Korrespondenten:Türwächter zwischen Lüge und Wahrheit

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Im Leben der Auslandskorrespondenten ist wenig Platz für wilde Abenteuerfantasien. Illustration: Dirk Schmidt (Foto: Dirk Schmidt)

Die SZ leistet sich ein dichtes Korrespondentennetz im In- und Ausland - und ihr Politikchef erklärt, warum dies gerade in Zeiten der Informationsüberflutung besonders wichtig ist.

Von Stefan Kornelius

Mit dem Journalismus ist es ein bisschen wie mit der Bibel: Am Anfang steht das Wort. Johannes kannte seine Pappenheimer, als er sein Evangelium aufschrieb und die Leser wissen ließ, dass ohne das Wort nichts, aber auch gar nichts Bestand hat: "Alles ist durch das Wort geworden." So verhält es sich - selbstverständlich ohne den theologischen Überbau - auch mit der Zeitung und all ihren gedruckten und digitalen Ablegern. Wenn es nichts zu senden oder zu drucken gibt, wenn das Wort aus der Flut des Gequakten und Gemeinten nicht herausragt, dann ist alles nichts wert.

Neuerdings wird im Journalismus das "Wort" mit dem Begriff "Content" ersetzt, was, ungeachtet des albernen Anglizismus, sich mit Inhalt nur notdürftig übersetzen lässt. An irgendwelchen Inhalten mangelt es im Zeitalter der Dauer- und Erregungskommunikation ja nicht. Der Unterschied entsteht durch die Einbettung des Wortes: in Kenntnis und Erfahrung, Neugier und Hunger, Abstand und Nähe - und zunehmend auch ein bisschen Gelassenheit.

Das sind in etwa die Eigenschaften, die man einem guten Reporter wünscht, einem Wortbeschaffer, der über den vermutlich schönsten Job verfügt, den es in einer Redaktion zu vergeben gibt. Reporter, ob im Inland oder in der weiten Welt, sind die Seismografen der Gesellschaft, die Zeitzeugen der Geschichte, die Schatten der Politik. Sie genießen das Kernprivileg des Journalismus: mit Worten das Leben abzubilden, zu schreiben, was ist.

Ganz so einfach ist das natürlich nicht, wie es sich in der Theorie hinschreibt, weshalb der klassische Reporterjob auch eine besonders anstrengende Aufgabe im Journalismus ist - ob er jetzt in Honduras oder in Haidhausen ausgeübt wird. Reporter verhalten sich antizyklisch zum Zeitgeist: Sie müssen offen sein, auf Menschen zugehen, Kontakte schaffen, Vertrauen aufbauen. Sie schauen nicht auf den Bildschirm ihres Smartphones, sondern trauen ihren eigenen Augen. Sie sehen, was andere nicht sehen und entdecken, was sicher nicht auf Twitter zu finden ist.

Journalismus ist, ein bisschen wissenschaftlich ausgedrückt, auch immer Quellenarbeit. Aber eben in Echtzeit, nicht mit dem sicheren Puffer von Jahren und Jahrzehnten. Und mit dem Ziel, dass am Ende stimmt, was in den Worten zu finden ist. Die Welt macht es nicht gerade einfach für Reporter, die sich einer Barrage von Desinformation, Lügen und Irreführungen ausgesetzt sehen. Selbst in Demokratien mit freier Presse ist es die schiere Fülle an wertlosen und bewusst gefälschten Informationen, die Reportern eine echte Last aufbürden.

Reporter sind die Seismografen der Gesellschaft, die Zeitzeugen der Geschichte

Am Ende müssen sie filtern, Übertreibungen in der Erregungsdemokratie erkennen, alle Seiten hören. Sie sind die Türwächter zwischen Lüge und Wahrheit, und sie entscheiden mit jedem ihrer Artikel auch über die Glaubwürdigkeit ihrer eigenen Profession. Die schiere Wucht der Delegitimation, gestreut durch Trolle, genährt durch den wachsenden Zorn von Extremisten, hat das Toleranzniveau dramatisch gesenkt.

Solange sich Journalisten nicht nur in ihrer eigenen Blase bewegen, merken sie sehr schnell, welches Misstrauen ihnen entgegenschlägt. Die Polarisierung der Gesellschaft wächst. Lokalreporter oder Inlandskorrespondentinnen berichten nicht selten von Feindseligkeiten und verbalen, ja sogar körperlichen Angriffen. Journalisten werden offenbar als Überbringer allzu vieler schlechter Nachrichten mit der bösen Welt gleichgesetzt. Viele Gesprächspartner finden sich nicht mehr wieder in den Berichten, auch weil sie ihre eigene Überforderung durch ein komplexes Thema mit ein paar simplen, oft populistischen Argumenten wegwischen.

Aber: Selbstgerechtigkeit steht dem Journalismus nicht an. Auch Medien machen immer wieder Fehler im Umgang mit der hochtourigen Informationswelt. Im schnellen Tempo der Berichterstattung wird zu wenig nach der Relevanz einer Meinung oder eines Vorgangs gefragt, was prompt den Vorwurf der Hysterisierung nach sich zieht. Die Talkshowisierung der Politik ignoriert die Komplexität von Problemen, und immer häufiger stören sich Leser an handwerklichen Schlampereien, vor allem der mangelnden Trennung zwischen Analyse und Kommentar.

Nirgendwo in einer Demokratie ging die Spaltung so weit wie in den USA, wo sich die Gesellschaft zwischen zwei Wahrheiten entscheiden musste. Eine ganze Präsidentschaft war gebaut auf der Lüge und der Irreführung. Der Journalismus hat dort teilweise seine Rolle als neutraler Wächter verloren, weil er in der Echokammer von Lügen und Verzerrungen oft selbst grotesk verzerrt wurde. Im Extremismus von Donald Trump gab es keine Zwischentöne mehr.

Auslandsreporter, Korrespondent in einem fernen Land - das gehört ein wenig zur Verklärungsmasse des Journalismus. Draußen, weitab der Zentrale, auf sich allein gestellt, Auge und Ohr der Leserinnen und Leser - das war die idealisierte Vorstellung der ersten Reportergeneration, die aufbrach, um von Kriegen und fernen Landen zu berichten. Winston Churchill verdiente sich sein Geld und seine Bekanntheit als Kriegsreporter im Sudan, in Südafrika und in Indien. Später war es das wilde Leben eines Ernest Hemingway, das Generationen von Fernsüchtigen in ein vermeintliches Abenteuer jagte. Allerdings überlebten die wenigsten zwei Flugzeugabstürze binnen 48 Stunden und erhielten einen Nobelpreis für ihre Arbeit. Die letzten Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts waren womöglich die goldenen Jahre des Auslandskorrespondententums, als die überbeschleunigte digitale Welt noch nicht den Takt für die Berichterstattung setzte und die Welt neu zu entdecken war.

Heute ist im Leben der Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten trotz aller Reize nur wenig Platz für wilde Abenteuerfantasien. Die Welt ist geschrumpft, die Informationsdichte über jeden noch so abgelegenen Winkel enorm, und im Zweifel hat die Zentrale durch die Zeitverschiebung einen Besserwisser-Vorteil. Als einer der Urväter der SZ-Korrespondentenriege, Rudolph Chimelli, 1967 in Jordanien den Beginn des Sechstagekriegs erlebte und über gute Kontakte das Ausmaß der arabischen Niederlage schnell erkannt hatte, ignorierte der diensthabende Redakteur die eiligst per Fernschreiber nach München übermittelte Sensationsmeldung von Israels Sieg - er fand dazu nichts in den Nachrichtenagenturen. Das war ein Fehler. Der Korrespondent erfuhr erst zehn Tage danach von der Fehleinschätzung, als die (damals selbstverständlich nur) gedruckte Zeitung per Post in Beirut eintraf und sein Artikel nicht auf der Titelseite stand.

Heute ist es unwahrscheinlich, dass ein Auslandskorrespondent exklusiv das Ausmaß eines Krieges erkennt - eher muss er oder sie sich um die eigene Sicherheit sorgen. Als Russland die Ukraine angriff und in der Berichterstattung der allemal gesteuerten russischen Medien die Benutzung des Wortes "Krieg" verboten wurde, verwendeten alle in Moskau vertretenen Redaktionen, auch die SZ, sehr viel Zeit zur Absicherung der Arbeit ihrer Korrespondentinnen. Rechtsexperten wurden konsultiert, Abmachungen untereinander getroffen, Sprachanweisungen in den Redaktionen kommuniziert. Keine Reporterehre ist so bockig, dass man mutwillig die Ausweisung riskiert oder gar einen Gefängnisaufenthalt. Die eigenen Augen und Ohren in Moskau sind immer noch wertvoller als eine zornige Meinung aus der Feder der Korrespondentin. Das können dann andere übernehmen.

Sind Reporter in autokratischen Ländern angekommen, werden sie überwacht und verfolgt

Der Platz im Ausland war nie wirklich bequem. Journalistinnen und Journalisten geben ihr gewachsenes Umfeld zu Hause auf, häufig finden die Partner im Ausland keine Arbeit oder dürfen wegen strenger Visumsregeln überhaupt nicht arbeiten. Kinder wachsen in einer fremden Kultur auf, was von vielen als Bereicherung empfunden wird. Aber irgendwann kommt der Tag des Abschieds - wie in der Diplomatie werden Auslandskorrespondenten ausgewechselt, um den frischen Blick auf das Berichtsgebiet zu sichern. Wer länger als sieben, acht Jahre auf Posten ist, läuft Gefahr, sich zu assimilieren und die wichtigste Gabe zu verlieren: von außen auf die Dinge zu schauen.

Die eigentliche Erschwernis aber schafft die Politik: Autoritäre Regime in großen Teilen der Welt schränken in ihrer Kontrollwut journalistische Freiheiten ein, auch in Angst vor dem freien Wort. Die Globalisierung der Kommunikation hat zwar zu einer Flut an Informationen geführt, aber auch zu einer nie dagewesenen Repression. Selten war das ehrliche Wort so gefährlich. Inlandsmedien dieser Staaten werden unter Aufsicht gestellt, Reporter aus dem Ausland werden durch Visaschikanen von Reisen abgeschreckt. An einigen Standorten wie etwa in Südostasien oder der arabischen Welt verwenden Reporter viel Arbeitszeit für die Beantragung einer Recherche. Iran verweigert seit Jahren Visa, Syrien ist schier unzugänglich. Die Genehmigungsverfahren für ein Arbeitsvisum in China sind zum Politikum geworden, das auf höchster Ebene verhandelt wird.

Sind Reporter erst mal in autokratischen Ländern angekommen, werden sie überwacht und verfolgt. Schon um Informanten nicht zu gefährden, müssen Gespräche mit Bedacht geführt werden. Hinzu kommt neuerdings eine Ausländerfeindlichkeit, die durch staatliche Propaganda genährt wurde. In Russland werden Korrespondenten in sozialen Medien angeprangert, in China Ausländer der Verbreitung des Coronavirus beschuldigt. Die Indizes für Pressefreiheit und Demokratie, etwa von Freedom House, Reporter ohne Grenzen oder des britischen Economist, belegen den schlechten Zustand der Meinungsfreiheit. Die Bertelsmann-Stiftung hat 2022 erstmals mehr autokratische als demokratische Staaten auf der Welt gemessen.

All das sind Warnzeichen - über den Zustand von Freiheit und Demokratie auf der Welt. Für den Journalismus und die Reporter am Puls der Ereignisse aber leitet sich daraus eine ganz neue Bedeutung für ihre Arbeit ab: Ob in China oder in Chemnitz, ob im Bierzelt oder in Brasilien - sie beobachten und recherchieren, entwirren in Zeiten der Verwirrung, sortieren das Chaos, filtern und suchen dann nach dem richtigen Wort. In nervösen Zeiten ist das nicht wenig.

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