Arbeitszeiten:Schweden experimentiert mit Sechs-Stunden-Arbeitstagen

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Altenpflege

Die Belastung für Pflegekräfte ist immens.

(Foto: Bodo Marks/dpa)

Vor allem Pflegekräfte sollen so entlastet werden. Der Plan: Menschen leisten mehr, wenn sie entspannter sind. Nicht jedem gefällt das.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Nein, sie wollen nichts mehr sagen über den Sechs-Stunden-Tag. Keine Interviews mehr geben, keine Kamerateams mehr empfangen, es nahm einfach überhand. Diese und ähnliche Antworten erhält, wer die Liste schwedischer Unternehmen durchgeht, die ihre Mitarbeiter sechs Stunden am Tag arbeiten lassen statt acht. Es ist eine sehr kurze Liste. Wer darauf steht, wurde in den vergangenen Monaten mit Anfragen überschüttet.

Es klingt ja auch märchenhaft: Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter jeden Tag zwei Stunden früher nach Hause schicken, bei vollem Lohn. Die New York Times, CNN, die BBC, der Guardian, viele suchten in Schweden danach. Ausgelöst hat den Hype ein Experiment in Göteborg: Seit Februar 2015 kürzte dort ein städtisches Seniorenheim die Schichten seiner 68 Pflegerinnen und Pfleger auf etwa sechs Stunden, nur die Nachtschicht blieb länger. Die geschenkte Zeit sollte sie entspannter und letztendlich effektiver machen im Job.

Die Idee dazu hatte die lokale Linkspartei, der Stadtrat in Göteborg stimmte dafür. 17 neue Kräfte musste das Svartedalen-Altenheim einstellen, um die Lücken im Schichtplan zu füllen, die der kürzere Arbeitstag riss. Umgerechnet eine Million Euro haben die ersten 18 Test-Monate gekostet. Ende 2016 lief das Experiment aus.

Für die Studie sind die Pflegekräfte des Svartedalen nach 18 Monaten befragt worden, genauso wie die eines Vergleichs-Pflegeheims ohne Arbeitszeitkürzung. Das Ergebnis überraschte wenig: Die Mitarbeiter mit der geschenkten Zeit fühlten sich fitter, aufmerksamer und gelassener. Das sei wichtig im Umgang mit älteren Menschen, sagt Bengt Lorentzon, der das Projekt für die Stadt auswertet. Die ausgeruhten Pflegerinnen nähmen sich mehr Zeit für die Bewohner des Heims. Denn: "Wer sich müde fühlt, braucht für alles länger." Auch die Krankmeldungen sind zurückgegangen, allerdings nur wenig: 5,8 Prozent ihrer Arbeitszeit fehlten die Mitarbeiter während des ersten Test-Jahres mit kürzeren Schichten, zuvor waren es 6,4 Prozent. Im Vergleichs-Pflegeheim lagen die Fehlzeiten bei 8,5 Prozent.

Die Gegner des Projekts fühlen sich durch die Studie bestätigt. "Wir haben da viel Geld reingesteckt, dafür ist das Ergebnis nicht gut genug", sagt die frühere Krankenschwester Maria Rydén. Sie sitzt für die konservativen Moderaten im Stadtrat, ihre Partei ist gegen das Projekt. Göteborg könne sich diesen Luxus nicht leisten. Für die Stadt arbeiten mehr als 50 000 Menschen, am Ende wollten die alle nur noch sechs Stunden am Tag arbeiten, sagt Maria Rydén. Gerade in der Altenpflege fehle es an allem, Senioren warteten auf Heimplätze, die Qualität in der Pflege lasse zu wünschen übrig, es gäbe nicht genügend Pflegekräfte. "Es ist unverantwortlich sie dafür zu bezahlen, dass sie nichts tun."

Sind Arbeitskräfte knapp, kann das neue Modell bei der Personalsuche helfen

Roland Paulsen, Sozialwissenschaftler an der Universität Lund, beschäftigt sich damit, wie Menschen arbeiten. Die internationale Aufmerksamkeit für das Göteborger Experiment findet er unverhältnismäßig. Sie zeige aber auch, dass es offenbar einen Bedarf an alternativen Arbeitskonzepten gibt. Dabei sei es in Schweden wie überall: Die Arbeitszeit würde eher verlängert als gekürzt, weil sich das Rentenalter nach hinten schiebt. Mit denselben Argumenten wie überall: Die Menschen werden älter, müssen länger arbeiten, sonst wird es zu teuer.

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