiel einen Engel spielen dürfen, sondern meist einen Baum, weil sie "sehr groß, dick und behaart" gewesen sei. Andere Kinder wären darüber vielleicht traurig gewesen, sagte sie, aber sie sei nach Hause gegangen zu ihren Büchern und habe dort ihre Superkraft entdeckt.

Als Schriftstellerin - ihr Debüt "Lulú. Die Geschichte einer Frau" erschien in Spanien 1989 - nutzte sie diese Superkraft. Ihre Gesellschaftsromane spiegeln die Zeitläufte in den Schicksalen der einfachen Menschen. In Spanien sind ihre Bücher Publikumslieblinge. Und das, obwohl Grandes überzeugt war, Dinge auszusprechen, die niemand hören will.

Sie war eine politische Schriftstellerin, aber sie verstand die Literatur nicht als Sprachrohr für ihre Überzeugungen

Immer wieder störte sie in ihren Romanen die spanische Vergangenheit auf, eine Vergangenheit, die eigentlich dazu verdammt ist, vergessen zu werden. So wollten es die Väter der heutigen Demokratie: Nach Francos Tod bettete sich eine Decke des Schweigens über die Verbrechen des Regimes, um des lieben Friedens willen. Grandes arbeitete gegen das Schweigen an.

Sie war eine politische Schriftstellerin, aber sie verstand die Literatur nicht als Sprachrohr für ihre feministischen Überzeugungen oder ihre Sympathie für Spaniens Kommunisten. Vielmehr war es andersherum: Die Literatur hatte sie gelehrt, die Marginalisierten zu sehen. Ihr wichtigstes Vorbild war Spaniens großer Realist Benito Pérez Galdós. Bei ihm, so beschrieb es Grandes in einer Rede vor der Königlich Spanischen Akademie, tritt die Königin Isabel II nur als das Knistern ihres Seidenrocks auf dem Flur des Schlosses auf. Wie bei Galdós sind auch bei Grandes die Protagonisten nicht die Mächtigen, sondern diejenigen, die diese Macht zu spüren bekommen.

Galdós war es auch, ihr letztes Großwerk inspirierte: Seit mehr als zehn Jahren schrieb sie an den "Episoden eines endlosen Krieges", einem Zyklus über den Widerstand gegen den Franquismus. Fünf Bände sind bereits erschienen, in den Monaten der Krebsbehandlung arbeitete sie am letzten. Sie schreibe bewusst aus der Perspektive derer, die "Nein" zum Regime sagten, sagte Grandes, weil diese Perspektive dem heutigen Spanien fehle. Je mehr sie über diese Epoche gelesen habe, desto stärker habe sie gemerkt, dass sie zu wenig darüber wusste. "Und dann wollte ich vor allem wissen, warum ich dachte, alles zu wissen, obwohl ich nichts wusste."

Jemand, der Bücher liest, Filme schaut oder ins Konzert geht, lebe mehr, sagte Grandes einmal. Kein Mehr an Jahren, sondern ein Mehr an Erfahrungen. Ihr eigenes Leben war ein unendliches Mehr. In ihrer Kolumne schrieb sie: "Ich möchte mich im Voraus für mein Schweigen und meine künftige Abwesenheit entschuldigen." Es wird schwer sein, sie ihr zu verzeihen. An diesem Samstag ist Almudena Grandes im Alter von 61 Jahren in Madrid gestorben.

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