Der Pessimismus hat ein Imageproblem. "Denk positiv!", schallt es aus den Ratgeberliteratur-Regalen. Wer Bedenken äußert und auf Hindernisse hinweist, wird schnell als Miesepeter abgestempelt.
Die Psychologieprofessorin Gabriele Oettingen hat das Thema in den vergangenen 20 Jahren wissenschaftlich untersucht. Nach zahlreichen Studien in Deutschland und in USA kommt sie zu dem verblüffenden Ergebnis: Purer Optimismus hindert Menschen daran, ihre Ziele zu erreichen.
SZ: Wann ist Ihnen zum ersten Mal der Gedanke gekommen, dass positives Denken gar nicht zielführend sein könnte?
Gabriele Oettingen: Um ganz ehrlich zu sein, haben mich die Befunde belehrt. Als ich angefangen habe, Ende der 80er Jahre an diesem Thema zu arbeiten, war unumstritten, dass positives Zukunftsdenken sich auch positiv auf das Handeln auswirkt.
Ich wollte den Einfluss von Phantasien und Zukunftsträumen untersuchen. Ich habe eine Studie mit Frauen gemacht, die sich für ein Programm zur Gewichtsreduktion angemeldet hatten. Das Ergebnis: Je positiver sich die Frauen vorab ihren Erfolg vorgestellt haben, je rosiger sie sich ihr neues schlankes Leben ausgemalt haben, desto weniger Kilos haben sie dann tatsächlich verloren.
Sie hatten das Gegenteil vermutet?
Genau. Zunächst dachten wir, wir hätten einen Fehler bei der Auswertung gemacht. Doch dann haben wir das gleiche Ergebnis immer wieder gefunden. Je positiver Hochschulabsolventen darüber phantasiert haben, wie schnell sie nach der Uni einen tollen Job finden, umso länger waren sie zunächst arbeitslos, umso weniger haben sie verdient. Studenten, die sich vorgestellt haben, in einer Prüfung so richtig gut abzuschneiden, haben schlechtere Noten geschrieben als ihre Kommilitonen, die weniger optimistisch waren.
Umgang mit der eigenen Schwäche:"Fehler sind unvermeidbar - und spannend!"
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Sogar im zwischenmenschlichen Bereich trat der Effekt auf: Wir haben Personen untersucht, die in jemanden verknallt waren. Je intensiver sich die Verliebten vorgestellt haben, wie es wäre, mit dem Angebeteten zusammenzukommen, umso unwahrscheinlicher wurde eine Beziehung. Positives Denken hindert uns daran, Ziele zu erreichen.
Dabei haben doch über Jahrzehnte die Ratgeber und Lebenshilfe-Autoren "Think pink" gepredigt und den Leuten erzählt: "Wenn du nur positiv denkst, wird alles gut!" Wie kam man denn auf diesen Humbug?
Darüber kann ich nur spekulieren. Wir haben nicht wissenschaftlich untersucht, warum sich diese Überzeugung in den Köpfen festgesetzt hat. Aber Sie können sich ja vorstellen, wie verführerisch das ist. Positiv zu denken ist ja zunächst sehr angenehm und wenn mir dann noch jemand sagt, dass purer Optimismus ganz wunderbare Effekte auf mein Leben hat, dann glaube ich das gern.
Wunschträume und Phantasien sind ja auch durchaus sinnvoll. Sie machen gute Laune, helfen zu entspannen. Aber sie stehen uns im Weg, wenn es darum geht, tatsächlich eine Aufgabe anzupacken, Ziele zu erreichen.
Können Sie erklären, warum das so ist?
Auch das haben wir in experimentellen Studien untersucht. Der Mechanismus funktioniert so: Leute, die sich eine positive Zukunft ausmalen, denken, sie wären schon da, sie hätten ihr Ziel schon erreicht. Während sie sich die Wunscherfüllung vorstellen, entspannen sie sich und genießen das Gefühl der Zufriedenheit: "Ahhhh, der Report ist geschrieben, der Konflikt ist gelöst, ich bin mit meinem Schwarm zusammen - herrlich."
Dabei geht dann aber die Energie runter, die Bereitschaft, die man braucht, um aktiv zu werden und Dinge in die Tat umzusetzen. Tatsächlich ist diese Vorstellung, diese mentale Repräsentation so stark, dass der Blutdruck sinkt.
Damit man doch Ziele erreicht, empfehlen Sie eine Technik, die "mentales Kontrastieren" heißt. Was steckt dahinter?
Auch das habe ich von den Versuchspersonen gelernt. Die Personen, die in unseren Studien am erfolgreichsten waren, haben sich zwar die Erfüllung eines Wunsches vorgestellt, aber dann den Schalter umgelegt und sich gefragt: Was steht mir im Weg, diesen Wunsch tatsächlich umzusetzen? Was hält mich auf? Was stoppt mich? Identifiziert man dieses Hindernisses umd imaginiert es dann, erhält man die nötige Energie, die Sache anzupacken.
"Mentales Kontrastieren" bedeutet also, einem Wunsch die realen Hindernisse gegenüber zu stellen.
Genau. Während die Zukunftsphantasien dem Handeln eine Richtung geben, liefert mir die Vorstellung der Hürden die Energie, sie zu überwinden.
Sie haben ein Modell entwickelt, das WOOP heißt - was steckt hinter den Buchstaben?
Am Anfang steht ein Wunsch - W, wie "wish". Ich formuliere einen Wunsch für die Zukunft, der mir am Herzen liegt. Dann male ich mir das Ergebnis aus - O, wie "outcome". Wie fühlt es sich an, wenn sich der Wunsch erfüllt? Was ist es, was mich daran so reizt?
Dann kommt das Umlegen des Schalters: Welches Hindernis steht mir im Weg? Auf Englisch heißt Hindernis "obstacle" - das ist das zweite O. Als letztes kommt das P für "plan". In diesem Schritt überlegt man sich, wie man das Hindernis überwinden kann. Da macht man sich einen ganz konkreten Wenn-Dann-Plan: "Wenn mir wieder ein Kollege eine Extra-Aufgabe aufs Auge drücken möchte, dann sage ich freundlich, dass ich an einem wichtigen Projekt sitze und daher leider keine Zeit habe."
WOOP:Wie man seine Ziele erreicht
In vier Schritten zum Erfolg: Eine einfache Technik namens WOOP hilft beim Erfüllen von Wünschen - wissenschaftlich erprobt.
Wie wichtig ist die Reihenfolge der Schritte?
Die ist essenziell. In unseren Studien haben wir festgestellt, dass schon eine kleine Änderung fatal ist. Wenn man sich zum Beispiel erst das Hindernis vorstellt und dann das Ergebnis, funktioniert die Methode schon nicht mehr so gut.
Der Witz ist nämlich, dass während einer WOOP-Imagination automatische Prozesse ablaufen. Durch das bewusste Vorstellen eines Wunsches und möglicher Hindernisse werden die Zukunft und die Realität miteinander verbunden, ohne dass wir uns dessen bewusst werden. Durch den Plan-Schritt wird dann wiederum ein konkretes Verhalten hinzugefügt. Wenn ich dann an die Zukunft denke, kommt mir automatisch auch die Realität mit in den Sinn und dazu gleich noch das Verhalten, dass ich anwenden möchte, wenn mir ein bestimmtes Hindernis begegnet.
Ratgeber "Mindfuck Job":Sieben Hirnblockaden bei der Arbeit
Manche Gedankenmuster hindern Menschen, berufliche Ziele zu erreichen. Coach Petra Bock hat aufgeschrieben, wie man diese "Mindfucks" erkennen und loswerden kann.
Für welche Arten von Wünschen ist WOOP geeignet?
Sie können die Methode für die kleinen trivialen Wünsche genauso anwenden, wie für die ganz großen - wichtig ist nur, dass der Wunsch Ihnen wirklich etwas bedeutet. Tatsächlich hilft WOOP aber auch dabei, herauszufinden: Was will ich eigentlich? Denn wenn ich mich intensiv mit einem Wunsch beschäftige, stelle ich vielleicht fest: Das wäre zwar ganz nett, aber es ist doch nicht meins. Klar wäre eine Weltreise schön, aber eigentlich geht es mir gerade darum, meinem Job mehr Bedeutung zu geben.
Vielleicht stelle ich im WOOP-Prozess auch fest, dass ein Hindernis zu groß ist, dass mir der Aufwand zu hoch ist. Ich würde vielleicht gerne Spanisch sprechen, aber ich möchte nicht so viel Zeit zum Vokabellernen aufwenden. Dann hilft die Technik dabei, sich von Wünschen zu trennen. Das setzt Kraft frei für die Sachen, die einem wirklich wichtig sind. Wir haben außerdem festgestellt, dass WOOP Stress reduziert und die Zusammenarbeit und Kommunikation verbessert.
Inwiefern?
Wir haben eine Studie mit Angestellten im Gesundheitsbereich gemacht. Die Anwendung hat dazu geführt, dass schon nach drei Wochen die Stress-Symptome weniger wurden. Mit Experimenten der Verhaltensökonomie haben wir herausgefunden, dass Studienteilnehmer integrativere Lösungen für Probleme finden. Das heißt, sie konnten sich besser in andere hineinversetzen, waren kooperativer und auch fairer.
Wie wichtig ist ein schmissiger Name wie "WOOP" für die Bekanntheit und Vermarktung eines Konzepts?
Ich bin Wissenschaftlerin und kein Verkaufsstratege, daher kann ich das nicht beantworten. Aber ich kann Ihnen erzählen, wie wir darauf gekommen sind. Wir haben an einer berufsbildenden Schule eine Studie gemacht. "Mental Contrasting with Implementation Intention" hieß unser Konzept damals, kurz "MCII". Im Kontakt mit den Schülern war schnell klar, dass das zu kompliziert ist und es sich niemand merken kann - da sind wir auf WOOP gekommen. Das kann man gut sprechen und die einzelnen Buchstaben stehen genau für die Schritte.
Auch beim Erscheinen von "Rethinking Positive Thinking" auf Deutsch bin ich jetzt bei dem englischen Begriff WOOP geblieben. Im Deutschen erinnert es so nett an den Ausdruck "wuppen".
Gibt es auch Risiken und Nebenwirkungen? Sollte die Technik in bestimmten Situationen nicht angewendet werden?
Wenn ich keine Handlungsmöglichkeiten habe, dann muss ich auch nicht "woopen". Wenn die Bewerbung schon abgeschickt ist zum Beispiel. Man darf es sich nicht vorstellen wie eine Pille. Ich sehe es eher als Instrument. Der Wunsch geht auch nicht unbedingt am nächsten Tag magisch in Erfüllung, aber der Ansatz hilft, überhaupt in den Prozess der Wunscherfüllung einzutreten.
Wenn es nicht klappt, kann ich es nochmal probieren und überlegen: Habe ich das richtige Hindernis erwischt, den Plan richtig formuliert? Das ist eine Entdeckungstour in die eigenen Wünsche, ins eigene Leben.
2014 hat Gabriele Oettingen in den USA "Rethinking Positive Thinking: Inside the New Science of Motivation" veröffentlicht. Gerade ist das Buch auf Deutsch unter dem Namen "Die Psychologie des Gelingens" im Pattloch-Verlag erschienen. Weitere Informationen zu WOOP sind auf der Internetseite woopmylife.org zusammengestellt. Eine kostenlose App zum WOOP-Verfahren kann für Apple-Geräte und Android heruntergeladen werden.