Wer wissen will, was die Welt im Inneren wirklich zusammenhält, der möge nach Hollywood schauen. Dort lodert seit Jahren eine Debatte um die Dominanz weißer Männer. Erst ging es um Rassismus, dann um die ungerechte Bezahlung weiblicher Hauptdarsteller und die "Me-Too"-Grapscher; inzwischen geht es auch um schiere Sprechzeiten in Filmen.
Frauen haben in Hollywood-Produktionen wenig zu sagen. Bei drei Vierteln aller Filme haben Männer mehr Zeilen zu sprechen, in 15 Prozent aller Filme sprechen Männer sogar 90 Prozent aller Sätze - nur in 0,4 Prozent der Filme sprechen Frauen mehr als 90 Prozent. Das hat die amerikanische Rechercheplattform The Pudding errechnet. Sie untersuchte 2000 Drehbücher und ordnete die gesprochenen Zeilen den Darstellern zu.
Die Erkenntnisse sorgten für Empörung weit über Hollywood hinaus. Sie mag berechtigt sein. Doch vielleicht bildet Hollywood bloß die Wirklichkeit ab; denn auch in der realen Berufswelt haben Frauen nicht viel zu sagen, egal in welchem Land. Treffen sie auf Männer, sind die es meist, die das Wort führen, sei es auf großen Konferenzen, in kleinen Meetings oder bei Geschäftsessen. Das zeigen wissenschaftliche Studien.
Soziologen an der Universität Princeton in den USA fanden heraus: Je größer eine Gruppe, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Männer das Wort ergreifen. Wenn es mehr Männer als Frauen in einer Gruppe gibt, sinkt die durchschnittliche Redezeit einer Frau um ein Viertel bis zu einem Drittel. Und eine Studie der Universität Yale kam zu dem wenig überraschenden Ergebnis: Je mächtiger Männer sind, desto mehr und länger reden sie.
Bei Geschlechterdiskriminierung geht es also nicht nur um Sitze im Vorstand oder Aufsichtsrat, sondern auch schlicht um Wahrnehmung, darum, zu Wort kommen zu dürfen. Weil das so ist, lassen vereinzelte Firmen, die sich fortschrittlich wähnen, Stoppuhren auf Sitzungen mitlaufen. Die Erkenntnisse hier bestätigen die genannten Studienergebnisse, allerdings gibt es nur anekdotische Beweise, keine repräsentativen Statistiken.
Ehrgeizige Menschen wissen: Redezeit ist ein Statussymbol
Eine brasilianische Werbeagentur hat kürzlich eine App auf den Markt gebracht: "All.ai" (sprich: ally, "Verbündeter") analysiert über Spracherkennung, wie oft Männer während einer Besprechung Frauen unterbrechen, und umgekehrt. Das soll Firmenmitarbeiter für eine faire Redezeitverteilung sensibilisieren. "Frauen werden in Meetings oft übersehen, ignoriert oder unterbrochen. Wir wollten ändern, wie Meetings gehandhabt werden", erklärte Rumman Chowdhury, die die App mitentwickelt hat.
Warum ist das so? Warum beherrschen Männer selbst eine so simple Sache wie Redezeit? Weil sie es sich leisten können. Es gibt eine Kausalität von Macht und Rede: Wer viel redet, mit dem assoziieren die anderen einen hohen Status. Männer haben meist leitende Positionen inne, und daran sollen die Umsitzenden stets erinnert sein, das festigt Hierarchien.