Seit fast zehn Jahren sind die Plätze im Seminar von Bill Burnett und David Evans stets belegt: Der Kurs "Designing Your Life" an der Stanford University in Kalifornien soll den Teilnehmern nicht weniger als die Technik für ein glückliches Leben vermitteln. Der Trick, den Burnett und Evans den Studierenden beibringen wollen: Sie sollen ihr Leben angehen wie Designer.
Dahinter steckt weder ein Aufruf zur Selbstinszenierung noch das Gebot, sich alles Bisherige schönzumalen. Einen Designer machen den beiden US-Professoren zufolge vielmehr fünf Eigenarten aus, die sich durch das ganze Leben ziehen: Neugier, die Fähigkeit zum Umdenken, Lust am Ausprobieren, Wille zur Zusammenarbeit und das Wissen, dass alles ein Prozess ist. Dabei gilt: "Das Leben ist ein so vertracktes Problem, dass wir es niemals lösen." Statt also an der einen Ideallösung zu arbeiten, sollen die Studenten "Prototypen" ihres Lebens schaffen, wie es ihren Vorstellungen entspricht. Wie hält so eine optimistische Lebensphilosophie der alltäglichen Realität stand? Ein Gespräch mit den beiden Dozenten, die zu ihrem Seminar auch ein gleichnamiges Buch veröffentlicht haben.
SZ.de: Stanford ist eine Elite-Universität, hier studieren die besten Studenten der USA. Brauchen die überhaupt Hilfe bei der Frage "Was soll ich aus meinem Leben machen?"
Bill Burnett: Alle Studenten, die diesen Kurs besuchen, waren sehr gut in der Schule, aber sie wissen nicht viel darüber, wie man das Leben angeht. Mit unserem Designer-Ansatz können sie herausfinden, an welcher Stelle ihre größte Verwirrung sitzt und welche hinderlichen Denkmuster sie haben.
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Dave Evans: Wir unterrichten Studenten jeden Alters, Männer und Frauen, Einwanderer der ersten Generation und Einheimische, Geistes- und Naturwissenschaftler. Jeder hat diese Frage: Was soll ich als nächstes tun?
Sie unterrichten diesen Kurs seit etwa zehn Jahren. Haben Sie den Eindruck, dass die sogenannte Generation Y, die Millennials damit schlechter als andere Generationen zurechtkommen?
Burnett: Ich weiß nicht, warum jeder auf den Millennials rumhackt. Wenn man sich die Literatur ansieht, stellt man fest, dass die Zeit zwischen 20 und 30 einer der kompliziertesten Lebensabschnitte ist. Wir formen erst wirklich vollständig ein erwachsenes Bewusstsein, wenn wir 30 sind. Die Millennials sind insofern anders, als dass sie etwas Bedeutungsvolles für ihr Leben wollen. Sie mögen keine Jobs, die nicht mit einem Zweck verbunden sind. Und sie empfinden weniger Einschränkungen als andere Generationen. Sie sind bereit, verschiedene Dinge auszuprobieren. Aber ich denke nicht, dass das entscheidende Differenzen sind - sie stellen sich dieselben Fragen, die auch Dave und ich hatten.
In Ihrem Buch beschreiben Sie auch Ihren eigenen Lebensweg. Für Sie, Bill Burnett, war früh klar, was Sie wollen, während Sie, David Evans, zunächst Orientierungsschwierigkeiten hatten...
Evans: Ja, vor allem in den Jahren von 19 bis 25 führte mein Weg vor allem durch Schmerz und Verwirrung. Mir lief die Zeit weg. Ich musste in letzter Sekunde Entscheidungen treffen, weil ich nicht wusste, was ich machen sollte und die falsche Unterstützung bekam. Tatsache ist, dass die ersten Jahre unbeholfener und schmerzhafter als nötig waren. Wie ein Designer zu denken, half mir, Veränderungen zu schaffen und eine strukturierte Methode daraus zu entwickeln, die viele Leute nutzen können.
In Ihrem Ansatz sind Fehlschläge kein Scheitern, sondern ein wichtiger Teil des Prozesses. Wie kommen Sie darauf?
Burnett: Je radikaler, je innovativer etwas ist, desto wahrscheinlicher ist, dass es auch einen Fehler hat. Wenn man nicht wenigstens ein bisschen zu scheitern bereit ist, ist man wahrscheinlich auch kein bisschen innovativ. Wir sagen nicht, dass Scheitern etwas Großartiges sei. Aber es ist das Beste, schnell und frühzeitig zu scheitern - fail fast and fail early.
Evans: Der Grund, warum wir Designer-Denken auf das Leben anwenden, war der Gedanke, dass Ingenieurs-Denken die Welt übernimmt: Wir versuchen, alles zu behandeln, als könne man es reparieren - und wenn man als Ingenieur das Falsche tut, dann hat man es vermasselt. Die Prototypen, die ein Ingenieur baut, sollen zeigen, dass er recht hat. Die Prototypen eines Designers sollen hingegen zeigen, dass man es nicht richtig machen kann - man kann nur daraus lernen. Es ist eine völlig andere Art von Prototyp. Und da Lernen das Ziel ist, gilt: Solange du etwas gelernt hast, bist du nicht gescheitert.
Meist hat man bei Lernprozessen einen Lehrer oder Mentor, der Fehler wahrnimmt und bei der Entwicklung hilft. Wo ist dieser Ansatz in Ihrem Programm?
Evans: Wenn du ein Leben gestalten willst, das wirklich für dich passt, dann ist es wesentlich einfacher, wenn du eine Gruppe zur Unterstützung hast. Wir ermutigen die Leute, im Team daran zu arbeiten.
Burnett: In dem Stanford-Kurs teilen wir die Teilnehmer in Gruppen von sechs bis neun Leuten auf und sie helfen einander, das funktioniert sehr gut. Zusätzlich einen Lehrer oder Mentor an der Seite zu haben, ist natürlich hilfreich.
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Wer "Designing Your Life" liest, bekommt den Eindruck, dass es vor allem Leute mit hohem Ehrgeiz anspricht. Wie können sich Leute mit weniger Antrieb motivieren?
Evans: Um etwas aus dem mitzunehmen, was wir den Leuten an Handwerkszeug und Ideen mitgeben, ist nur erforderlich, sich überhaupt zu etwas zu motivieren. Du kannst langsam anfangen, kleine Schritte machen - das ist in Ordnung, es ist dein Leben. Wir verordnen den Lesern nicht: "Das musst du in sechs Monaten schaffen" oder "Diesen Schritt solltest du zuerst machen". Leben sind sehr komplex und Leute sehr individuell - wir geben ihnen lediglich einen Handwerkskasten, keine Vorschrift.
Viele sind mit der Einstellung aufgewachsen, dass Arbeit keinen Spaß zu machen braucht. Es ist schließlich Arbeit. Was sagen Sie dazu?
Evans: Wir sprechen über Arbeit mit drei verschiedenen Begriffen: Job, Laufbahn oder Berufung. Einen Job macht man für Geld, um sein Auskommen zu sichern. Ich schlage eine Laufbahn für die professionelle Entwicklung ein. Eine Berufung erfüllt einen edlen Zweck oder schafft Bedeutung in der Welt. Keins ist schlechter als das andere, aber sie sind verschieden. All diese Betrachtungsweisen von Arbeit sind kompatibel damit, ein gutes Leben zu designen.
Burnett: Ich denke, das ist eine neuzeitliche Idee: Hey, Arbeit sollte nicht nur meine Familie versorgen, sondern etwas bedeuten, erfüllend sein. Das ist eine der großen Veränderungen, die damit einhergehen, dass unsere Arbeit nicht mehr so praktisch orientiert ist.
In Ihrem Ansatz finden sich keine Bezüge zu Religion, Werten oder Politik. Ist das Absicht?
Evans: Es geht um die Zusammenhänge im Leben: Wer ich bin, was ich glaube und was ich tue - das hängt zusammen. Die Forschung zeigt: Wenn man diese Aspekte verbinden kann und sich höhere Zusammenhänge bewusst macht, steigert das die Wahrscheinlichkeit, sich gut mit seinem Leben zu fühlen und es als bedeutungsvoll zu erleben. Wir ermutigen unsere Leser, herauszufinden, welche Werte ihnen etwas bedeuten und wie sie sie in ihre Entscheidungen einbringen können. Wenn du religiös bist, bring deinen Glauben ein. Wir lassen diese Dinge nicht außen vor, wir gehen nur nicht von einer bestimmten Antwort aus.
Das Buch "Designing Your Life" von Bill Burnett und Dave Evans ist auch auf Deutsch unter dem Titel "Mach, was Du willst: Design Thinking fürs Leben" im Ullstein Verlag erschienen.