Südostasien:Nirgendwo und überall

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Mehr als ein Jahr ist der Militärputsch in Myanmar nun her. 600 000 Menschen sind seither auf der Flucht. Einige Zehntausend von ihnen leben jetzt in Camps an der Grenze im thailändischen Mae Sot. (Foto: David Pfeifer)

Mal trifft er Terroristenjäger, mal Makaken-Experten oder eine Schönheitskönigin. Der Südostasien-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" erzählt, warum ihn keine Arbeit je so befriedigt und gleichzeitig so frustriert hat

Von David Pfeifer, Bangkok

Es ist schwierig, das Leben und Arbeiten eines Auslandskorrespondenten zu beschreiben, ohne wie ein schrecklicher Angeber, bezahlter Besserwisser oder Katastrophen-Tourist zu wirken. Im schlimmsten Fall all das zusammen. Tatsächlich ist es gleichzeitig der spannendste und ödeste Job, den ich in meinem bisherigen Leben gemacht habe, keine Arbeit hat mich je so befriedigt, keine so frustriert.

Beginnen wir mit dem Öden: Die Tage eines Korrespondenten in Asien beginnen früh, und sie sind lang. Wenn ich aufstehe, ist es in Deutschland noch zwei Uhr nachts, bei Redaktionsschluss ist es bei mir 23 Uhr. Um in meinem Gebiet auf dem Laufenden zu bleiben, studiere ich jeden Morgen die Online-Ausgaben der wichtigsten Tageszeitungen und Magazine. Dazu die Nachrichtenticker und meinen Twitter-Feed, der mir sagt, ob ein Hurrikan auf die Philippinen zurast oder in Sri Lanka wieder demonstriert wird. Was mir wichtig erscheint, schicke ich als Angebotsmail an die Redaktion. Meistens gehe ich dann Mittagessen und warte aus der Frühkonferenz zu hören, ob ich aktuell etwas schreiben soll.

Die meiste Zeit sitze ich also an meinem schwarzen, schweren Firmen-Laptop, der besser dazu geeignet wäre, Kakerlaken zu erschlagen, als damit zu arbeiten: zu Hause, im Flugzeug oder auch mal auf dem Rücksitz eines Jeeps auf dem Weg in die philippinische Stadt Dumaguete. Aber ich muss aus der Ferne auf das Redaktionssystem zugreifen können. An diesem Bildschirm schreibe, lese, maile und recherchiere ich, halte Kontakt mit den Kollegen in München und manchmal auch mit Freunden. Doch wenn ich den Laptop zuklappe, ist da draußen nicht München, sondern meistens Bangkok.

Da arbeite ich, während die Nachbarn in der Gasse ihre Garküchen anwerfen

Dort lebe ich mit meiner Frau, nah am Fluss, dem Chao Phraya, in einem kleinen Shophouse, in einer thailändischen Nachbarschaft. So ein Shophouse besteht im Grunde aus drei übereinandergestapelten Zimmern, im Erdgeschoss ist häufig ein Laden untergebracht. Da arbeite ich, während die Nachbarn in der Gasse ihre Garküchen anwerfen oder Lampen flechten. Es gibt kein Fitnesscenter oder einen Pool, wie in den Luxushochhäusern, in die Ausländer normalerweise ziehen. Dafür schwimme ich manchmal im Pool eines benachbarten Hotels, nachdem ich einen Text abgegeben habe, sehe zu den beleuchteten Hochhäusern auf der anderen Flussseite rüber und bin glücklich.

Korrespondenten wissen selten, was sie nächste Woche machen werden, aber mir gefällt das. Manchmal, wenn ich den Laptop zuklappe, dann ist da Manila, Delhi oder Singapur und ich treffe Terroristenjäger, Makaken-Experten oder eine Schönheitskönigin. In Delhi geht es um fünf Uhr früh los, um rechtzeitig zur Abendandacht in Varanasi zu kommen, in Colombo bin ich bis nach Mitternacht auf einer Demonstration und sitze danach bei Stromausfall im Hotel, um über den Staatsbankrott zu berichten. Alles Beispiele aus diesem Jahr. Arbeitszeiten habe ich keine, planbare Freizeit eher selten. Dafür ist mir nie langweilig. Momentan versuche ich händeringend, ein Visum für Pakistan zu bekommen, wo ein großer Teil des Landes unter Wasser steht, Journalisten aber nicht gerne gesehen werden. Vielleicht, hoffentlich, geht es übermorgen los.

Dass es Journalistinnen schwer gemacht wird, gilt leider für viele Länder in dem sehr großen Gebiet, das ich seit zwei Jahren für die Süddeutsche Zeitung im Blick zu behalten versuche. Umso wichtiger ist es, mich trotzdem zu bemühen, einen Eindruck aus den Ländern zu bekommen, mit den Frauen und Männern zu sprechen, die dort leben. Also nerve ich weiter bei den Botschaften herum, fahre ein drittes und viertes Mal hin, schreibe Mails nach Islamabad, Dhaka und Jakarta. Das ist der wirklich frustrierende Teil meines Jobs.

Natürlich wundere ich mich auch mal über die Heimat. Wenn beispielsweise die Queen stirbt, deren Vermächtnis in Indien, Pakistan oder Sri Lanka durchaus kritisch zu bewerten ist. In Deutschland aber wurde ihr mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Klatschlust hinterhergetrauert, als wären der Papst und Elton John gleichzeitig gestorben. Während sich die Leserinnen und Leser weiterhin eher wenig für das interessieren, was in den ehemaligen Kronkolonien geschieht. Das muss ich sportlich nehmen, ist ja nicht persönlich gemeint.

Ich bin nun näher dran an Armut, Menschenhandel und irrer Korruption

Was man noch lernt: Zehn tote Bergsteiger in Garmisch sind in Deutschland eine größere Katastrophe als 1000 Tote bei Überschwemmungen in Bangladesch. Die Entfernung und Fremdheit stellen emotionalen Abstand her. Nur für mich nicht, weil ich bin nun näher dran an den 1000, auch an Armut, Menschenhandel, Militärherrschaft und irrer Korruption. Das Elend wird daheim aber verstanden und mitgefühlt, wenn man eine Geschichte dazu erzählen kann. Das wiederum macht den Job dann doch befriedigend. Vor einem Jahr war ich im Himalaya in einem Waisenhaus für Kinder, die aus Zwangsarbeit gerettet wurden. Diese Reportage hat dazu geführt, dass einige Leserinnen Geld gespendet haben. Die Leiterin des Hauses sendet mir immer wieder Mal Bilder, wenn sie einen neuen Teppich im Gemeinschaftsraum gelegt oder Geschirr gekauft haben, von diesen Spenden. Das macht mich glücklicher als der Pool.

Solche Geschichten zu finden, ist nicht schwierig, denn die meisten Frauen und Männer, die ich in dieser Weltregion kennengelernt habe, erzählen gerne. Auch wenn es traurige Geschichten sind. Es scheint ihnen ein sanfter Trost zu sein, dass sich jemand für ihr Schicksal interessiert. Zum Jahrestag der Machtübernahme durch die Junta in Myanmar habe ich Flüchtlinge im Grenzgebiet getroffen, unter anderem eine junge Frau, die zum ersten Mal erzählte, was sie erlebt hat. Wie ein demonstrierender Freund neben ihr von Polizisten in den Kopf geschossen wurde, wie ihr eine alte Frau Wasser aus dem Fenster reichte und ihr Mut zusprach. Bei der Erinnerung an diese Geste weinte die Frau los, und ich konnte nur zuhören. Nicht umarmen, nicht mitweinen und auch nicht so tun, als könne ich nachvollziehen, was sie erlebt hat. Denn ich reise ja nur herum, mit meinem Notizbuch. Sie hat es erlebt, es ist ihre Geschichte.

Im Frühjahr war ich in Delhi, Durchschnittstemperatur 45 Grad. Im Tuk-Tuk durch die Stadt zu fahren, fühlte sich an, als würde man durch einen Heißluftföhn atmen. Die Erfahrung diente einer Geschichte über die Hitzewelle in Südasien. Und sie hängt zusammen mit meiner geplanten Reise nach Pakistan, wenn ich endlich das Visum bekomme. Denn von dort werde ich über die Überschwemmungen des Rekordmonsuns berichten, der auf die Extremhitze folgte. Der Klimawandel ist zu einem meiner Hauptthemen geworden, er steckt in jedem zweiten Artikel, auch ohne dass ich darüber schreiben möchte. So verschiebt sich von Monat zu Monat mein Blick auf die Welt.

Die Menschen, die in ihr leben, finde ich trotzdem noch so spannend und liebenswert wie vor zwei Jahren. Ich habe ein paar Idioten getroffen, aber die gibt es zu Hause auch, nur verstellen sie sich da besser. Die guten und die klugen Frauen und Männer aber, die haben mich deutlich stärker beeindruckt. Weil es in einem schwierigen Umfeld so viel leichter wäre, zum Zyniker zu werden. Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy erklärte mir klug und geduldig in ihrer Küche in Delhi sitzend zweieinhalb Stunden lang, wieso sie an Indien leidet und es trotzdem liebt. So etwas ist natürlich ein Privileg. Als ich das Interview Wochen später aufschrieb, war ich mit dem Kopf in Delhi, per Bildschirm in der Redaktion in München und trotzdem daheim in Bangkok. So ein Moment hilft mir über den Ärger mit den Visa hinweg und über die riesigen Kakerlaken, die in meinem ansonsten sehr schönen kleinen Häuschen in Bangkok bequem durch den Spalt unter meiner Eingangstür laufen können. Aber für die hätte ich zur Not ja noch den Laptop.

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