Leserbriefe:Die Justiz am Nasenring

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Rupert Stadler, ehemaliger Audi-Vorstandsvorsitzender, beim Prozess vor dem Münchner Landgericht. (Foto: Matthias Schrader/dpa)

Unschuld beteuern, bei erdrückender Beweislast doch noch gestehen für einen Deal - und dann die Bewährungsstrafe anfechten: Rupert Stadlers Prozess empört Leser.

"Ex-Audi-Chef Stadler geht in Revision" vom 5. Juli und "Rausverkauf" vom 28. Juni:

Deal mit Mängeln

Das schlägt doch dem Fass die Krone ins Gesicht. Oder mit anderen Worten: Da steht mein Verstand vor Ehrfurcht still. Sicher ist es einleuchtend, dass man im Interesse der Vermeidung eines schier endlosen gerichtlichen Verfahrens eine Einigung erzielt. Ein Geständnis hätte aber viel früher im Verfahren erfolgen müssen, um strafmildernd anerkannt zu werden, und nicht erst, als alle Beweise erdrückend waren. Und hat man dann in dem Deal nicht ausgeschlossen, dass in Revision gegangen werden darf? Wie man liest, erfolgt dies nur aus taktischen Gründen. Ein Schwarzfahrer geht nach wenigen Delikten für nicht gezahlte 60 Euro in den Bau, und bei den Großkopferten ein solches Verfahren ... Da ist doch etwas faul in unserem Rechtssystem.

Gerd Nieschalk, Heidelberg

Wer länger lügt, kommt durch?

Eigentlich bin ich immer davon ausgegangen, dass unser Justizsystem einigermaßen korrekt ist. Das scheint mir aber immer fraglicher zu sein. Stadler geht in Revision - er ficht damit das gegen ihn ausgesprochene Urteil ("Deal") an. Im SZ-Artikel heißt es dazu, "jahrelang hatten sowohl Stadler als auch Hatz ihre Unschuld beteuert ...". Naiv, wie ich nun mal bin, ging ich davon aus, dass die damals "Angeklagten" unter Eid aussagten. Selbst, wenn das nicht stimmen sollte, so ist doch letztendlich ein "Deal" abgeschlossen worden, und "beteuern" beruht doch auch auf einer Aussage, oder? Bitte berichten Sie nicht eines Tages, dass Stadler nun doch irgendwie noch besser wegkommt ...

Ich würde schon gerne wissen, ob wir in einer Bananenrepublik leben, in der jeder Gauner/Lügner/Sich nicht mehr Erinnernder, wenn er oder sie das lange genug durchhält, ungeschoren davonkommt. Es ist zum Heulen.

Professor (em.) Dr. Gottfried Kerscher, München

Schlimmer Ablasshandel

Die "Verurteilung" des Herrn Stadler ist ein Armutszeugnis für unsere Gerichtsbarkeit und nur vergleichbar mit dem Ablasshandel, gegen den Martin Luther Sturm lief. Wer genügend Geld hat, kann sich freikaufen, obwohl er schon nach allen Regeln überführt ist, und die "Millionenstrafe" wird aus der Portokasse seiner Versicherung bezahlt. Der Handel kam dann auch noch nach zähem Ringen um die sogenannte Gerechtigkeit zustande, ein Armutszeugnis für unser Rechtssystem und ein Schlag ins Gesicht der Schwarzfahrer, welche sich die "Strafe" nicht leisten können.

Dr. Alois Schneck, München

Klassenjustiz

Das Urteil des Landgerichts München II verhöhnt alle, die noch glaubten, in einem vom Grundgesetz garantierten Rechtsstaat zu leben. Nach zweieinhalb Jahren Prozess, in welchen der stets so smarte Herr Stadler immer wieder seine Unschuld am Dieselbetrug beteuerte, macht er unter der Beweislast der Fakten über seine Anwälte einen Deal mit dem Gericht. Mit einem plötzlichem Eingeständnis seiner Schuld verlässt er jetzt mit einer Bewährungsstrafe als freier Mann den Gerichtssaal. Eine Geldauflage von 1,1 Millionen Euro wird er leicht verschmerzen. Als Vorstand von Audi über elf Jahre hinweg hat er mehr als 50 Millionen verdient, das letzte Jahresgehalt betrug 7,7 Millionen Euro.

Anders sieht es bei den Klimaprotestlern der "Letzten Generation" aus. Sie, die unter anderem gegen den Dreck (es sei eine "massive Umweltsauerei", meinte der Staatsanwalt im Stadler-Prozess) protestierten, den Herr Stadler mit seinen Autos in die Welt pusten ließ und damit das Klima vergiftete, müssen sich als kriminelle Gruppe bezeichnen lassen, werden abgehört, mit Razzien überzogen und gehen ins Gefängnis. Da gibt es keinen Deal!

Die Politik, die ehemaligen Verkehrsminister Dobrindt und Scheuer, sind hauptverantwortlich für den laschen Umgang mit den Autokonzernen und deren Vorständen, was den Dieselskandal erst ermöglichte. Alexander Dobrindt von der CSU bezeichnet die "Letzte Generation" gar als Klimaterrorristen, als Klima-RAF. Die deutschen Gerichte schonen Stadler und Konsorten, schlagen aber bei kleinen Leuten, Schwarzfahrern, Protestierenden umso härter und ohne die Möglichkeit für einen Deal zu.

Die ungleiche Behandlung, wenn sich die Reichen über Anwälte "rauskaufen" können, lässt viele Menschen am Rechtsstaat zweifeln. Diese Klassenjustiz ist demokratiezersetzend.

Paul Havermann, Dachau

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