Soziologin Jutta Allmendinger:"Man arbeitet jede Woche etwas weniger - dann bleibt Platz für andere Dinge"

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Jutta Allmendinger fordert die Entzerrung des Lebens: lieber länger, dafür aber jede Woche weniger arbeiten. (Foto: Charlotte Schreiber; Charlotte Schreiber)

Ein Gespräch mit der Soziologin Jutta Allmendinger über die 32-Stunden-Woche, Hausfrauen-Risiken und ihre eigene Männerpolitik im Job.

Interview von Constanze von Bullion und Verena Mayer

Jutta Allmendinger, 59, ist Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin. Die Soziologin publizierte in den vergangenen Jahren mehrere Studien über weibliche Lebensverläufe, unter anderem über junge Frauen ( Frauen auf dem Sprung) und Hausfrauen ( Verschenkte Potenziale?). Sie hält eine 32-Stunden-Woche für Frauen wie Männer für das gerechteste Arbeitsmodell.

PLAN W: Frau Allmendinger, Sie sind Professorin und leiten ein Institut mit 400 Mitarbeitern. Wie viel haben Sie diese Woche gearbeitet?

Jutta Allmendinger: 80 Stunden.

Arbeiten Sie immer so viel?

Nein. Ich fahre demnächst für drei Wochen weg und werde dann einige Tage überhaupt nicht erreichbar sein. Also arbeite ich den Schreibtisch ab und bereite andere Arbeiten vor. Ich habe am frühen Morgen an Aufsätzen geschrieben, ab neun war ich dann relativ lange im Büro.

Wie haben Sie das gemacht, als Ihr Sohn noch klein war?

Damals habe ich in München gearbeitet, mein Partner war in Bremen. Es war von vornherein so verabredet, dass ich meine Professur nicht abbreche, also hatte er das Kind in der Woche, und ich kam donnerstagabends heim und fuhr montags wieder.

Ich habe vier Tage lang viel gearbeitet und drei Tage überhaupt nicht. Das war für mich leichter, als morgens zur Krippe zu hetzen, das Kind abzugeben, zu lehren und Schlag fünf beim Kind zu sein. Am Wochenende konnte ich andere Kinder mitbetreuen und Ausflüge machen. Ich fand das absolut prima, mein Leben sehr erfüllend. Mein Sohn und ich haben bis heute eine enge Beziehung.

So zufrieden sind nicht alle Eltern mit der Aufgabenteilung.

Dazu muss man sagen: Ich war Ende 30, als unser Sohn zur Welt kam. Mein Partner und ich hatten beide Professuren mit einen entsprechenden Gehalt und der nötigen Flexibilität in den Arbeitszeiten. Jüngere Paare haben meist nicht das Einkommen wie 40-Jährige und auch nicht die zeitliche Flexibilität im Beruf. Wenn ein Kind kommt, bleibt oft zu Hause, wer weniger verdient. Meistens die Frau.

Sie fordern als Lösung eine 32-Stunden-Woche, also eine drastischen Verkürzung von Arbeitszeit.

Ich fordere keine Verkürzung der Arbeitszeit, sondern eine andere Lagerung über den Lebensverlauf hinweg und eine andere Verteilung zwischen Müttern und Vätern. Wir alle leben länger und bleiben gesund. Das Rentenalter von 70 Jahren wurde vor 125 Jahren eingeführt. Die Lebenserwartung lag damals bei 50 Jahren und damit deutlich niedriger als heute. Im Deutschen Reich waren 1889 gerade drei Prozent der Bevölkerung 70 Jahre und älter. Heute sollten wir die gewonnenen Jahre in guter Gesundheit anders und vielfältiger nutzen.

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Im Beruf erfolgreiche Mütter kümmern sich mehr um die Kinder als ebenso erfolgreiche Väter. Wie lässt sich das ändern? Ein paar Möglichkeiten gäbe es: für Politik, Wirtschaft und auch die Eltern selbst.

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Zum Beispiel?

Ich schlage vor, die heute auf etwa 40 Jahre komprimierte Erwerbszeit zu strecken. Man arbeitet jede Woche etwas weniger, dafür aber über mehr Jahre. Dann bleibt auch Platz für andere Dinge im Leben, fürs Kinderkriegen, aber auch die Pflege von Angehörigen. Ich habe das bei meiner Mutter erlebt und bei allem Leid sehr gern gemacht. Man könnte eine Weiterbildung absolvieren oder mal für eine andere Organisation arbeiten.

Ist das realistisch auf dem heutigen Arbeitsmarkt?

Wo sehen Sie die prinzipiellen Probleme? Ich stelle die Erwerbsarbeit doch nicht infrage, nur deren zeitliche Verteilung und Organisation. Man arbeitet und arbeitet, später fragt man sich dann: Warum habe ich mir damals nicht etwas mehr Zeit genommen und gegeben?

Warum kümmern sich viele Väter mehr um ihre Enkelkinder als um die eigenen Kinder? Warum ist eine zweite Ausbildung im Laufe des Lebens hier in Deutschland noch immer so selten? Warum reisen wir oft erst, wenn wir im Ruhestand sind, und erkunden nicht früher die Welt?

Gut, aber wer will schon 80-jährige Piloten, Polizisten oder Herzchirurgen?

Lassen Sie uns nicht über Extreme reden.

Momentan haben wir bei einem Rentenalter von 67 eine steigende Zahl von Frühverrentungen aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen oder Burn-out. Warum? Wir pressen alles Mögliche in einen kurzen Lebensabschnitt und machen uns kirre.

In vielen Berufen können und wollen Menschen länger arbeiten, insbesondere wenn sie zuvor auch mal kürzer treten konnten. Der Stress erhöht sich auch deswegen, weil sich immer mehr die Norm entwickelt, dass alle Menschen im erwerbsfähigen Alter am besten ununterbrochen in Vollzeit erwerbstätig sein sollten. Man hat also niemanden mehr, der oder die einem den Rücken frei hält und sich um die Gemeinschaft kümmert.

Dabei gilt: Frauen wollen im Beruf arbeiten und sich nicht auf die Familienrolle reduzieren lassen. Aber sie wollen keine Erwerbstätigkeit zu den Konditionen ihrer Väter. Und Männern ist es zunehmend wichtig, auch Zeit für die Familie zu haben. Auch sie lösen sich langsam von alten Rollenmustern.

Die Realität sieht aber so aus, dass 88 Prozent des Elterngelds an Mütter gehen, nur 12 Prozent an Väter.

Das ist richtig, und die Folgen kennen wir: Die ökonomische Ungleichheit zwischen den Geschlechtern nimmt zu, dem Arbeitsmarkt fehlen gut ausgebildete Frauen, und Männer leben oft ein Leben, das sie sich so nicht wünschen. Wir müssen also die Arbeitszeit zwischen Männern und Frauen gleichmäßiger verteilen.

Sie können aus der klassischen 40-Stunden-Woche von Männern und einer Null-Stunden-Woche von Frauen eine gemeinsame 64- oder 65-Stunden-Woche machen. Diese wird über den Erwerbsverlauf hinweg zu gleichen Teilen aufgeteilt, damit sind wir bei einer 32-Stunden-Woche für jeden Partner. Dadurch hat die Wirtschaft schon mal gewonnen, nämlich Arbeitskraft. Denn das Gesamtvolumen der gearbeiteten Stunden würde dadurch größer.

Viele Chefs sagen: Ich habe eine Superkraft, die will ich in Vollzeit und keinen anderen.

Das ist nicht nachhaltig gedacht. Viele Personaler sagen das mittlerweile auch ganz offen und suchen andere Arbeitsmodelle. Im übrigen muss man bedenken, dass gerade die niedrige Teilzeit von Frauen oder längere Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit echte Karriereblockaden sind und viele hervorragend ausgebildete Frauen dadurch verloren gehen. Später sucht man sie dann händeringend.

Familiengerechte niedrigere Arbeitszeiten für Männer und Frauen, die sich dann über einen längeren Lebensabschnitt erstrecken, ermöglichen daher auch Frauen viel eher eine Karriere, als das heute der Fall ist.

Klingt zu schön, um wahr zu sein.

Ich gebe zu, das Modell hat einen wesentlichen Schwachpunkt. Personen mit geringer Bildung und niedrigem Einkommen haben oft Partner, die ebenfalls wenig verdienen. Solchen Paaren reichen 32 Stunden für beide nicht, um das nötige Einkommen zu erzielen. Ähnlich steht es um alleinerziehende Frauen.

Taugt die 32-Stunden-Woche also nur für Besserverdiener?

Im Moment leider ja. Da müssen wir ran. Bildung, Ausbildung und Weiterbildung sind wichtige Instrumente. Sozialversicherungsgeschützte Beschäftigungsverhältnisse. Keine Aufweichung des Mindestlohns. Eine angemessene Bewertung von Frauenberufen. Die entschlossene Bekämpfung des Gender Pay Gap. Wir brauchen aber auch andere Organisationsformen von Arbeit. Mit Modellen des Jobsharings waren wir schon mal weiter als heute.

Nur sechs Prozent der arbeitenden Väter gingen laut Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichem Institut 2013 in Teilzeit. Wie bringt man die restlichen 94 Prozent dazu?

Wir müssen auch bei den Widerständen in Unternehmen ansetzen. Die Arbeitgeber dürfen nicht sagen: Wenn du Teilzeit willst, gehst du in die zweite oder dritte Reihe. Im Moment lernen Männer eines: dass Frauen in Teilzeit nicht weiterkommen. Und das projizieren sie auf sich selbst, was man ihnen nicht mal übel nehmen kann.

Ich mache daher an unserem Institut auch eine klare Männerpolitik und sage den Männern: Leutchen, der und der Kollege ist ein halbes Jahr ausgestiegen und hat es trotzdem geschafft. Die Männer brauchen mehr Mut, ihre Lebensmodelle auch umzusetzen.

Kennen Sie Branchen außerhalb des öffentlichen Dienstes, in denen das funktioniert?

Unternehmen stellen zunehmend solche Modelle bereit. Bekannt für seine fortschrittlichen Arbeitszeitmodelle ist etwa Trumpf, ein Maschinenbauer, also ein Unternehmen in einer Männerdomäne. Dort ist sicher noch keine Gleichstellung erreicht, aber die Rahmenbedingungen für eine partnerschaftliche Familie sind gegeben.

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Zeit zum Innehalten? Bleibt heute kaum noch - und das nicht nur in der hektischen Adventszeit. Schuld ist eine Arbeitszeitkultur, die Vollzeit zur Norm erhebt. In der kaum Raum bleibt für Familie und Freunde. Das muss sich ändern.

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Es gibt aber viele Frauen, die bei ihren Kindern bleiben wollen.

Klar. Wenn man Kinder bekommt, möchte man sie ja auch sehen und sich um sie kümmern.

Das war bei mir nicht anders. Aber Frauen wollen ebenso finanziell auf eigenen Beinen stehen. Genau deshalb brauchen wir ja dringend eine neue Arbeitszeitpolitik. Vollzeit für alle kann nicht die Antwort sein.

Was, wenn sich eine Frau lieber versorgen lassen will?

Das ist ein riskantes Unterfangen. Unsere Scheidungsziffern sind hoch, und das Unterhaltsrecht ist eindeutig. Wenige Jahre nach der Scheidung wird von Frauen wie Männern verlangt, dass sie sich eigenständig versorgen. Auch die Witwenrente wurde gekappt, von 60 Prozent der Rente des verstorbenen Versicherten auf 55 Prozent. Die Altersrenten von Männern in Westdeutschland sind fast doppelt so hoch wie die eigenen Altersrenten der Frauen.

Interessanterweise hören wir in unseren Untersuchungen von jungen ostdeutschen Frauen immer wieder, dass sie von ihren Müttern von einer längeren Berufsunterbrechung abgehalten wurden. Die westdeutschen Mütter geben ihren Töchtern diesen Rat weit seltener, es ist ja das Modell, das die meisten von ihnen gelebt haben.

Gibt es denn ein Land, in dem Teilzeitarbeit keine Falle ist?

In Deutschland ist der Unterschied in den Arbeitszeiten von Männern und Frauen viel höher als in anderen Ländern. Dies liegt daran, dass bei uns viele Frauen in einer sehr niedrigen Teilzeit arbeiten. In anderen Ländern ist Teilzeit auch nicht mit Einbußen in den Stundenlöhnen verbunden.

Zu berücksichtigen sind auch Regelungen, die es attraktiver machen, nicht erwerbstätig zu sein, etwa das Ehegattensplitting. In vielen anderen EU-Ländern hat man eine Individualbesteuerung. So werden etwa in Schweden unterschiedlich hohe Einkommen von Männern und Frauen nicht steuerlich belohnt.

Auch die Geschlechterrollen sind in vielen Ländern nicht so ausgeprägt wie hier, und das Modell Kind mit Karriere ist selbstverständlicher. Ohne damals in den USA gewesen zu sein, hätte ich wohl kein Kind oder eben keine Karriere.

Früher gab es die Rabenmütter, jetzt werden die Hausfrauen belächelt. Ist das eine nicht so ärgerlich wie das andere?

Nein. Denn der Vorwurf, eine Rabenmutter zu sein, beruht auf Vorurteilen. Kinder können sich auch bei erwerbstätigen Müttern prächtig entwickeln, das zeigen alle Studien. Ich persönlich fand diese Bezeichnung immer sehr verletzend, ja fies. Man kann sich ja nicht wehren.

Bei den Hausfrauen ist das anders. Sie gehen objektive Risiken ein. Und ob sie dies tatsächlich so bewusst und aus eigenem Antrieb tun, weiß ich nicht zu beurteilen. Dennoch haben sie keine wirkliche Wahl. Hierfür bräuchten wir mehr und bessere Krippen, Ganztagsschulen, andere Teilzeitmodelle in Betrieben, andere Dienstleister und eine andere Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern.

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