"Ich mache kein Kino mehr", hat die französische Schauspielerin Adèle Haenel ("Porträt einer jungen Frau in Flammen") in einem Interview mit dem Wiener Magazin FAQ gesagt. Haenel gastiert gerade mit einem Theaterstück, in dem sie die Hauptrolle spielt, bei den Wiener Festwochen. Sie habe das gerade beschlossen, "aus politischen Gründen", denn die Filmindustrie sei "absolut reaktionär, rassistisch und patriarchalisch". Bliebe sie, sagt sie, "würde ich zu einer Art feministischer Garantie für diese männliche und patriarchalische Industrie." Die Härte ihrer Entscheidung mag überraschen, Haenel ist ein Star in Frankreich. Aber dass es gerade sie ist, die hier so wütend aussteigt, ist nicht ganz so verwunderlich.
Die 33-Jährige war eine der führenden Figuren der französischen "Me Too"-Bewegung, die an der Filmindustrie lange einigermaßen folgenlos vorbeigegangen war. Ende 2019 warf sie dem Regisseur Christophe Ruggia vor, sie als Kind über drei Jahre hinweg sexuell belästigt zu haben. Mit zwölf hatte sie die Hauptrolle in seinem Film "Kleine Teufel" gespielt. Ruggia bestreitet die Vorwürfe, aber viele Zeugen stützen sie.
Bei der "César"-Verleihung stand sie auf, protestierte laut und ging
Dann kam die Verleihung der französischen Filmpreise, der "Césars" Anfang 2020. Adèle Haenel war für ihre Hauptrolle in Céline Sciammas "Porträt einer jungen Frau in Flammen" nominiert. Und Roman Polanski, verurteilt für Sex mit einer Minderjährigen und mehrfach der Vergewaltigung beschuldigt, gewann, in Abwesenheit, den Preis für die beste Regie ("Intrige"). Haenel stand auf, ging und rief "Das ist eine Schande!". Ihr Abgang machte Furore, nicht nur in Frankreich. Und er blieb nicht ohne Folgen: Der Produzent des Films, an dem Roman Polanski gerade arbeitet, hat sich nun darüber beschwert, dass er keinerlei Finanzierung aus Frankreich bekomme und befürchte, der Film könne dort vielleicht nicht einmal in die Kinos kommen.
Trotzdem: Adèle Haenel findet, so sagt sie im Gespräch mit FAQ, dass in ihrem Fall "wegzugehen zu kämpfen bedeutet. Indem ich diese Branche endgültig verlasse, möchte ich an einer anderen Welt, einem anderen Kino teilhaben." Die frustrierende Arbeit an einem Filmprojekt des Regisseurs Bruno Dumont habe sie zu ihrer Entscheidung gebracht. Das Drehbuch sei voller Witze über "Cancel Culture" und sexuelle Gewalt gewesen. Auf ihre Kritik daran sei Dumont nicht eingegangen. Die meisten Filme seien nicht aus Versehen rücksichtslos gegenüber Opfern, sagt Haenel: "Das ist Absicht."
Gänzlich verloren geht Adèle Haenel der Kunst allerdings nicht. Theater werde sie weiterhin spielen, sagt sie. Dort seien die finanziellen Einsätze nicht so hoch und die Machtstrukturen deshalb nicht ganz so festgemauert wie im Kino. Und vielleicht wird man sie doch sogar noch ab und zu auf der Leinwand sehen können: An Projekten von Frauen wie Céline Sciamma oder aktivistischen Regisseuren werde sie auch weiterhin teilnehmen.