Klimakleber vor Gericht:Eine schwierige Herausforderung für den Staat

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Das Landgericht München sieht einen Anfangsverdacht, die "Letzte Generation" könnte eine kriminelle Vereinigung sein. Das ist umstritten. (Foto: dpa)

Der Staat muss reagieren, wenn er kein Vertrauen einbüßen will. Zugleich wirft die Bestrafung der "Letzten Generation" Fragen auf, etwa im Vergleich zum Diesel-Abgasskandal.

"Die harte bayerische Linie gegen die ,Letzte Generation'" vom 25./26. November:

Seltsam konstruiertes Urteil

Ist die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung? Um diesen "Anfangsverdacht" zu prüfen, stellt sich das Gericht folgende Frage: "Ist das Begehen von Straftaten ihr zentrales Ziel? Ihr Sinn und Zweck?"

Nur: Wer übertritt schon ein Gesetz, bloß um es zu übertreten? Ob einer einen Bankraub verübt, die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet oder sich als Klimaaktivist auf einer Straße festklebt: Der Zweck ist doch nie die Gesetzesübertretung als solche. Der Räuber will sich bereichern, der Raser schneller ankommen (oder vielleicht mit seinem Auto angeben) und der Demonstrant nachdrücklich auf seine Anliegen hinweisen. Dass sie dabei Rechtsbrüche begehen, mag ihnen dabei bewusst sein (und ist es in der Regel auch); aber dass es ihnen eigentlich darauf ankäme, ist eine abwegige Unterstellung.

Zu dieser eigenartigen, jeder Erfahrung widersprechenden Sichtweise passt die juristische Erfindung einer "kriminellen Energie", also einer Neigung oder eines inneren Drangs zum Verbrechen. Da wird allen Ernstes so getan, als käme es dem Raser gar nicht aufs Rasen an, sodass er genauso gut Steuern hinterziehen könnte, und der Taschendieb ebenso gut schwarz fahren - egal, Hauptsache, es wird gegen ein Gesetz verstoßen! So nach dem Motto: "Welchen Rechtsbruch begehen wir denn heute mal...?"

Schon absurd. Aber mit potenziell gravierenden Folgen für Leute, die unter Zuhilfenahme solcher Konstrukte von der Justiz belangt werden, siehe die "Letzte Generation".

Mathias Günther, Hamburg

Klimakleber und Dieselsünder

Ich habe verstanden: Wer sich, wie die "Letzte Generation", für den Klimaschutz einsetzt und den Straßenverkehr dadurch behindert, dass er sich auf der Straße festklebt, ist Mitglied einer Kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB und riskiert fünf Jahre Haft. Wer, wie Rupert Stadler, als Vorstandsvorsitzender eines Autokonzerns jahrelang durch den massenweisen Verkauf von Pkw mit illegalen Schadstoff-Abschaltanlagen das Klima und die Gesundheit seiner Mitmenschen schädigt, erhält eine Bewährungsstrafe und verlässt als freier Mann den Gerichtssaal.

Dr. Eberhard Wildenhahn, Potsdam

Provozierte Bestrafung

Mag sein, dass das Strafgesetzbuch keinen Tatbestand definiert, der genau auf das Treiben einer Organisation wie der "Letzten Generation" anwendbar wäre. Es liegt für mich aber auf der Hand, dass die Aktivisten gezielt Dinge tun, die maximales Aufsehen gerade dadurch erregen sollen, dass sie rechtswidrig sind, und durch die sie möglichst viele Bürger provozieren oder beeinträchtigen können. Ihre Aktionen sind so angelegt, dass die Ordnungskräfte sie kaum verhindern und nur schwer dagegen vorgehen können. Und ihr koordiniertes Vorgehen macht aus Verstößen, die jeder für sich vielleicht noch als wenig gravierend anzusehen wären, in der Summe eine veritable Herausforderung der öffentlichen Ordnung.

Egal, wie hehr die Motive der "Letzten Generation" auch sein mögen: Ein Staat, der organisierten rechtswidrigen Aktionen nichts entgegensetzen zu können scheint, verspielt eine wesentliche Bedingung seines Funktionierens: das Vertrauen seiner Bürger.

Axel Lehmann, München

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